OCR
Gilbert Badia (1916 — 2004) zum Gedenken Der geneigte Leser wird mir vielleicht verzeihen, daß die nachfolgenden Zeilen nicht der Form eines gemeinhin in Redaktionsstuben verfaßten „obligatorischen“ Nachrufs entsprechen. Ich, der Gilbert seit genau dreißig Jahren kannte, wußte nicht einmal, daß er 88Jahre jung war, als er im November letzten Jahres in Paris verstarb. Von seinem Tod erfuhr ich, als ich ihm meine Neujahrswünsche übermitteln wollte und Simone, seine treue Gefährtin, mir das Unwiderrufliche mitteilte. Er hatte mich schon genau vor einem Jahr — ganz fein und ironisch, wie es seine Art war — davor gewarnt, daß ich nunmehr — bei meiner chronische Schreibfaulheit — damit zu rechnen habe, daß mein nächster Brief ihn eventuell nicht mehr erreichen könnte... Ich hatte diesen Wink damals nicht verstanden und schäme mich auch jetzt noch maßlos dafür. Die Menschen, die wir lieben, respektieren, bewundern und denen wir unwahrscheinlich viel verdanken sind Bestandteil unseres Ichs. Als solche haben sie nicht zu sterben, dürfen nicht sterben, müssen ewig leben und uns (die, wir ja noch nicht gestorben sind) begleiten... Wie kann uns jemand verlassen, der uns für das Leben prägte, der in unserer Erinnerung für immer als Eckpfeiler eingeprägt ist, der, als ich ihn kennen, schätzen und lieben lernte, kaum älter war, als ich es jetzt selber bin und der noch vor zehn Jahren, hier in Ungarn (er war demnach damals bereit 78 Jahre jung!) - zusammen mit Simone — Tagesausflüge (mit mir als Opfer, das ihnen kaum folgen konnte) unternahm, die mich an den Rand der physischen Erschöpfung brachten... Gilbert hat Generationen von französischen Germanisten ausgebildet. Ein unorthodoxer Marxist, ein Linker, der sich und seinen Idealen immer treu geblieben ist, tolerant, selbstkritisch und allen wichtigen Problemen des Lebens gegenüber stets aufgeschlossen... Weder Umweltprobleme noch der Feminismus haben ihn unberührt gelassen. Und vor allem war er nicht nur Lehrer, Professor, Doktorvater, Germanist, Historiker, Exilforscher, begnadeter Übersetzer deutscher Literatur ins Französische, sondern für sehr viele unter uns ein steter Begleiter, der uns trösten, aufrichten und neuen Mut einzuflößen wußte. Nicht mitleidsvoll, sondern ganz nebenläufig, ironisch, humorvoll, optimistisch. „Tu deconnes...“ pflegte er mir zu schreiben, wenn ich wieder meinte glaubte, den Kriterien des „positiven Denkens“ nicht entsprechen zu können. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich hier behaupte, daß ihn seine „Arbeit“ über Rosa Luxemburg stets die liebste und die wichtigste war. Kein Zufall. Dem geneigten Leser dieser Zeilen möchte ich sie hiermit wärmstens empfehlen. Gilbert Badia würde sich gefreut haben... Rene Geoffroy Rezensionen „Ist Wagner jetzt ‚entlarvt’?“ fragt der Autor, unüberbietbar rhetorisch, des im letzten Jahr erschienenen Buches in der Einleitung. Richard Wagner zählt zwar zu jenen (Künstler)persönlichkeiten, deren Leben und Schaffen am häufigsten porträtiert und bearbeitet worden sind, er konnte jedoch durch seine auch post mortem wirkende religiöse Aura ebenso bewirken, daß ein Großteil dieser biographischen Zuwendungen die Hagiographie als Stilmittel gewählt und Verherrlichungen, wie sie etwa Helmut von Glasenapp zu bieten bereit war, ungefragt übernommen hat. Durch diese Reduktion schrumpft der Corpus wissenschaftlich haltbarer kritischer Biographien auf ein durchaus übersichtliches Maß. Diesem hat der Musiker und Musikologe Ulrich Drüner eine wichtige Studie hinzugefügt. In ihr werden die oft beschworenen „zwei Seiten“ Wagners, der schöpferische und der menschenverachtende Aspekt, einer quellenbezogenen, wissenschaftlichen Analyse unterzogen und somit ihres für fanatische Wagnerianer nur allzu bequemen Charakters beraubt. Drüners durchaus eingelöster Anspruch ist kein geringerer als der, beide Seiten aufeinander zu beziehen, ja sie wechselseitig voneinander abhängig zu machen. Dabei hakt Drüner bei jenem Thema ein, das Wagners „dunkle Seite“ am treffendsten zu charakterisieren vermag, dem Antisemitismus. Er differenziert nicht nur äußerst genau zwischen der frühesten Antipathie, die sich etwa in dem Brief an Theodor Apel vom 13. Dezember 1834 äußert, wo Wagner vom „vefluchten Judengeschmeiß‘“ spricht, und den späteren konkreten Formen des Wagnerschen Antisemitismus; er differenziert auch innerhalb der letzteren zwischen jenem der Dresdner Revolutionszeit um 1849 und dem späten, ab 1869 einsetzenden, rassisch begründeten Judenhaß, der sich in den nur schwer mißzuverstehenden „Regenerationsschriften“ niederschlägt. Auf diesen methodologischen Zugang Drüners hinzuweisen, ist aus zwei Gründen interessant, wiewohl die Differenzierung in dieser Genauigkeit bereits vor ihm von Forschern wie Jacob Katz, Paul Lawrence Rose oder Marc A. Weiner aufgezeigt wurde: Zum einen ist es innerhalb der Bayreuth-treuen Hofschranzen-Forschung noch immer en vogue, Unterschiede in der jeweiligen Ausprägung des Wagnerschen Antisemitismus’ zu vermischen, um denselben auf diese Weise bagattellisieren zu können; zum anderen baut Drüner auf dieser differenzierten Sichtweise jene Theorien auf, die sein Buch in seiner Einzigartigkeit zu einem weiteren Meilenstein innerhalb der kritischen Wagnerforschung machen. Er wählt die neuralgischen Punkte innerhalb der den Antisemitismus betreffenden Quellen und vergleicht sie mit den Impulsen von Wagners kreativen Potential. So wird die erste antisemitsche Schrift Wagners, „Das Judenthum in der Musik“, nicht im Zusammenhang mit ihrem Erscheinen 1850 betrachtet, sondern im Hinblick auf ein für diesen Bereich unschätzbar wertvolles Dokument, einen Brief Minna Wagners aus eben diesem Erscheinungsjahr 1850. Darin steht zu lesen: Nur wiederum seit zwei Jahren, als Du mir jenen Aufsatz vorlesen wolltest, worin Du ganze Geschlechter schmähtest, die Dir doch im Grunde Liebes getan, seit jener Zeit grolltest Du mir und straftest mich damit so hart. Im selben Jahr 1848 entsteht, nach der Vollendung des „Lohengrin“, der erste Entwurf zum Nibelungen-Drama, der mit dem Willen zur völligen Erneuerung des Musiktheaters einhergeht und den zündenden Impuls für die Ring-Tetralogie liefert. Zwei Jahre später erscheint das bei Minna erwähnte JudenPamphlet in der „Neuen Zeitschrift für Musik“. Kurz zuvor erhält Wagner einen Kompositionsauftrag für „Siegfried“ aus Weimar. Seine darauf bezogene Uninspiriertheit ist Briefen aus dieser Zeit zu entnehmen. Als er jedoch das Judenpamphlet zur Drucklegung neu bearbeitet, kommt ihm die Inspiration, und er komponiert den Beginn von „Siegfrieds Tod“, die erste, später verworfene Musik, die er für den zukünfitgen „Ring“ schreibt. Die 12 Minuten des Fragments sind bereits auf CD eingespielt. Sowohl die Abfassung des „Judenthum in der Musik“ 1848 als auch deren erneute Bearbeitung für die Drucklegung haben somit wichtige kreative Schübe verursacht. Drüner weist in packender Weise diesen ,,sexuellen Kick“ zum Schöpferischen nach. Der Haß als Movens für die oft schwer zu erlangende Kreativität Wagners gewinnt so in der Darstellung des Autors eine greifbare und schwer zu widerlegende Plastizität. Wagner selbst schreibt am 18. April 1851 an Liszt: Ich hegte einen lang verhaltenen Groll gegen diese Judenwirtschaft, und dieser Groll ist meiner Natur so notwendig, wie Galle dem Blute. Diese von Wagner selbst bekannte Fixierung wird bis in dessen späte Jahre konsequent angewandt. Besonders interessant ist dabei der Eindruck, den Tizians Madonna in der Accademia in Venedig auf ihn hinterließ: Nach deren Anblick, so bekennt er Mathilde Wesendonck, beschloß ich die Ausführung der ‚Meistersinger’. Den atheistischen Wagner interessiert an dieser Figur in erster Linie der zum Haß auf die Gottesmörder gewandelte Schmerz Mariens, ein Vorgang, den bereits Heine einige Zeit zuvor treffend charakterisiert hatte. Die Ausführung von Wagners penetranter Choroper ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Kurz hingewiesen sei hier die zweite Auflage des Juden-Pamphlets, die 1869 nach 15-mo89