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Textilien aus Spanien, Italien, aus Portugal, Jugoslawien hatte sein Vater importiert. Und Mutter, frommer Vater und auch er machten Bankrott — gegen alle Tradition, trotz Talmud. Sich danach nie mehr erholt, die besseren Zeiten nicht mehr erlebt. Haris Los war das Kellermagazin, Rasieren vorm Spiegel des Glaserladens, Vasen, Hemden, Menorah-, Chanukka- und Tannenbaum-Leuchten, Leinenballen, Schuhe, manchmal ein Buch, am besten ein hebräisches. Er ging von Geschäft zu Geschäft und bot feil mit den Manieren eines weltgewandten Herren, verteilte nebenbei Komplimente an schöne Frauen. Hari Mandel fürchtete sich vor dem Elternheim, scheute zurück vor fast kostenlosem Essen der „Esra“, war kein Mitglied der Gemeinde, betete in einer Privatsynagoge, wußte nie, wann die Feiertage fielen. Hari Mandel sagte stets: „Verachte niemanden!“ Fragte: „Was für ein Tag ist heute, welches Datum?“ „Morgen könnte doch Sabbath sein!“ erwog er. Seine Schulden zahlte Hari Mandel ehrlich zurück mit Zinsen in Fruchtjoghurt oder Pudding, bei „Billa“ in Aktion. Hari Mandel hat sich nie beklagt außer über die Steuereintreiber, hat niemanden gescholten, hat nur die Haggadah verbessert und ruhig gesagt, Tudjman sei Antisemit und die Usta$e hätten viele Juden ermordet. En passant erzählte er von einer einstigen Freundin, Kroatin, wundervoller Schönheit irgendwo aus Dalmatien. Und niemals gab er zu, in seinem Keller zu wohnen, streifte zerstreut herum, stolz im schwarzen Anzug, mit schwarzem Hut, grauem Haar, heller Seele. Manchmal paßte er auf meine Buchhandlung auf, las dabei die Zeitungen, erzählte allen, er sei so beschäftigt und habe kaum Zeit. Lange kam er dann nicht, Zeit war ihm kaum geblieben. Ich glaubte, er wäre mit seinem Bruder aus Israel zu Besuch in Budapest, doch ich ahnte den Abschied, hatte ihn krank gesehen. Eine Journalistin mit laufender Kamera kam in die Buchhandlung gelaufen, verkündete: Hari Mandel gestorben. Er ist lange in seinem Kellerverlies gelegen, die Polizei hat ihn gefunden. Können Sie etwas dazu sagen? Ja, der Talmud-Kenner hatte die Botschaft vergessen: „Löse dich nicht aus der Gemeinschaft!“ Und weiter: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei!“ Einige andere Botschaften hat sich Hari Mandel gemerkt, Sprüche der Väter: „Je mehr Fleisch, desto mehr Würmer, je mehr Besitz, desto mehr Sorgen, je mehr Frauen, desto mehr Aberglaube, je mehr Mägde, desto mehr Liederlichkeit, je mehr Diener, desto mehr Diebstahl. 46 Je mehr Lehre, desto mehr Leben, je mehr Schulen, desto mehr Weisheit, je mehr Ratschläge, desto mehr Verstand, je mehr Gerechtigkeit, desto mehr Frieden.“ Hari Mandel ist zurückgekehrt in jene Ewigkeit, aus der er unverhofft in meine Straße gestürzt ist. Oder ist er vielleicht in Singers Geschichten heimgekehrt? Wer aber legt ein Steinchen auf Hari Mandels Grab, des Mannes mit den Goldfischchen am Schlüsselanhänger? Sabbath Schalom für Isak Samokovlija In dieser Unruhe herrsche zumindest Du, Sabbath, Ruhe, die anruft und einlädt. Laß Deine Bjelave das Blütenkleid anlegen, die Höfe, die ganze Straße vor Liebe jauchzen, Def und Zurla hören, alle die Deinen zum Tanz anheben: Hanuéa und Renuéa, Hajmaéo und Papu£o, Simha und Bulka, Samuel und Rafael, Luna und Streja, Simon und Jakov, Leja und Beja. Laß Saruta sich verloben! Eine Frau ist kein Baum, kein Stein, kein Fisch. Laß die coceci unter den Levkojen tanzen, rot wie Mädchenwangen. Nur dürfen sie nicht wecken — die Blonde Jüdin! Igalo, 29. August 1989. — Isak Samokovlija— bosnisch-jüdischer Arzt und Schriftsteller, dessen Erzählungen nicht ins Deutsche übersetzt sind. — Bjelave — jüdisches Viertel in Sarajevo. — Hanuca und die folgenden Frauen- und Mdnnernamen — Protagonisten aus Erzdhlungen I. Samokovlijas. — coceci— aus dem Türkischen: volkstümliche Tanzgruppe, nur aus Männern bestehend. — Blonde Jüdin — berühmte Geschichte von 1. Samokovlija. Ljubo Ruben Weiss, geb. 1949 in Virovotica (Kroatien), studierte Politologie und Publizistik in Zagreb, war 1976-90 politischer Berater des Bundes der Sozialisten in Zagreb, 199091 Sekretär der jüdischen Kulturvereinigung „Miroslav Salom Freiberger“. 1991 flüchtete er nach Wien und gründete 1994 eine Buchhandlung für ex-jugoslawische Literatur und Sachbücher in Wien, VIII, Schlösselgasse 24; 1995 Initiator der kurzlebigen serbokroatischen Exilzeitschrift „Sutra“. Schrieb Beiträge u.a. für „Danas “, „Start“, „Borba“, „Press“, „Nase novine“, sowie für „Illustrierte Neue Welt, ,, Die Gemeinde“, ,, Arbeiter-Zeitung“. Er lebt in Wien.