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Die Nachricht von Fred Wanders Tod hat uns bestiirzt, obwohl wir wußten, daß er seit Jahren nicht mehr ganz gesund war. Er hatte jedoch eine eigene Art, sich auf sich selbst zurückzuziehen, in sich zu versinken und darin auf geheimnisvolle Weise wieder zu Kräften zu gelangen. Und so glaubten wir ihn, dem der Tod stets Teil des Lebens war (doch nicht umgekehrt), noch lange Zeit für uns zu haben. Die Juden, schrieb Fred Wander, in einer Sammlung von Reflexionen und Notizen, die er „Bagatellen“ nannte, „leben seit zweitausend Jahren am Rande des Abgrunds und im allgegenwärtigen Bewußtsein des Todes — während die Ansässigen, die im Geborgenen Lebenden den Tod verdrängen. Das Wissen um Tod und Endlichkeit öffnet das innere Auge für die Schönheit und die wahren Werte des Daseins, für die Wunder des Lebens. Sie genießen die Freiheit jener Menschen, die nirgends einzuordnen sind. Sie sammeln vielerlei Erfahrungen und Einsichten, die nur der versteht, der auch in der Fremde und im Ungewissen zu leben vermag und doch niemals aufgibt!“ Eigentlich hieß Fred Wander Fritz Rosenblatt und ist in Wien-Neubau aufgewachsen. In seinen Erinnerungen beschreibt er den Innenraum der Familie, die gesellige und erzählfreudige Mutter, den lesehungrigen Vater, nicht die nähere Umgebung. Es gibt keine gemütliche Verbundenheit mit dem Viertel. „Weißt du denn nicht, wo du hingehörst, Itzig?“, attackiert ihn ein Straßenjunge. „Der Judenhaß war der Geruch der Straße.“ Nur nicht stehen bleiben. Der Knabe durcheilt Wien, zuerst in selbstauferlegten Tagesmärschen, dann als Botenjunge einer Kleiderfabrik. In den Höfen und Hinterhäusern der Gegend nisteten noch Manufakturen aller Art. Ein immerzu Weitergehender, Herumgetriebener, ein „Wander“ sollte er auch werden. Drei große Bücher hat Fred Wander geschrieben, darunter eines, das vermutlich ein Klassiker ist — „Der siebente Brunnen“ (1971). Wander war 1938 über die Schweiz nach Frankreich geflüchtet, hatte sich lange in Marseille aufgehalten und versucht, sich 1942 in die Schweiz zu retten. Die Schweizer Grenzwache hatte ihn in Ketten der Vichy-Polizei übergeben, von der er an die Deutschen ausgeliefert wurde. Vorher nahmen sie ihm weg, was er bei sich hatte. Erst vor wenigen Jahren wurden in einem Genfer Archiv die kargen Erinnerungsstücke an Eltern und Schwester wiederentdeckt, die verblichenen Fotos der in Auschwitz ermordeten Verwandten. Wander überlebte die Konzentrationslager Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Erst mehr als zwanzig Jahre später konnte er darüber schreiben. Das Einzigartige am „Siebenten Brunnen“ ist die Vergegenwärtigung der ganz besonderen Mernschen, die im KZ seine Gefährten waren. Wander nimmt ihre Vernichtung nicht hin, er beschwört sie in ihrer Lebendigkeit, ihrer vielseitigen Intelligenz, ihren Gesprächen und Geschichten. Wander vermochte wie kaum ein anderer zu sehen und zu hören, sich davon ergreifen zu lassen und gerade in dieser Ergriffenheit sehr genau zu sein. Das zweite große Buch ist „Hötel Baalbek“ und schildert das Leben der Flüchtlinge in Marseille 1940 — 42, also in der sogenannten nicht-okkupierten Zone Frankreichs. In diesem Buch präsentiert sich ein Humor des Nicht-Identischen, Nicht-Dazugehörigen, des Paria, der durchzuschlüpfen versteht, sich gewissermaßen im Zickzack durch die Gesellschaftsmaterie be wegt. Die Verfolger wollen dieses Nicht-Identische ausmerzen, ein für allemal. „selbstverständlich“, sagte Fred Wander bei der Verleihung des Theodor Kramer Preises für Schreiben im Widerstand und im Exil 2003, „lebt ein Mensch, der seine Jugend und Kindheit als Katastrophe erfahren hat, ... in dauerndem Widerstand. Widerstand heißt Überleben! Nicht nur kämpfen - auch flüchten, rechtzeitig verschwinden ist Widerstand und nicht etwa Feigheit. ... Und das ist Widerstand: Dem Haß zu widerstehen, der uns beigebracht wird von denen, die Haß und Verachtung säen, um zu herrschen.“ Ruth Klüger, bei der Verleihung dabei, hat Wander zu ‚ihrem‘ Verlag, Wallstein in Göttingen, gebracht. In ihm ist soeben die erweiterte Neuausgabe von Wanders Autobiographie (zuerst 1996) und damit seines dritten großen Buches erschienen: „Das gute Leben oder Von der Fröhlichkeit im Schrecken“. In der Neuausgabe erfährt man auch mehr von Wanders unablässigem Nachdenken über das Leben und seine stets bedrohte Zukunft. Fred Wander aber starb am 10. Juli in Wien. Konstantin Kaiser