ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT
mentenkenntnis (nach vorhergehendem Hospitieren in den wich¬
tigsten Intrumentalklassen, womöglich einige Fertigkeit auf ei¬
nigen Orchesterinstrumenten.
Die Schüler beweisen ihre Eignung zur wichtigsten Tätig¬
keit des Kapellmeisters anfangs durch die Anleitung zum Ueben,
die sie jüngeren Schülern erteilen, später durch Einstudieren von
Opernpartien mit Gesangschülern, Duetten, Terz[ett]en und
Quartett[en] mit Instrumentalschülern.
Die KapellmeisterSchüler sollen durch Plattenaufnahmen
der von ihnen geleiteten Einstudierungen in ihrer kritischen Ein¬
sicht gefördert werden. Der Lehrer hat das Urteil des Schülers
mit den Platten zu vergleichen und zu besprechen. Insbesondere
ist hiebei auf das Formgefühl zu achten. Es ist kein Zweifel, dass
innerhalb eines Tonstückes geometrische, resp. mathematische
Verhältnisse herrschen, so dass alle Tempoverhältnisse sich durch
einfache Bruchzahlen darstellen liessen. Es wäre verfehlt das
rein mathematisch lösen zu wollen, denn die Ma[ß]e der Musik
sind nach dem Augenmaß angewendet oder nach einem „Puls¬
schlag‘, wie Ph.E. Bach sagt, nach keinem starren Maßstab also
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SchülerOrchester [] und [-]Chöre
Die Verpflichtung zur Mitwirkung in Chören und Orchestern
ist für alle Schüler absolut.
Zweck der Uebungen ist: (nebst allem früheren)
I. Kenntnis der Literatur
II. Schlagfertigkeit (Blattlesen)
Il. Erzielung eines Aufführungs-Ideals! / höchste Vollendung
der Leistung jedes Einzelnen.
Zu I. a) Die Schüler werden von den vorgeschrittenen Kapell¬
meister-Schülern in Einzelproben aufs Genaueste vorbereitet
I. Violinen
I. “ extra
Br. Extra
on //
ebenso alle Flöten
Ob[ol]e extra etc.
b) Die Special-Instrumentallehrer haben dann mit den
Schülern alle technischen Feinheiten auszuarbeiten. In Anwe¬
senheit der Kapellmeister-Schüler, damit diese das zunehmend
besser selbst machen.
c) es soll womöglich im Laufe der Unterrichtsjahre alles
Wichtige aus dem Orchesterrepertoire gespielt worden sein.
I hier hilft die Erziehung zu Schlagfertigkeit: (ein Teil des spä¬
ter Auszuarbeitenden und) alles zu bewältigende muss in re¬
gelmäßigen Blattlese-Uebungen”
III. Alle Schüler werden angehalten, die Ensemble-Stimmen so
zu üben und so auszuarbeiten, als ob es Solo-Konzert-Stiicke
wären.
Der Direktor”
ist der Lehrer der Lehrer, so wie” diese die Lehrer der Schüler
sind.
Darum ist es seine Aufgabe in erster Linie (nicht die Schüler
sondern) die Lehrer zu prüfen, zu überwachen, zu kontrollie¬
ren und sie anzuweisen, wie sie Mängel ihrer Unterrichtsweise
zu beheben haben.
Den Direktor vertreten die Inspektoren.
Der Direktor resp. die Inspektoren[] werden ununterbrochen den
Unterricht kontrollieren, und in gemeinsamen Konferenzen mit
den Lehrern zu untersuchen haben, auf welche Art höhere
Leistungen der Schüler erzielt, resp auf welche geeignetere Weise
die Schüler dazu gebracht werden können. Im Allgemeinen wird
das Bestreben darauf gerichtet sein, jenes sinnlose, abstrakte
Ueben aufein Mindestmass zu beschränken. Dies wird dadurch
zu geschehen haben, dass die Zielsetzung nicht eine rein-me¬
chanische, rein empirisch entstehende, aber nicht voraussehbare
Glätte ist, sondern die Erreichung eines geistig-erschauten Bildes,
welches in Anfangsstadien durch ein geeignetes Vorbild zu er¬
setzen sein wird. Das ist so zu
verstehen: Michelangelo haut seinen „Moses“ direkt aus dem
Marmor heraus.
Ware aber dieser Moses z.B. aus lauter horizontal gelagerten
dünnen Platten herzustellen und jemand würde versuchen, je¬
der Platte die ihr zukommende Form zu geben, so wäre das ein
Versuch, der dem taktweisen mechanischen Ueben gliche. Wie
sollen alle diese Platten, wie sollen alle diese Takte jemals sich
zu einer Form zusammenschliessen.
Dagegen Michelangelos Tun ist geregelt durch eine das
Ganze gebende Konzeption und jeder Meisselschlag führt nur
ein subordiniertes Detail aus.
So wird auch ein Ueben, dem eine Vision des Ganzen zu¬
grunde liegt anderes erreichen, als dieses bienenfleissige aber
unintelligente Ueben von Takt zu Takt.
Damit soll aber keineswegs dem so notwendigen Erüben
technischer Schwierigkeiten abgesagt werden. Es wird nur in
anderer Form zu geschehen haben.
„Der Lehrer als Vorbild“
Der Lehrer wird in erster Linie das Vorbild des Schülers
zu sein haben und erst in 2. und 3. Linie sein Kritiker und
Ratgeber, sein Gewissen. D.h. so lange der Schüler nicht aus
eigenem ein Bild des Kunstwerkes in sich erzeugen kann, wird
sein Gedächtnis die Stelle der Phantasie zu vertreten haben, er
wird sich des vom Lehrer Vorgespielten zu erinnern und ihm
nachzustreben haben. — Kritik und Rat sollte, wie genau sie im¬
mer ins Einzelne gehe, das Ganze nie aus dem Aug verlieren.
Meist wird sich zeigen lassen, dass Unzulängliches es eben ins¬
besondere in Beziehung zum Ganzen ist. Hauptzweck aller Kritik
aber müsste es sein, die Fähigkeit zur Selbst-Kritik zu fördern.
Rat aber sollte das Selbstfinden niemals ausschliessen; auch nicht
in minder hoffnungsreichen Fällen.
Der Lehrer wird auch in künstlerisch-moralischer Hinsicht
ein Vorbild sein müssen. Er muss das künstlerische Gewissen