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Auszüge aus einem Gespräch mit Josef Burg am 26. und 27. November 2005 in seiner Wohnung in Czernowitz (heute Chernivtsi, Ukraine) Josef Burg, europaweit bekannt als einer der letzten jiddischen Schriftsteller, sitzt in seinem Arbeits- und Wohnzimmer in der Sheptytski Strasse, der früheren Czernowitzer Landhausgasse, neben einem großen, mit Gas geheizten Kachelofen. Geboren am 30. Mai 1912 im Städtchen Wischnitz am Fluß Czeremosz als als Österreicher, nachmalig Bürger Rumäniens, der Sowjetunion und nunmehr der Ukraine. Klein und schmal ist er geworden, aber seine fast blinden Augen sind rege, seine Sprache klar („das einzige, was mir der Herr erhalten hat, ist der Verstand, ich spreche keinen Blödsinn“). Das Telefon ist seine Lebensader zur Welt, er spricht Jiddisch, Russisch, Deutsch. Publikationen aus der ganzen Welt, die ZW der Theodor Kramer Gesellschaft aus Wien, der Vorwärts aus New York, liegen auf seinem Schreibtisch. Nur ein einziger Czernowitzer kann ihm diese jiddische Zeitschrift noch vorlesen, in einer Stadt mit vierzig jiddischen Schriftstellern vor dem Krieg. „Ich will der einzige, aber nicht der letzte jiddische Schriftsteller sein, aber ich bin der letzte, in Czernowitz und der ganzen Ukraine.“ Seine Wurzeln hat er in der Bukowina, dem einst jüngsten Kronland der Donaumonarchie, in den Karpaten, aber er ist ein Weltbiirger, auch wenn er jetzt physisch an sein kleines Universum im heutigen Chernivtsi gebunden ist. Czernowitz ist eine multinationale Stadt, sie war multinational bei Österreich, auch bei Rumänien, aber der Unterschied ist der österreichische Geist vom Miteinander, vom Zusammenleben. Er lebt noch heute, keine Feindlichkeiten zwischen den Menschen, es ist unmöglich in Czernowitz eine antisemitische Zeitung herauszubringen, im Gegensatz zu benachbarten Regionen. Beim Fest zum 85. Geburtstag für den Czernowitzer Paul Celan habe sich dies wieder gezeigt, ist sich Josef Burg sicher. „Kaiser Joseph I. hat den Juden das Bürgerrecht gegeben“, erwähnt er, „sie zu selbständigen Bürgern und Menschen gemacht, die Juden haben aufgelebt, sie haben es sehr gut gehabt.“ Der Vater, ein Flößer auf dem Czeremosz, dessen LegendenErzählungen ihn wie die Karpaten-Lieder der Mutter geprägt haben, war österreichischer Soldat im Ersten Weltkrieg. Er wurde an der italienischen Front verwundet und nach Wien ins Lazarett gebracht. „Eines Tages ist der Kaiser in dieses Spital gekommen, und ich habe Kaiser Franz Joseph gesehen“, erzählt Vater Burg der Familie immer wieder. „Das hat das ganze Leben getragen“, merkt der nunmehr 93-jährige Sohn an. Und: „Mein Vater hat ein Glück gehabt, er ist 1938 gestorben. Sein Grab ist das einzige, das ich habe.“ Der Bruder kam 1937 als Spanienkämpfer bei Madrid um und liegt in einem Massengrab, die Mutter wurde nach einem Gewaltmarsch von den Nazis und ihren Helfern vermutlich bei Kiew erschossen. Der jüdische Friedhof im Geburtsort Wischnitz, mit seinen vielen schönen und künstlerischen Grabsteinen und den Gräbern der Vorfahren, wurde von den Sowjets zerstört und zu einem Sportplatz gemacht. Vorher: Mitte der dreißiger Jahre geht Josef Burg nach Wien zum Germanistik-Studium. Nach dem brodelnden Bukarest erscheint ihm Wien feiertäglich gemütlich, wie er in In der Dämmerung schreibt. Er wohnt bei seiner Tante, einer Schwester seines Vaters, und ihrem Mann in der Rueppgasse in der Leopoldstadt. Die Gemütlichkeit ist vordergründig, wie er später herausfindet. Als die Nazis kommen, schreit der Nachbar, ein Eisenbahner, halb besoffen: „Diesen Juden muß ich als Geschenk den Führer bringen.“ Fürderhin meidet er den Korridor und steigt über das Fenster in die Wohnung der Tante. Die jiddische Sprache, seine eigentliche Heimat, wird auch von vielen Wiener Juden als „Jargon“ abgetan. Als ihn sein Professor an der Universität Wien bei der Mittelhochdeutsch-Prüfung nach seiner Muttersprache fragt und er „Jiddisch, Herr Professor“ antwortet, erwartet er als Replik das übliche „Jiddisch ist ein verdorbenes Deutsch“. Aber der Germanist antwortet: „Jiddisch, junger fraint, is a loschn beazmoi“, eine Sprache für sich, eine Bestätigung, die Josef Burg nach all den Jahren noch wichtig ist, und ein in dieser Zeit zunehmend seltenes Wort eines altösterreichischen Humanisten. Im Cafe Central trifft er Künstler, Maler, Schriftsteller, darunter einige jiddische Schriftsteller, wie den Arzt Melech Chmelnizki oder den Juristen Mendel Neugröschel oder Ber Horowitz aus Galizien, den Sänger der Karpaten, denen er später mit seinen Geschichten Steine auf das Grab legt. „Ich habe das Gute und Schöne in Österreich erlebt, aber auch den Anschluß. Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, daß die Österreicher mit den Nazis zusammengearbeitet haben, sie päpstlicher als der Papst sein würden.“ Tief eingeprägt hat sich ihm die Szene kurz vor dem Anschluß. Ich stehe vor dem Kanzleramt. Schuschnigg steht auf dem Balkon. Menschen, Menschen, Menschen, 15.000, 20.000. Der ganze Platz war voll. Aus dem 20./19. Bezirk kommen die Arbeiter, die die Februarrevolution durchführen wollten, sie kommen mit geballten Fäusten, Kommunisten, Sozialdemokraten, „Österreich bleibt Österreich, Österreich bleibt Österreich“, die anderen schreien „Heil“, plötzlich dankt Schuschnigg ab, er macht einen Schritt zurück, an seine Stelle Seyß-Inquart... „Es lebe die Ostmark, Österreich ist nicht mehr da, es lebe das Dritte Reich, es lebe der Führer. “ Überall „Heil“, und ich habe gesehen, wie sich die geballten Fäuste plötzlich ausgestreckt haben, ein schreckliches „Heil“. „Als die Aussiedlungen der Juden begonnen haben, dann bin ich von Österreich weg.“ Er will nach England, um sein Studium fortzusetzen. Nachdem ihm ein Beamter der tschechoslowakischen Botschaft, den er zufällig im Café Central trifft, rät, nicht über die Schweiz zu fahren („die Schweiz wird sie sofort in die Hände der Gestapo übergeben“), reist er nach Prag, bekommt ohne Problem das Visum für Großbritannien und das Durchreisevisum für Frankreich. Als er in der deutschen Botschaft mit dem Paß kommt, der bereits die Visa für Großbritannien und Frankreich enthält, um ein weiteres Durchreisevisum zu beantragen, fragt der Beamte: „Wer sind Sie?“ Burg gibt ihm dem Paß. „Aber Sie kommen ja aus Österreich, sie sind geflohen aus Österreich.“ „Nein, ich bin mit dem Zug gefahren.“ „Sie sind Jude.“ „Nein, ich bin Rumäne.“ (Das stand ja nicht wie bei Stalin im Paß). „Ja, Sie haben einen rumänischen Paß, aber Sie sind Jude.“ Kein Visum, er kehrt nach Czernowitz zurück, wo er entdeckt, daß ihm die rumänische Staatsbürgerschaft ent