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„Die Gnä Frau läßt ausrichten, die Gnä Frau soll sich schnell umziehen“, riefim Vorbeieilen Walli, „der Herr Chef ist schon vom Bethaus zurück...“ Ich kleidete mich zum Seder besonders sorgfältig um. Sogar mein einziges Schmuckstück, Stefans Geschenk, das goldene Armband, legte ich an. Stefan mag es, wenn ich es trage, ich weniger; es stört mich, wie alle hängenden, klirrenden Verzierungen. „Du bist so wenig weiblich“, sagt Stefan, der mir gerne mehr solches Glitzerzeug kaufen würde, hätte er Geld genug und wäre ich, seine unweibliche Frau, damit einverstanden. Vielleicht hat er nicht nur das im Sinn, wenn er „unweiblich“ sagt. Wie dem auch sei, Stefan behält wie immer Recht. Aber diesmal legte ich das Armband ohne Hemmungen an. Meine Mutter nahm zum Sederabend ihre schönsten Juwelen. Ich kann mich noch an das Rubinenset erinnern. Nicht daß uns die Steine besonders wertvoll schienen, aber wir beide waren von dem Leuchten, das aus der tiefsten Tiefe ihrer Röte kam, bezaubert. Das schönste Stück war das Halsband in altsilberner Fassung, das auf der zarten, weißen Haut meiner Mutter fast schwarz wirkte. „Du bekommst es, wenn du groß bist“, sagte Mama und streichelte meine Zöpfe. Meine kleine arme Mama. Also jetzt bin ich sicher schon groß genug. Auf wessen Hals leuchten heute die jüdischen Rubine? Ich ging zum Eßzimmer, aufgeregt, mit einer längst vergessenen Aufregung. Meinem Sohn Mirek haben wir seine Feiertage gestohlen. Natürlich, es gibt Feiertage mehr als genug. „Zu Ehren“ und zum Jahrestag. Sehr schöne, sehr volksverbundene. Nur die Patina fehlt. Diese Feste erlebt man nicht, in diesen Festtagen wird der Himmel nicht greifbar, wie es der Himmel meiner Kindheit war. Ziemlich früh habe ich entdeckt, daß der Gottbegriff nur dem Beschwören von Angst und Dunkelheit dient. Ziemlich früh verlor ich meinen Glauben. Und doch blieben in mir tief eingewurzelt das Gold und Azur der Synagoge, der gewaltige Klang der Gebete, Gesang des Moses, der mit seinem Gott spricht. Es blieben die unter einer heißeren Sonne gereiften Maxime, voll Klugheit und Resignation der Weisen von Zion. War ich wirklich ungläubig? Als Mirek vor drei Jahren so schwer an Scharlach erkrankte, war ich es, die an seinem Bett eine unendliche Winternacht lang wiederholte: „Schma Israel, Adonai Eloheinu ...“ Ich, die Marxistin, verdammt noch mal! Onkel, Tante und Fredek warteten schon im Eßzimmer, die Tante in grauer Seide, mit rasselndem Gold an den Armen, Ohren und am Hals. Der Onkel, im schwarzen Anzug, sah fast elegant aus. Diesmal trug auch Fredek — wie es Onkel Max immer tat — die kleine bestickte Kopfbedeckung, das Kapele. Ein Jude soll mit bedecktem Kopf essen. Fredek machte große Konzessionen an diesem Abend. Mit dem blauen Mützchen wirkte sein Gesicht jung, fast kindlich. Alle drei begutachteten mich, jeder auf seine Art. Ich hätte was für ihre Gedanken gegeben. Nicht für ihre. Seien wir doch ehrlich. Für Fredeks Gedanken. „Wir warten nur noch auf den Cousin von Onkel Max“, stellte die Tante fest, „der betet in der Glasergasse. Das ist ziemlich weit, aber es kann nicht mehr lange dauern.“ Onkel Max räusperte sich: „Das mit dem Kind hast du dir schön ausgedacht. Wovor hattest du Angst? Glaubst du, wir stecken ihn an, deinen Sohn? Schade nur...“ „Vater“, unterbrach Fredek, „wir haben doch etwas beschlossen...“ „Schon gut, schon gut...“ Onkel Max machte seine charakteristische Geste, das jede weitere Diskussion abschließende, resignierte Abwinken. „Onkel muß mich doch verstehen! Bitte, Onkel!“ „Laß doch. Es gibt Sachen, welche mein Vater nie verstehen wird.“ „Ja, für dich ist dein Vater ein Idiot. Gott sei Dank hat dein Vater ohne deiner Hilfe etwas im Leben erreicht!“ „Was hast du denn schon erreicht? Worauf bist du so stolz?“ „Max, Fredek, ich flehe euch an, beruhigt euch! Bringt mich nicht um!“ In Tante Reginas Augen sammelten sich schon die Tränen und drohten den schwarzen Schutzwall aus Wimperntusche zu überfluten. Auf diesen verzweifelten Appell hin verzogen sich die beiden Männer in zwei entgegengesetzte Ecken des Zimmers. Ich schaute den Tisch an. Er war wunderbar gedeckt, ein echter Pesachtisch, identisch mit einem längst vergessenen, unvergeßlichen. Die Tischdecke weiß, weißer, am weißesten, vor jedem Sessel ein Weinbecher, ein Teller und eine in schwarzes, gepreßtes Leder gebundene Haggada, die uralte Geschichte von Exil und Errettung. Der allerschönste, sechste Becher stand in der Mitte des Tisches. Von dem sechsten Becher wird der Prophet Elias den süßen, jüdischen Wein trinken, bei jedem Sedertisch einen Tropfen vom süßen, jüdischen Wein, um dann berauscht, beschwingt, flammend mit dem feurigen Wagen in den nicht existierenden jüdischen Himmel zu fliegen. Auf Onkel Max’ Stammplatz stand an Stelle eines Sessels ein mit Polstern ausgelegter Fauteuil. Diese Nacht soll der Familienvater ruhend, halbliegend erzählen, erklären, erinnern. An einem Tischende, dort, wo Onkel Max sitzen sollte, stand ein großer in Silber gehämmerter Teller, der die Symbole der zwölf Stämme Israels trug. Darauf lagen die ersten Mazzot, mit einer Leinenserviette bedeckt. Darauf wieder ruhten die symbolischen Speisen, welche in der Kindheit so stark meine Neugierde geweckt hatten und von meinem silberbärtigem, in irgendeinem Winkel des Großdeutschen Reiches ermordeten Großvater so schön erklärt wurden. Hier ein verbrannter Knochen, Symbol des Opfers, Symbol für die verbrannten Körper unserer Ahnen? Verbrannt in Pharaos Ägypten, oder in Auschwitz? 39