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How is a post-Holocaust generation of artists supposed to „remember“ events they never experienced directly? War einer der ersten Sätze, die mich im Feber 2005 in dem Buch? ansprachen, das mir Howard Falkensohn, Archivar der Wiener Library in London, zum Lesen gegeben hatte. „Alles, worüber sie nachdenken, alles was sie über den Holocaust wissen, ist in Tagebüchern zu finden, die Überlebende Ihnen aus ihren Erinnerungen hinterlassen haben“, las ich weiter. Diese Sätze verunsicherten mich zunehmend. War ich doch nach London gekommen, um auf die eigentlichen Spuren dieser Frau zu kommen, die aus Wien fliehen musste und die ich nur von Fotos kannte. Ich hatte bis dahin Briefe gelesen, von ihr, an sie. Hatte Bilder gesehen, die sie angefertigt hatte, Bücher gelesen, die Hatte das etwas zu tun mit der Thematik selbst? Die Geschichte war doch eine, die mit einem Verschwundensein ihren Anfang genommen hatte. Als Studentin an der Akademie der bildenden Künste stieß ich bei der Suche nach meinen künstlerischen Vorgängerinnen auf - fast nichts. Nichts. Als ich im Zuge meiner Diplomarbeit dieses Fehlen, Abgehen, nicht gesehen werden thematisierte, erfuhr ich von dem Nachlass einer gewissen Frau Ehrlich, der zwar existierte, anscheinend jedoch nur wenigen bekannt war. Nach dem ersten Treffen mit dem Nachlassverwalter bemerkte ich in mir eine Neugier, der ich mich nicht mehr entziehen konnte. Aufden Fotos wirkte Bettina Ehrlich groß, schlank, apart gekleidet. In Wirklichkeit sei sie zart und klein gewesen. Mei Bettina Ehrlich-Bauer in ihrem Wiener Atelier 1930 Foto: Privatsammlung Bernd Kreuter sie geschrieben und illustriert hatte. Hatte Orte aufgesucht, wo sie gelebt und gearbeitet hat, wo sie beerdigt war. Ich erkannte ihre Handschrift. Bis zu dem Punkt war mir die 1903 in Wien geborene Bettina Ehrlich, geborene Bauer, die Frau des Bildhauers Georg Ehrlich, Nichte Adele Bloch-Bauers und Cousine Maria Altmanns, vertraut gewesen, dachte ich zumindest. Jetzt in London, wo ich niemanden kannte, wo ich mich in den Straßen nicht zurechtfand, wo die Sprache eine andere war, begann ich zu zweifeln. Und die Fragen schienen immer mehr zu werden. Who owns history? Who can represent its complextity?? Ich war im Begriff gewesen, eine Anwesenheit ausfindig zu machen in etwas, das abwesend war. Es war etwas verloren gegangen. In meiner Projektbeschreibung hatte ich mich als die gesehen, die das Verlorene wiederfinden und zurückbringen würde. Im Prozess des Tuns schien ich mich dann selbst zu verlieren. Bettina Ehrlich-Bauer in ihrem Londoner Atelier 1958 Foto: Privatsammlung Bernd Kreuter stens trug sie ihre schwarzen Haare mit Mittelscheitel. Als Künstlerin schien sie ihre eigene Sprache in Richtung Neue Sachlichkeit entwickelt zu haben. Nach internationalen Ausstellungsbeteiligungen und Wettbewerben war sie gerade dabei, in Wien eine Karriere als Künstlerin zu beginnen, als diese 1938 abrupt beendet wurde. Ihr blieb gerade noch so viel Zeit, die Ausfuhr der Werke ihres Ehemannes zu organisieren. Bei ihren eigenen musste sie sich mit der Mitnahme von Fotografien begnügen. Während ihrer ersten Zeit im Londoner Exil ist es gerade die renommierte Firma Liberty, für die sie ihre ersten Aufträge ausführt. Es sind dies Stoffdesigns und Schals, für die Ziberty berühmt war und heute noch ist. Neben dem Management ihres Ehemannes, der 1940-41 auf der Isle of Men interniert ist, beginnt sie mit dem Verfassen und Illustrieren von Kinderbüchern. In einem Brief beschreibt Bettina Ehrlich die