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Aus dem neuen Band der „Sichtungen“: „Aus meiner Hand dies Buch...“ Zum Phänomen der Widmung (siehe Notiz, $. 21). Der in Berg am Starnberger See geborene Schriftsteller Oskar Maria Graf (1894 — 1967) war seit dem Jahr 1931 mehrmals Gast der österreichischen Sozialdemokratie , um hier persönlich sein literarisches Werk vorzustellen, das großen Anklang bei den LeserInnen der sozialdemokratisch organisierten und finanzierten Arbeiterbüchereien fand. So besaß etwa die Arbeiterbücherei in Wien-Währing 1933 fünfzehn seiner Werke ; jene in Wien-Margareten steigerte den Bestand von acht im Jahr 1930 auf 43 Werke 1933, die in diesem Jahr von 849 LeserInnen entlehnt wurden. Die Widmung von Oskar Maria Graf — „Es ist gut, immer das zu sehen, was ist‘ — für den Wiener Schriftsteller, Volksbildner und Obmann der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller‘‘ Josef Luitpold Stern (1886-1966) vom Februar 1933 könnte als Motto über seinem Leben stehen und als Leitgedanke für das literarische und politische Engagement Grafs dienen, der stets scharf beobachtete, den Menschen „aufs Maul“ blickte, dann entsprechende Handlungen vorbereitete und — nach Möglichkeit - auch umsetzte. Erinnert sei an seinen geplanten Appell an KommunistInnen, SozialistInnen, GewerkschafterIn0.M.Graf’Bolwieser Oskar Maria Graf an Josef Luitpold Stern im Februar 1933. In: O. M. Graf: Bolwieser. Roman eines Ehemannes. München, Berlin: Drei Masken Verlag 1931 (Wienbibliothek im Rathaus). nen und DemokratInnen zum gemeinsamen Handeln gegen die immer bedrohlicher werdende nazistische Gefahr: „Es ist eine Minute vor zwölf, steht auf wie ein Mann für ein freies Deutschland“. Diesen Aufruf wollte Graf vom Flugzeug aus über ganz Deutschland verbreiten, fand aber keine Geldgeber für seine Aktion. Das mit der Widmung an Stern versehene Buch ,,Bolwieser. Roman eines Ehemannes“, das ein Bild eines ,protofaschistischen Untertanen’ nachzeichnet, erschien 1931 im Miinchner „Drei Masken Verlag“ in einer Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher und politischer Veränderungen. Im Januar des gleichen Jahres erfolgte die Gründung der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation), am 15. Juli die Wahl eines Nazis zum ersten Vorsitzenden der „Deutschen Studentenschaft“ anläßlich des Studententages in Graz und am 11. und 12. Oktober kam es zur Bildung der „Harzburger Front“, einer Vereinigung von Nationalsozialisten, Deutschnationalen, des „Stahlhelms“ und weiterer rechter Gruppierungen. Zwei Jahre später, als Adolf Hitler schon zum Reichskanzler ernannt worden war und eine erste ‚legalisierte’ Terrorwelle der Nationalsozialisten Deutschland erschütterte, erreichte ein Telegramm aus Wien das Ehepaar Graf. Das unerwartete Klingeln an der Wohnungstür von Oskar Maria Graf und seiner Frau Mirjam, das beklemmende Gefühle, ja Entsetzen auslöste — viele seiner Freunde und Antifaschisten waren schon verhaftet, läßt an das Gedicht „Wer läutet draußen an der Tür?‘ denken, das Theodor Kramer 1938 zu Papier brachte. Das erlösende Aufatmen des Ehepaares Graf erfolgte erst nach der aufklärenden Mitteilung des Briefträgers, der eine Einladung zu einer Vortragsreise der sozialdemokratischen „Zentralstelle für das Bildungswesen“ überbrachte. Graf selbst beschrieb die Situation so: , Jetzt —! Das sind sie!“ entfuhr es mir doch einmal schreckbleich an einem friihen Nachmittag, als schwere Schritte vor unserer Wohnungstür einhielten und ein schrilles Läuten folgte. Wir blieben beide atemlos hinter der verschlossenen Tür. Wiederum läutete es, und der Mensch draußen brummte was vor sich hin. Er klopfte noch mal fest und rief: „Herr Graf, Herr Graf- Telegramm! “ Blamiert sahen wir uns hinter der Tür an. Es war die Rettung. Die Wiener Bildungszentrale telegrafierte: „Tournee vom 20. Feber bis Mitte März gesichert. Abfahrt wegen Besprechung, wenn möglich, 18. Feber — Luitpold.“ Es war der 16. Februar. Wir sahen einander sekundenlang stumm und fragend an. Die Einladung seines Kollegen erwies sich als Rettungsanker für den vom Naziregime bedrohten Oskar Maria Graf und seine Frau, die ihm einige Zeit später folgte. Seine Vorträge, Lesungen und Referate führten den Schriftsteller vom 25. Februar bis 9. März 1933 von St. Pölten über mehrere Wiener Gemeindebezirke nach Mödling, Gloggnitz und — nach einem Bericht von Koloman Wallisch - in die Arbeiterbildungsstätte in Bruck an der Mur. Der Absender Stern wurde knapp einen Monat vorher, am 22. Januar 1933, im Saal der „Zentralstelle für das Bildungswesen“ im 5. Wiener Gemeindebezirk, Schönbrunner Straße 19