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Dorfes, die von der bergenden Mitte der Gemeinschaft so weit entfernt ist wie nur möglich. Die Dürftigkeit der Föhren steht als Metapher für die Armut der Frau. Ihre Lebenslage wird auch durch die Art des Baus, den sie bewohnt, signalisiert. Dass ihre Hütte noch dazu halb verdeckt ist, suggeriert das Verstecktseinwollen des Subjekts, das durch die Umstände zum Objekt erniedrigt worden ist. Über diese Frau ahnt der Leser schon nach dem ersten Satz eine Menge - er präfiguriert die ganze Erzählung. Die Frau ist namenlos. Sie steht für all die Einzelnen, die durch die Inhumanität und Feigheit der Gruppe zum identitätslosen Opfer gemacht worden sind. Auch das Schicksal der Autorin steckt in dieser Figur: die hübsche, lebensfrohe Medizinstudentin Stella Siegmann, die mit Herz und Seele nach Wien gehörte, aber wegen der Inhumanität und Feigheit ihrer Wiener Mitbürger von damals sich mit ihrem „J-Paß“ zum nördlichen Rande Europas begeben musste, um das Recht, wie ein Mensch zu leben, in Anspruch zu nehmen. Und wie immer waren die Täter unwillig, ihrem Opfer zu verzeihen. Erst die zweite oder gar dritte Generation nahm die Schuld der Väter auf sich und sprach sie eindeutig aus. Es fiel vor allem den ersten Herausgebern von Stellas Werken und den Freunden bei der Theodor Kramer Gesellschaft zu, Stella die Anerkennung zu verschaffen, die sie verdiente. In einem Gedicht von ihr, das Ihr alle kennt, steht es: Am Wege Ich trage zwei tiefe Wunden in meinen Seiten; sie sind mir von Mächten geschlagen die mich begleiten. Doch treffe ich Menschen am Wege die verweilen um meine zwei tiefen Wunden zu heilen. Möge diese kleine Versammlung von Freunden und Bewunderern aus Österreich, Deutschland, England, Schottland und Irland bei der Feier von Stellas neunzigstem Geburtstag ein wenig dazu beitragen, die ihr geschlagenen Wunden noch weiter zu heilen. Beitrag Eoin Bourkes zum „Gespräch der Freunde“, das am 24. März in der Österreichischen Botschaft in London stattfand. Eingeladen hatten das Österreichische Kulturforum, die Theodor Kramer Gesellschaft und Botschafterin Gabriele Matzner-Holzner. Es sprachen in Anwesenheit Stella Rotenbergs 80 Stella Rotenberg, London, März 2006. Foto: Siglinde Bolbecher Siglinde Bolbecher, Eoin und Eva Bourke, Konstantin Kaiser, Primus-Heinz Kucher, Werner Lausecker und Donal McLoughlin. Beim anschlieBenden Empfang der Botschafterin Dr. Gabriele Matzner-Holzer ergab sich die Gelegenheit zum Gespräch mit englischen FreundInnen und Kollegen vom Research Centre for German and Austrian Exile Studies, London. Stella Rotenberg las aus ihren Gedichten, Donal McLoughlin aus den von ihm zusammen mit Stephen Richardson übersetzen Gedichten Rotenbergs. Am Schluß lasen alle TeilnehmerInnen ihr jeweiliges „Lieblingsgedicht“. Es war eine sehr würdige, von Heiterkeit und Zuneigung erfüllte Zusammenkunft. — Wir werden die Beiträge nach und nach veröffentlichen, nach Maßgabe ihres Eintreffens in schriftlicher Form. — Red. Eoin Bourke ist mittlerweile emeritierter Professor am Deutschen Seminar der Universität Galway, Republik Irland. Schrieb u.a. über Stilistik, Vormärzliteratur, engagierte Lyrik, Immigrantenliteratur. Verfasser des Buches „The Austrian Anschluss in History and Literature“ (Galway/Dublin 2000). In dem von S. Wiesinger-Stock, K. Kaiser und E. Weinzierl herausgegebenen Band ‚Vom Weggehen. Zum Exil von Kunst und Wissenschaft“ (Wien: Mandelbaum 2006) schreibt er über das österreichische Exil in Irland (‚ Irland, George Clare und die Kagran Gruppe“). Auflösung des Orpheus Trust Der Orpheus Trust — Verein zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst hat am 22. Juni 2006 in einer ausserordentlichen Generalversammlung die Auflösung des Vereines per 31. August 2006 beschlossen. Der Vorstand des Orpheus Trust hat zur Vorbereitung dieser Entscheidung mit in- und ausländischen Organisationen, die Interesse an der Übernahme der Bestände und einer Weiterarbeit haben, Kontakt aufgenommen. In zehn Jahren Tätigkeit hat der Orpheus Trust 4.700 NS-verfolgte Musikschaffende und 13.000 ihrer Werke recherchiert und dokumentiert sowie in 300 Veranstaltungen und Publikationen an die 3000 verfolgte Musikschaffende der Öffentlichkeit präsentiert. Die Arbeit des Vereins wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und erfährt internationale Anerkennung. Die vielschichtigen Aktivitäten wurden mit Hilfe bezahlter und ehrenamtlicher Mitarbeiter durchgeführt und von privaten Organisationen und Einzelpersonen wie auch von öffentlichen Stellen finanziert. Das mangelnde Interesse der öffentlichen Hand, insbesondere des Bundes, an einer Weiterarbeit des Orpheus Trust, das sich in langjähriger Unterdotierung ausgedrückt hat, hat nun die Generalversammlung dazu veranlasst, den Verein aufzulösen. Wien, am 23. Juni 2006 Vorstand und Leitung Orpheus Trust Dr. Primavera Gruber „office@orpheustrust.at” Orpheus Trust — Verein zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst A-1070 Wien, Sigmundsgasse 11/3, Tel/Fax 0043/1/5268092 — e-mail: office@orpheustrust.at http://www.orpheustrust.at/ An den Quell. Gesammelte Gedichte. Hg. v. Siglinde Bolbecher u. Beatrix Müller-Kampel. Wien: Theodor Kramer Gesellschaft 2003. 224 S., ISBN 3-901602-07-0. Euro 21,-/SFr 32,70. Ungewissen Ursprungs. Gesammelte Prosa. Hg. und mit einem Nachwort v. Siglinde Bolbecher. Mit Bildern v. Hildegard Stöger. Wien: Theodor Kramer Gesellschaft 1997. 93 S. ISBN 3-901602-02-X. Euro 10,80/SFr 16,80 Bekannt geworden ist Stella Rotenberg zuerst durch ihre Gedichte. Seit 1940 schreibt sie im englischen Exil in deutscher Sprache. Die Treue und das tiefe Vertrauen zur Muttersprache sind bemerkenswert. Eine Sprache, die „entehrt‘“‘ wurde, indem sie die Sprache der Peiniger und der Mörder war. Ihre Gedichte richten sich gegen Sprachlosigkeit und Schweigen angesichts des „Unsagbaren“. Ihre Prosa ist von Kleistscher Präzision.