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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT

12, Seminar für Komposition 1917, Entwurf zu Adolf Loos’
Richtlinien für ein Kunstamt 1917/18, Satzungen und z.T. nur
mündlich entwickelte Prinzipien des Vereins für musikalische
Privataufführungen 1918ff., Satzung des Mahler-Bundes 1920/
21, Statut des Vereines „Arnold Schönberg-Bibliothek“ 1924,
Vorschlag zur Gründung einer Internationalen Stilbildungs¬
Schule 1927", Zur Frage des modernen Kompositionsunterrichts
1929, diverse Programme und Erklärungen zum Unterricht an
verschiedenen amerikanischen Colleges und Universitäten
1933ff., die amerikanischen Theorielehrbiicher, The Students
Private Library” 1938, Some Problems for the Educator 1944,
The Task of the Teacher 1950, erste Notizen zur Griindung der
Israel Academy of Music 1951”.

Das erwähnte Exposé stammt von Anfang August 1934. Das
Material im Nachlaß besteht aus Briefen'*, handschriftlichen
Notizen und der Ausarbeitung eines einleitenden Allgemeinen
Teils, der in einer handschriftlichen und einer (textlich nicht da¬
mit identischen) maschinenschriftlichen Fassung vorliegt, letz¬
tere mit dem Charakter einer Reinschrift — dies ist dann auch
der Teil der Aufzeichnungen, der zumindest in Eislers Hände
gelangt ist. Einiges in diesem Konvolut folgt der sozusagen
natürlichen Entwicklung von Schönbergs Denken, anderes da¬
gegen ist speziell und einzigartig.

1934 befand sich Schönberg in den USA noch mitten in ei¬
ner laufenden Befassung mit pädagogischen Fragen. Seine ganz
und gar provisorische Situation erforderte ständiges Sich¬
Umstellen auf die jeweils vorgefundenen Verhältnisse, die sich
bisweilen von allem unterschieden, was er aus Europa kannte.
Im Falle unseres Exposés mußte er nicht auf konkrete Bedin¬
gungen eingehen oder sich ihnen anpassen. Er entwarf'ein Institut
ganz nach seinen Vorstellungen und ohne finanzielle Rücksichten
- und er malte es sich (nach allem, was er über das Bildungs¬
wesen in den USA bereits erfahren haben dürfte) von vornherein
als zentrale staatliche Einrichtung repräsentativen Charakters
aus. Wir dürfen annehmen, daß ihn dabei auch bestimmte Vor¬
stellungen leiteten, die er sich von der Sowjetunion gebildet hat¬
te. So fällt sofort die betont technische Sprache auf- „Rätemacht
plus Elektrifizierung des ganzen Landes“.

Es verbinden sich offensichlich ganz frische amerikanische
College-Eindrücke und Reminiszenzen aus der deutsch-öster¬
reichischen Reformpädagogik mit einem Traum vom (selbstver¬
ständlich verantwortlich angeführten...) Kollektiv, wenn Schön¬
berg einen Campus imaginiert, freilich von den Dimensionen
einer Kleinstadt, wo die Studenten, womöglich wie Kadetten
in einem Internat untergebracht, von den Ablenkungen der Gro߬
stadt abgeschirmt in größter Konzentration ihren Studien obliegen
können. Das Gelände umfaßt außer Wohn-, Verwaltungs- und
Versorgungstrakten eine Reihe von Übungsräumen, Studios,
Konzertsälen und Theatern für die verschiedensten Zwecke und
in verschiedenen Größen sowie Sportplätze (für zahlreiche Ein¬
zelheiten gibt es lustig zu lesende Begründungen).

Als Zweck des Instituts ist im definitiven Typoskript Vor¬
schlag zur Errichtung eines zeitgemäßen Musikunterrichts-In¬
stitutes angegeben: Dieses habe gleichzeitig „zu wahrhaft über¬
legener Beherrschung aller hergebrachten Technik“ und an die
jüngste Produktion heran zu führen, so daß die Absolventen „an
den Aufgaben der Weiterentwicklung der Kunstmittel [...] mit¬
zuwirken fähig sind“. Es solle die Schüler dahin bringen, Lehrer
aus tiefstem Herzensbedürfnis zu werden, und so schließlich
„eine Zentrale werden, in welcher alle bedeutenden und vor¬

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wärtsstrebenden Künstler des Landes, und auch andere, zu dem
Ziel einer planmäßigen Verbreitung der in unserem Zeitalter
höchstmöglichen Musikkultur sich vereinigen und gleichzeitig
die Grundlage legen zu einer Lehrerschaft, welche sowohl durch
ihre Eignung, als auch durch ihre Anzahl imstande ist, im ganzen
großen Reich denselben Segen zu verbreiten, den sie empfan¬
gen durfte.“

Diese „Tendenz zur Zukunft“ unterscheide das Institut eben¬
so von allen anderen, wie eine Reihe von Prinzipien: Die Technik
ist als solche systematisch zu pflegen und zu erweitern. Ande¬
rerseits muß sie im engsten Zusammenhang mit den ‚Tatsachen
der Musik’ und den Aufgaben des Musizierens entwickelt wer¬
den. „Der Grundsatz der Produktion hat auch Grundsatz aller
Reproduktion zu sein. Nämlich: Es schaffe die Phantasie, die
Einbildungskraft, das Vorstellungsvermögen.“ Die Schüler sol¬
len daher mit dem „Üben erst beginnen, wenn sie durch Lesen
sich eine exakte Vorstellung von dem Darzustellenden gebil¬
det haben, daß sie also nicht durch takt- resp. stellenweises Üben
erst zu einer Vorstellung des Ganzen gelangen, sondern um¬
gekehrt‘. Damit ist das „mechanische, bienenfleißige, wenig in¬
telligente Üben bis aufs Allerunentbehrlichste eingeschränkt“.

Ich weiß nichts über den damaligen Zustand der musikali¬
schen Pädagogik in der Sowjetunion, ich weiß nur, daß zu¬
mindest Teile dieses Programms im Westen heute Allgemeingut
sind, ohne daß die Unterrichtsrealität dem immer entspräche.

Die Lehre ist in Schönbergs Institut durch ein hierarchisch
gestuftes System vertreten, in welchem die fortgeschrittenen
Studenten die Neulinge in ihren Übungen beaufsichtigen, wäh¬
rend die Lehrer wiederum von vorgesetzten Inspektoren sowie
dem Direktor regelmäßigen Überprüfungen unterzogen werden.

Der Lehrer hat in erster Linie, konkret musikalisch wie künst¬
lerisch-moralisch, Vorbild zu sein. „So lange der Schüler nicht
aus eigenem ein Bild des Kunstwerkes in sich erzeugen kann,
wird sein Gedächtnis die Stelle der Phantasie zu vertreten ha¬
ben“. Als Kritiker und Ratgeber wird der Lehrer „das künstle¬
rische Gewissen [...] heranbilden“. Kritik und Rat sollten „die
Fähigkeit zur Selbstkritik [...] fördern [...], das Selbstfinden nie¬
mals ausschließen“. „Wie genau sie immer ins Einzelne gehe[n
mögen, sie dürfen] das Ganze nie aus dem Aug verlieren.“
Insofern ist die Lehre nicht Disziplinierung und Drill, sondern
Anleitung zur Selbständigkeit. Wenn der Lehrer seine Aufgabe
mechanisch aufzufassen beginnt, müssen die Kollegen und das
Direktorium einschreiten.

Es werden bestimmte Grundanforderungen an alle Schüler
gestellt, unabhängig von ihrem späteren Fach. Alle haben ihr
Vorstellungsvermögen in eigenen Übungen zu entwickeln, al¬
le müssen eine bestimmte Zahl von Instrumenten beherrschen,
im Chor singen und im Orchester spielen, ferner vielfältige prak¬
tische Erfahrungen sammeln, dies jedoch nicht sogleich wild¬
wüchsig im Musikbetrieb draußen, sondern innerhalb des ge¬
regelten und beaufsichtigten Unterrichts.

In einer eigenen Kapellmeister- bzw. Chormeister-Schule sind
möglichst sämtliche Aufgaben der Praxis immer wieder zu
durchlaufen vom Kopieren der Partitur, dem Herausschreiben
von Stimmen und Korrekturlesen bis zu Pflichthospitation in
Instrumental- und Gesangsklassen, Korrepetition nicht nur mit
den Solisten, sondern auch den einzelnen Mitgliedern des Or¬
chesters, schließlich Gesamtproben und Aufführung. Aus öko¬
nomischen, aber nicht weniger aus pädagogischen Gründen wer¬
den Kammerorchesterformationen in verschiedenen Größen und