OCR
ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT ORPHEUS auch zahlreicher Wohnungen und Villen werden. Der Südwestfunk befindet sich seit Monaten bereits in der Intendantenkrise und die Wahl des endgültigen Intendanten ist für Mitte Juli zu erwarten. Sie sehen, hochverehrter Herr Professor, daß ich an die Aus‚führung eines so außerordentlich wichtigen Projektes nicht leichtsinnig herangehe und daß ich mich nicht mit Versprechungen begnügen kann, die in der ersten Begeisterung getan werden und dann nicht die solide Basis haben, die sie haben müssen. Wenn Sie mir noch Zeit geben, eine Verbindung der drei für meinen Plan einzig und allein maßgebenden Stellen herbeizuführen — der französischen Behörden, der städt. Dienststellen und des Südwestfunks als eigentlichem Träger der künstlerischen Initiative auf diesem Gebiet — so werde ich Ihnen zu Anfang des Herbstes klarste und eindeutige Nachricht geben können. Das Grundsätzliche ist nach wie vor geblieben: das größte Interesse von allen Stellen, nicht nur hier in Baden-Baden, sondern in allen musikverständigen Kreisen Deutschlands überhaupt, und selbstverständlich meine persönliche ganze Liebe für die Ausführung dieses Gedankens. So sind auch, soweit ich es bisher übersehen kann, keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, wenn die 3 maßgebenden Stellen verantwortlich besetzt sind und das Verfügungsrecht über ihre Position besitzen. Ich hatte gehoffi, daß Sie vielleicht nach Darmstadt kommen werden, nicht um die Darmstädter Musiktage, die mir nicht allzu sympathisch sind, mit Ihrer Gegenwart zu ehren, sondern weil sich die Gelegenheit gegeben hätte, über unseren Plan noch einmal persönlich zu sprechen. So muß ich Sie also bitten, mir noch einmal eine Frist bis zum Herbst dieses Jahres zu geben. Ich freue mich außerordentlich, daß Ihre Ideen und Ihre Kunst jetzt immer mehr in den Vordergrund treten. Ich glaube, daß die verantwortlichen Musiker jetzt schon beinahe darauf sehen müssen, daß aus Ihrem Ideengut nicht zu sehr Kapital geschlagen wird, d.h. man muß sehr genau die Grenze ziehen zwischen denen, die Ihre wirklichen verständnisvollen Anhänger, Schüler und Freunde sind und den anderen, die sich der Zwölftontechnik fast wie einer Mode bemächtigen. Diese Gefahr besteht immer dann, wenn eine Idee sich mit großer Macht durchsetzt.” Nach diesem ausführlichen Lagebericht hat sich Rosbaud offensichtlich so lange nicht gemeldet, daß Schönberg im April 1950 schließlich direkt an ihn schreibt: Ich habe jetzt lange nichts von Ihnen gehört — warum? Ich habe schon gedacht, dass Sie mich aufgegeben haben. Das wäre schade.” Anfang Juni antwortet Rosbaud, nun anders als in den vorhergehenden Briefen aus Baden-Baden auf privatem Briefpapier: Der eigentliche Grund für mein langes Stillschweigen war das Gefühl einer gewissen Beschämung, dass es mir nicht gelungen ist, meinen Plan zu realisieren. Die Verwaltung der französischen Okkupationszone ist zwar seit einiger Zeit von den Militärbehörden auf die zivilen Stellen übergegangen, aber trotzdem sind trotz mancher Erleichterungen die Aussichten für meinen Plan nicht viel besser geworden. Es war mir so schmerzlich und peinlich, Ihnen so enttäuschende Nachrichten geben zu müssen, dass ich einen Brief immer wieder verschoben habe.” Damit ist auch dieser Rückrufversuch gescheitert — Steineckes Hoffnungen sollte schließlich Schönbergs Tod ein Ende setzen und auch seine Bemühungen, dann wenigstens den Nachlaß nach Darmstadt zu holen, führten nicht zum Erfolg.” TRUST Dörte Schmidt, geb. 1964 in Pfullendorf/Baden-Württemberg, ist Professorin für Musikwissenschaft an der Musikhochschule Stuttgart. Studium der Schulmusik, Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Hannover, Berlin und Freiburg. Promotion 1992 (Lenz im zeitgenössischen Musiktheater, Stuttgart 1993), Assistentin am Musikwissenschaftlichen Institut der RuhrUniversität Bochum, Habilitation 1997 (Armide hinter den Spiegeln. Lully, Gluck und die Möglichkeiten der dramatischen Parodie, Stuttgart 2001). Seit 2000 Schriftleiterin der Zeitschrift Die Musikforschung. Forschungsschwerpunkte: Musiktheater des 17.-21. Jh., Musikgeschichte nach 1950, Skizzenforschung. Anmerkungen 1 „Unsere Rundfrage: Wie sollen wir aufbauen?“, in: Melos 14 (1946/ 47), S. 15-18. Zu den Objektivierungsstrategien des Neoklassizimus im unmittelbaren Zusammenhang mit der spezifischen Situation in Nachkriegsdeutschland siehe Gianmario Borio, „Kontinuität oder Bruch? Zur Präsenz der früheren Neuen Musik in Darmstadt“, in: Im Zenit der Moderne. Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt 1946-1966, hrsg. von Gianmario Borio und Hermann Danuser, 4 Bde., Freiburg 1997, S. 141-283, hierzu vor allem S. 153. 2 Allgemein zum Thema „Remigration“ siehe u.a.: Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, hrsg. von Claus-Dieter Krohn und Patrik von zur Mühlen, Marburg 1997 und Marita Krauss, Heimkehr in ein fremdes Land. Geschichte der Remigration nach 1945, München 2001. Zur Musiker-Remigration siehe: Man kehrt nie zurück, man geht immer nur fort. Remigration und Musikkultur, hrsg. von Dörte Schmidt und Maren Köster, München: Edition Text & Kritik, erscheint Mai 2005. 3 Mitte der 50er Jahre stand Berlin immerhin wohl als ein möglicher Ort für ein Schönberg-Archiv zur Debatte, siehe Claudia Maurer Zenck, „Buridans Esel, oder Exil ohne Ende“, in: Man kehrt nie zurück, man geht immer nur fort (s. Anm. 2). Als es Mitte der 1990er Jahre wieder darum ging, einen Ort für den bis dahin in der University of California Los Angeles verwahrten Nachlaß Schönbergs in Europa zu finden, konkurrierte das Archiv der Berliner Akademie der Künste mit Wien, wo schließlich das Arnold Schönberg Center gegründet wurde. 4 Alle zitierten Briefe befinden sich, wenn nicht anders vermerkt, in der Schoenberg Collection der Library of Congress, Kopien der Korrespondenz befinden sich im Arnold Schönberg Center Wien, das auf seiner Homepage www.schoenberg.at eine Recherche-Datenbank zur Korrespondenz zur Verfügung stellt, die auch zahlreiche Briefe in Transkriptionen mitteilt. Den Archiv-Mitarbeitern des Arnold Schönberg Center Eike Feß und Therese Muxeneder, sowie Dr. Eike Rathgeber, Kritische Ausgabe der Schriften Arnold Schönbergs, verdankt die Autorin vielfältige Unterstützung und ohne den Austausch mit Reinhard Kapp und Regina Busch wäre der vorliegende Text vielleicht nie entstanden. Für die Erlaubnis, ausführlich aus bisher unpublizierten Korrespondenzen zu zitieren, sei sehr herzlich gedankt: Lawrence Schoenberg, Belmont Music Publishers, Los Angeles; Dr. Thomas Daniel Schlee, Klagenfurt; sowie Dr. Clemens Rufer, Berlin; zu den Rechtsnachfolgern von Hans Rosbaud konnte bisher leider kein Kontakt hergestellt werden. 5 Berühmt und gut dokumentiert sind etwa die programmatischen Schönberg-Aufführungen bei den Darmstädter Ferienkursen, in: Im Zenit der Moderne (s. Anm. 1). Eine ausführliche Dokumentation der Schönberg-Aufführungen in Deutschland und Österreich in der unmittelbaren Nachkriegszeit etwa im Rahmen der Wiener Festwochen und im Umfeld von Schönbergs 75. Geburtstag etc. steht noch aus. Einen Versuch, das bildnerische Werk 1949 in München im Rahmen einer Neuauflage der Blauen Reiter-Ausstellung von 1911 zu zeigen, dokumentiert Therese Muxeneder, „Schönberg stellt aus“, in: Arnold Schönberg, Catalogue raisonné, hrsg. von Christian Meyer und Therese Muxeneder, 2 Bde., Bd. 2 (Textband), erscheint: Wien 2005. 6 Selbstverständlich wird später die Frage der Verfügbarkeit von Notenmaterialien ein ständiges Thema in der Korrespondenz mit Schlee und es wird Ende der 40er Jahre auch ernsthaft der Plan diskutiert, die Werke auf Mikrofilmkopien in den größeren Bibliotheken zur Verfügung zu stellen, bis 85