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Bewunderin Charles Baudelaires und Übersetzerin der Gedichte Alphonse de Lamartines ins Türkische, 1904 in Aleppo ankam, soll die einheimische Bevölkerung ob ihrer außerordentlichen Schönheit so verwundert gewesen sein, daß man die Natürlichkeit ihrer weißen Haut in Frage stellte und die vermeintliche Farbe mit Fingern abzuwischen versuchte. Celile Hanım war eine emanzipierte Frau, die sich zum Studium der Malerei in Paris aufgehalten hatte und die Unfähigkeit ihres Mannes, für den Unterhalt der Familie Sorge zu tragen, durch ihre kämpferische Natur und Tatkraft auszugleichen versuchte. Für ihren Schmuck kaufte sie einen Pappelwald in der Nähe Aleppos. In der Holzwirtschaft sah sie die Lösung ihrer Geldnöte. Nur das Unglück einer Naturkatastrophe in Form einer Heuschreckenplage machte ihre wohldurchdachten Pläne zunichte. Celile Hanım war eine außerordentlich mutige Frau. Schon während der Besatzung Istanbuls durch die Alliierten soll sie einmal von der Küche ihrer Wohnung in Pera aus herumstreunende französische Soldaten, die mit lautem Gejohle Frauen anpöbelten, durch das Trommeln mit einem Kochlöffel auf einen Topf auf sich aufmerksam gemacht haben, um sie in einwandfreiem Französisch zu fragen, ob sie dies unter ihrer hohen europäischen Zivilisation verslünden. Die Soldaten verstummten perplex, sichtlich überrascht, daß eine Istanbuler Hausfrau Französisch sprach. Ein anderes Mal soll sie sich daran beteiligt haben, die in den Straßen Istanbuls von den Wänden herabwallenden Fahnen der Okkupationsmächte herunterzureißen. Der Antrieb zu diesen Taten erklärt sich auch dadurch, daß in den frühen 1920er Jahren britische Soldaten durch die Straßen Istanbuls patrouillierten und die Bevölkerung terrorisierten, mit Peitschenhieben ins Gesicht, und sie so auf die bevorstehende Sklaverei vorzubereiten glaubten. Doch Celile Hanım bewies auch sehr viel später einen von einer großen Mutterseele gespeisten Mut, als sie 1949 - teilweise schon erblindet - auf der Galatabrücke Unterschriften für die Freilassung ihres inhaftierten, schwer erkrankten Sohnes sammelte und von der Polizei bald festgenommen und verwarnt wurde. Näzım Hikmet Ran, der — wie er in einem am 11. September 1961 (zwei Jahre vor seinem Tod) in Ost-Berlin geschriebenen Gedicht Otobiografi schildert — nie mehr wieder in die Stadt seiner Geburt zurückgekehrt ist, dieser größte Erneuerer der türkischen Dichtung, der einem sofort in den Sinn kommt, wenn von türkischer Kultur überhaupt die Rede ist, wurde am 15. Januar 1902 in der griechisch-türkischen Hafenstadt Selanik (Saloniki) geboren. Der Name Näzım, der soviel wie Vers bedeutet, sollte sich noch als eine self-fulfilling prophecy herausstellen. Zwei Jahre später erfolgt der Umzug der Familie nach Aleppo in das Haus von Näzıms Großvater. Erst 1910, mit Versetzung dieses hohen Staatsbeamten in den Ruhestand, die auf eine kurze Tätigkeit in Istanbul folgt, lebt die ganze Familie wieder zusammen. Näzım besucht wie sein Vater,das Galatasaray-Lyzeum, muß aber aus Geldmangel in das Niyantayı Lisesi überwechseln. 1913 schreibt Näzım bereits seine ersten Gedichte. Er verliebt sich in Mädchen und schreibt Gedichte, schreibt aber auch nationalpatriotische Gedichte gegen die Besatzung, wie Schrei der Heimat. Als eine der häufigen Feuerbrünste Istanbul heimsuchte, soll er aus dem Yalı? in Üsküdar die Flammen beobachtet haben, um dann wie wahnsinnig die Treppen des Hauses auf und ab zu laufen und die Verse Yanıyor! Yanıyor! Müthis tarrakalar! auszurufen. Das Wort tarraka fiir Lodern klang indes befremdlich aus kindlichem Mund; die Erwachsenen mußten noch lange über diese skurrile Szene lachen. Daraus entstand das Gedicht Yanıyor! Yanıyor! Müthis terrakeler/ Cekiyor aßusuna o adüvv-i beser/ Valdeler haneler yetimler/ [...] Es brennt, es brennt./ Ein ungeheures Lodern./ Dieser Menschenfeind zieht an seine Brust/ die Häuser, die Armen, die Waisen. Mehmet Näzım Pasas Yalı blieb verschont, nicht weil er aus dem Fenster den Flammen den Koran entgegenhielt, sondern weil das Feuer, wie der Enkel betonte, von selber erlosch, nachdem es alles zu Asche verbrannt hatte. 1918 beginnt Näzım Hikmet eine Offiziersausbildung an der Marineakademie auf der Insel Heybeliada und schreibt Schmähgedichte auf die britische Besatzung. Er veröffentlicht seinen ersten Gedichtband Zypressenhain, in dem sein Lehrer Yahyah Kemal einige Korrekturen vornahm, der nach der Scheidung von Näzıms Eltern immer mehr zu Gast im Hause war und Celile Hanım mit Gedichten umwarb. Nur ein Jahr später erhält der Musterschüler sein Offizierspatent, muß aber wegen einer Rippenfellentzündung den Dienst auf einem Kriegsschiff quittieren. Du Du bist meine Sklaverei und meine Freiheit, du bist mein wie eine nackte Sommernacht brennendes Fleisch, du bist meine Heimat. (1948) Wie er in seinem autobiographischen Roman Yasamak güzel sey be kardesim (Zu leben ist schön, mein Bruder oder Die Romantiker) schildert, fiel der Entschluß, sich dem nationalen Widerstand unter Mustafa Kemal anzuschließen, im Sommerhaus des Großvaters. An einem Rokokotischchen sitzend, gelobte er sich, eher zu sterben als umzukehren; nicht die Literatur oder gar seine eigene soziale Lage, sondern das Elend Anatoliens, sein Herz bewegte ihn dazu. In einem auf jenem Tisch zurückgelassenen Gedicht verabschiedet sich Näzım nicht nur vom Großvater, sondern auch von den Annehmlichkeiten eines großbürgerlichen Lebens in einem Yalı am Bosporus. Er tauscht es zunächst gegen ein enges, heißes, von Küchenschaben wimmelndes Abteil eines Schiffes mit dem verheißungsvoll-programmatischen Namen Yeni Dünya (Neue Welt), in dem er sich mit seinem Freund Va-Nu und den zwei Dichtern Yusuf Ziya und Faruk Nafız zwischen Baumwollballen verstecken muß. Ein letztes Mal blickt er auf Istanbul, und es kümmert ihn nicht, daß an diesem 1. Januar 1921 im Meer vor Istanbul mehr Unterseeboote herumzuschwirren scheinen als Sardellen und Makrelen. Er ist auf dem Weg nach Anatolien. Das Schiff, mit Waffen für Mustafa Kemal beladen, geht bei /nebolu an der yalbudi ori FP aS a arg‘ Gk ~ Pew pels Pp sie lade the Art ble un re NS 355 vais MA © JF PSB - Oe pies der pr oS Se ie ears. s ey rp AZ 2 „al wes Ww tb Pr gp pat 2 ae Nau Frühes Gedicht Näzım Hikmets in arabischer Handschrift 57