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Der Theodor Kramer Preis ist, sagt man mir, ein Literaturpreis. Das scheint, überblicken wir die bisher Preisgekrönten, auch zutreffend. Sie haben Romane, Erählungen, Gedichte, Dramen, Drehbücher geschrieben. Aber wir haben den Preis bei seiner Gründung im Jahre 2000 (2001 wurde er erstmals vergeben) sehr vorsichtig benannt: Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil. Wir wollten von vornherein dem Dilemma entgehen, uns bei der Auswahl der Preisträgerinnen und Preisträger rein literarischen Kiterien zu unterwerfen. Uns verstört in den letzten Jahren zudem, daß die Vorstellung von Literatur eine Verengung erfahren hat, daß man dazu neigt, Literatur auf das zu reduzieren, was sich nach rein literarischen Maßstäben beurteilen läßt. Wie vor 100 Jahren, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, betrachtet man literarische Werke wieder gerne als Wesenheiten für sich. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite läßt sich eine rein literarische Literatur nicht anders anwenden, als indem sie auf den Markt gebracht, als Buch oder in sonstiger dinglicher Form verkäuflich wird. Wir können das Phänomen gerade in der österreichischen Literaturkritik häufig beobachten: Die feinsinnige Beurteilung eines Werkes schlägt jählings um in die geradezu vulgäre Abschätzung seiner Marktchancen. Robert Sommer ist ein Autor, der bisher gänzlich außerhalb des literarischen Diskurses gestanden ist und offenbar auch stehen wollte. Was er betrieb und betreibt ist angewandte Literatur im großen Stil: Im großen Stil, indem er das Schreiben, sein eigenes Schreiben und das Schreiben vieler, denen er zum Schreiben verholfen hat, zum Aufzeigen, Artikulieren und manchmal auch zur Lösung sozialer, menschlicher und ganz individueller Probleme genützt hat. Wie Sie alle wissen, hat Robert Sommer über viele Jahre eine Schreibwerkstatt für an den Rand Gedrängte geleitet. Er leitet sie jetzt nicht mehr, aber er ist immer noch der, der im Einvernehmen und Kontakt mit den Schreibenden ihre Texte redigiert, Texte von Menschen, die psychiatriert wurden, die Gefängnisstrafen hinter sich haben, von Asylanten, von Obdachlosen und Verarmten. Ihnen, den Menschen der Peripherie, hat er zusammen mit den anderen Begründern des Augustin ein öffentliches Forum geschaffen. Nun könnte man sagen, dies sei bloß eine Tätigkeit des Mitleids für die, die unseres Erbarmens bedürfen. Und Mitleid ist im ästhetischen Diskurs der Moderne der Verachtung anheim gefallen und als Interpretationsansatz aus akademischen Arbeiten verschwunden. Mitleid erscheint als die unerfüllbare Forderung, all dem weltweiten Elend, das wir heute wahrzunehmen imstande sind, zu steuern. In Immanuel Kants Metaphysik der Sitten hat das Mitleid, natürlich unter gebührlichen Einschränkungen und Vorbehalten, noch ein anderes Gesicht. Das Mitleid tritt nicht allein, sondern in Begleitung der Mitfreude auf. Nur dort kann Mitleid sein, wo auch Mitfreude ist. Und umgekehrt. Diese Verschwisterung von Mitfreude und Mitleid finde ich bei Robert Sommer in seinen zahllosen Artikeln, Texten und in seinen Initiativen ausgeprägt. Wenn Robert Sommer über Menschen und Orte der Peripherie schreibt, über Menschen schreibt, die oft in großen Schwie10 rigkeiten sind, bemüht er sich um genaue Beobachtung und plastische (mitunter auch taktvolle) Nachzeichnung der speziellen eigenwilligen Lebensentwiirfe, Lebensentwiirfe, die sich vielleicht erst aus jenen Schwierigkeiten entwickelt haben oder aber den Schwierigkeiten zugrunde liegen. Fiir ihn sind Menschen in Schwierigkeiten keine Sonderfälle im sozialen und kulturellen Oben und Unten, keine Minusmenschen, an die eine Latte der Normalität gelegt wird, die nur gemessen werden an dem, was sie nicht sind, was sie aufzuholen haben. Robert Sommer fragt immer von neuem nach der Gültigkeit ihrer Lebensgestaltung, er tastet zugleich nach dem, was ihn in einer durchaus sympathetischen und lustvollen Weise mit ihnen verbinden könnte. Und auf dieser Grundlage enfaltet sich seine Anteilnahme. Robert Sommer ist vielleicht ein sehr neugieriger Mensch, jedenfalls als Schreibender stachelt er unsere Neugier, mehr von den heutigen menschlichen Verhältnissen zu erfahren in ihrer Verschachtelung und Komplexität. Die Peripherie, die er schreibend abschreitet, ist eine sehr lange Front sozialer und kultureller Entwicklungen, die er im Auge behält. Robert Sommer ist so weit Realist, daß er nicht mehr kurzfristig auf die große Vereinigung all der an den Rand Gedrängten, in Widerspruch Geratenen glaubt, aber die Hoffnung auf diese große Vereinigung ist in seinen Arbeiten gegenwärtig, und das ist ein Gemeinsames mit Theodor Kramer, der im Binnenraum seiner Poesie all die zusammenführt, die im geschichtlichen Raum (und der war oft eng) nicht zusammenfinden konnten. Robert Sommer schreibt mittlerweile auch an einem Roman. Ein Abschnitt ist kürzlich in der Literaturzeitschrift Wespennest veröffentlicht worden. Das Projekt steht unter dem Arbeitstitel Potlatch“. Potlatch, das Fest des Schenkens, war ein Brauch der „First Nations“, der Einwohnern Nordamerikas, die den Kontinent Jahrtausende vor den europäischen Kolonisten erreicht hatten. Potlatch dient Sommer als Gegenbild zu einer auf Warenaustausch und ungleicher Verteilung des Eigentums und der Produkte beruhenden Gesellschaft. Der Roman spielt allerdings in der Gegenwart und sein eigentlicher Stoff sind die Geschicke, Handlungen, Gedanken von Menschen, die einen anderen Weg in die Zukunft suchen als den der Verzinsung von Kapitalien. Die Gegenwart ist jedoch kein Ort beliebiger Möglichkeiten: Es gibt Vorgeschichten, unterdrückte Ansätze und erlittene Niederlagen, an denen wir bewußt oder unbewußt weiter zu kauen haben. Auf die Vorgeschichte der Gegenwart stößt man im Augustin wie in kaum einer anderen österreichischen Zeitschrift. Fast in jeder Ausgabe kann man Beiträge über vom Faschismus und Nationalsozialismus Verfolgte, Exilierte und Widerstandskämpfer lesen. Die Verbundenheit mit Exil und Widerstand, die sich darin ausdrückt, geht im Augustin eine Allianz ein mit dem entschiedenen Eintreten für die Rechte jener, die heute gezwungen sind, außerhalb ihrer Heimatländer Lebensmöglichkeiten und Asyl zu suchen. Robert Sommers Texte sind für mich von einer merkwürdigen und eigensinnigen Qualität. Für mich ist er ein großer Meister der angewandten Literatur. Ich danke Dir dafür.