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Wir hatten uns das anders vorgestellt. Wir wollten den zwanzigsten Geburtstag unserer Zeitschrift Zwischenwelt schon im Jahre 2004 würdig begehen, zwanzig Jahre einer großen, vielseitigen, lebendigen und hoffentlich auch fruchtbaren Arbeit. Doch leider fiel der Geburtstag der Zeitschrift in eines jener Jahre, die vom Motto „Viel Arbeit, wenig Geld“ geprägt waren. Enthalten zwischenstaatliche Handelsverträge mitunter eine „Meistbegünstigungsklausel“, gilt in Österreich für Projekte auf dem Gebiet der Exilkultur und -forschung eher die „Mindestbegünstigungsklausel“. Daß der Verein Orpheus Trust seine Arbeit nach zehn erfolgreichen Jahren nun mangels ausreichender Förderung einstellen mußte (vgl. S. 80), ist alarmierend. Eine neue „Europäische Plattform für vom Nationalsozialismus verfolgte Musik“ wird nun angestrebt. (Wir berichten im nächsten Heft.) Damit ist in dürren Worten auch die lange Pause seit dem letzten ZW-Heft erklärt, wenn auch nicht entschuldigt. Die Redaktion von ZW besteht aus lauter hervorragenden ExpertlInnen (wir wollen sie bei nächster Gelegenheit einmal vorstellen), doch die Herausgeber verfügen über keine Ressourcen, jemanden zu ständiger Mitarbeit heranzuziehen. Dies wäre unbedingt nötig. Wir freuen uns, in diesem Heft das Register der ersten 20 Jahrgänge, zusammengestellt von Ulrike Oedl, vorzulegen. Finanziert wurde diese Arbeit vom Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur. Das Register als eigene Broschüre zu drucken, konnten wir uns früher einmal leisten. Alle AutorInnen, deren Beiträge verschoben werden mußten, bitten wir um Verständnis. Im Stillen wurde inzwischen im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft an neuen Publikationen gearbeitet. Die Neuausgabe von Leo Katz‘ Roman „Brennende Dörfer“ (in Kooperation mit dem Rimbaud Verlag) und eine Serie von 24 Postkarten mit Bildern österreichischer SpanienkämpferInnen (zusammengestellt von Erich Hackl und Hans Landauer) sind schon erschienen. Im September/Oktober folgen Alois Kaufmanns Gedichtband „dass ich dich finde“ (hg. von Mechthild Podzeit-Lütjen, in Kooperation mit dem Mandelbaum Verlag), das Jahrbuch Zwischenwelt X, hg. von Armin A. Eidherr und Karl Müller, „Diaspora — Exil als Krisenerfahrung. Jüdische Bilanzen und Perspektiven“ (in Kooperation mit dem Drava Verlag) und die große Anthologie österreichischer Lyrik des Exils und des Widerstandes (hg. von Miguel Herz-Kestranek, Konstantin Kaiser, Daniela Strigl). Es wäre schön, wieder einmal ein Editorial schreiben zu dürfen, in dem ganz banal über schwierige ästhetische Fragen nachgedacht wird. Die nächste Ausgabe (hoffentlich im Oktober) hat als umfangreichen Schwerpunkt „Exil in Ungarn“. Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser Die heurigen Preisträger sind Milo Dor (posthum) und Robert Sommer zu gleichen Teilen. Die Verleihung fand am 19. Mai in der ehemaligen Minoritenkirche Krems-Stein statt. Die Reden von Karl Müller, Christian Teissl, Konstantin Kaiser und Robert Sommer werden in der nächsten ZW veröffentlicht werden. Die Begründung der Jury (Siglinde Bolbecher, Erich Hackl, Primus-Heinz Kucher, Eva Schobel und Daniela Strigl) fiir Milo Dor lautete: Eine kritische, mahnende, aufklärerische Stimme war Milo Dor und ist es mit all seinen uns hinterlassenen Schriften, Romanen, Features, Filmen, Hörspielen und Essays, geblieben und wird es bleiben. Widerstand gegen Faschismus und Gewalt teilt sich uns in jeder Zeile mit. Milo Dor mußte erfahren, was Folter ist, und das Exil kennen lernen. Nie und nimmer wollte er verstehen, was Rassisten, Nationalisten und Mächtige uns unentwegt einbläuen wollen. Milo Dor wußte, wie Sprache lügen und betrügen kann, wie sich Fremdenfeindlichkeit, Antislawismus und Antisemitismus in politischen Zungenschlägen zynisch maskieren, übte Solidarität und Humanität und besaß ein tiefes Wissens um interkulturelle Beziehungen. Ihm war die ganze vielfältige Welt Heimat, ein Kosmopolit, aber mit Ecken und Kanten. Ihm waren Vernunft, Heiterkeit und Wahrhaftigkeit gegeben und die Kunst, von diesen Gaben auch Gebrauch zu machen. Die Menschenwürde, die er einmahnte, lebte er vor. Milo Dor haben wir den Preis für Schreiben im Exil und im Widerstand zugesprochen — zu einem Zeitpunkt, als Milo Dor noch unter uns war und wir hoffen durften, ihn zur feierlichen Verleihung begrüßen zu dürfen. Die Begründung für Robert Sommer: Mit dem Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und Exil ehren wir Dich für die große Arbeit, die Du als Mitbegründer und koordinierender Redakteur der Straßenzeitung „Augustin“ geleistet hast. Wir bewundern aber nicht allein das quantitative Ausmaß dieser Leistung, sondern auch ihre spezifische Qualität. Du hast an den Rand Gedrängte zum Schreiben und zum Artikulieren ihrer Erfahrungen ermutigt. Du hast die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus und an den Widerstand gegen ihn verbunden mit dem Protest gegen soziale Kälte und Enge, gegen Vorurteil und Inhumanität der Gegenwart. Du erweist Dich in den ungezählten von Dir verfaßten Reportagen und Artikeln als ein von rastloser Neugier Getriebener, von der Neugier am Leben in der Peripherie, vom Rand her. Die Peripherie der Gesellschaft entziffert Dir die Wahrheit dessen, was heute im Zentrum steht. Und Du findest immer wieder Spuren gültiger Lebensgestaltung in einer Sphäre, in der eine auf sich zurückgeworfene Literatur aufgehört hat, einen Weg ins Freie zu finden.