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Nr. 56, anläßlich der konstituierenden Generalversammlung zum ersten Obmann der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ gewählt. Gerade in dieser österreichischen Schriftstellerorganisation hatte Graf, der selbst Mitglied und am 4. Februar 1934 bei der ordentlichen Generalversammlung zum Stellvertreter des neuen Obmannes Rudolf Brunngraber gewählt wurde, eine literarische, kulturpolitische und menschliche Heimat gefunden. Seinen Bekanntheitsgrad, vor allem in der österreichischen Arbeiterbewegung, konnte er neben seinen vielen Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften auch durch zahlreiche Vorträge erhöhen. Die Ansicht des kommunistischen Autors Johannes R. Becher, der die sozialistischen Schriftsteller als eine „ziemlich verschwommene linksradikale Gruppe“ bezeichnete ‚teilte Graf mit Sicherheit nicht. Er trat für eine breite politische und literarische Einheitsfront gegen den Faschismus ein. Immer wieder engagierte sich Grafbei Diskussionsabenden der sozialistischen Schriftsteller: Beispielsweise diskutierte er am 23. November 1933 gemeinsam mit Josef Luitpold Stern eifrig zum Thema „Die deutschen Dichter und der Faschismus“ und am 4. Januar 1934 mit dem Begründer und Leiter des „Malik-Verlags“, Wieland Herzfelde, über „Schriftsteller und Verleger“. Durch diese Integration in die „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ konnte Graf in seinem ersten Exilland auch weitere wesentliche Impulse und Aktivitäten setzen. Erinnert sei an seine Solidarität mit den deutschen Schicksalsgefährten, an seinen leidenschaftlichen Protest gegen die lodernden Bücherscheiterhaufen in Nazideutschland, an seine Forderung für ein „mannhaftes hilfreiches Eintreten für die verfolgte deutsche Literatur“, die er gemeinsam mit Mitgliedern der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ an den XI. P.E.N.Club-Kongreß in Dubrovnik richtete, oder an seine, mit unerbittlicher Schärfe und Hohn geschriebenen Briefe gegen die willfährigen, zum Hakenkreuz kriechenden deutschen Verlage, die aber ein gewinnbringendes Geschäft mit dem verfemten Ausland nicht verschmähten. So fand Graf in der „Neuen Weltbühne“ vom 14. November 1935 auch ätzende Worte über den Verleger seines „Bolwieser“: Der Drei Masken Verlag zum Beispiel hat gleich nach der Verfemung meines Buches „Wir sind Gefangene“ die Restbestände der Auflage einer holländischen Firma angeboten, statt daß er, wie es doch seine „treudeutsche“ Pflicht gewesen wäre, das geächtete Werk den beflissenen Vernichtungsstellen für staatsgefährliche Literatur übergeben hätte. Kurze Zeit nachdem Graf den „Bolwieser“ an Stern übergeben hatte, richtete er am 4. März 1933 unter dem Titel „Ihr Genossen und ich“ im Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie einen Gruß an die Österreicher, wobei er insbesondere das Gefühl einer konsequenten antifaschistischen Zusammengehörigkeit betonte: „Kommt man in heutiger Zeit aus Deutschland — selbst wenn dieser Teil Deutschlands Bayern heißt, so spürt man erst so recht, wie notwendig und nützlich eine solche geweckte, immer bereite Arbeiterschaft ist“. Nach der brutalen Zerschlagung der österreichischen Arbeiterbewegung in den Februartagen 1934 durch die Austrofaschisten und der zwangsweisen Auflösung der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller‘ durch den Sicherheitskommissär des Bundes für Wien am 2. März 1934 flüchtete eine Reihe von Mitgliedern ins Ausland, in erster Linie in die tschechoslowakische Republik, unter ihnen auch Josef Luitpold Stern und Oskar Maria Graf. Ihre Flucht vor den Nazihäschern führte beide weiter in die Vereinigten Staaten von Amerika. Stern kehrte auf Einladung 20 des Österreichischen Gewerkschaftsbundes 1948 nach Österreich zurück und wirkte bis 1953 als Rektor und Lehrer des von der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter betriebenen Arbeiterbildungsheims Schloß Weinberg bei Kefermarkt in Oberösterreich. Graf, der ebenfalls nach Österreich zurückkehren wollte, schrieb darüber am 28. März 1949 seinem Schriftstellerkollegen und Freund Stern: „Ich möchte doch wieder sozusagen ‚heim’ — aber nicht mehr nach Bayern oder Deutschland, sondern nach Österreich. Das kommt daher, weil ich von der SPÖ meine glücklichsten und fruchtbarsten Antriebe bekommen habe. Das ist keine Phrase“. Oskar Maria Graf starb am 28. Juni 1967 in New York. Anmerkungen 1 Wilfried F. Schoeller: Oskar Maria Graf. Odyssee eines Einzelgängers. Texte, Bilder, Dokumente. Frankfurt am Main, Wien: Büchergilde Gutenberg 1994, 291. 2 Katalog der Arbeiterbücherei Währing. Wien 1933. 3 Statistische Erhebungen des Leiters der Arbeiterbücherei Margareten Hans Gumplmayer. Im Besitz des Verfassers. Vgl. dazu: Herbert Exenberger: Die Wiener Arbeiterbüchereien. Ihre Geschichte und ihre kulturellen Leistungen im Dienste der Wiener Volksbildung. Unveröffentlichtes Manuskript. Wien 1968. 4 Oskar Maria Graf: Gelächter von außen. Aus meinem Leben 19181933. München: Desch 1966, 469. 5 Zu»Bolwieser. Roman eines Ehemannes« vgl.: Graf: Gelächter von außen (Anm. 4), 481f., Schoeller: Oskar Maria Graf (Anm. 1), 230f.; Wilfried F. Schoeller: Editorisches Nachwort. In: Oskar Maria Graf: Werkausgabe. Hg. von W. F. S. Bd. 4. München, Leipzig: List 1994, S. 515-525.; Rolf Recknagel: Ein Bayer in Amerika. Oskar Maria Graf, Leben und Werk. Berlin: Verlag der Nation 1974, 407. 6 Vgl. dazu die NS-Dokumentation von Gerd Rühle: Das Dritte Reich. Dokumentarische Darstellung des Aufbaues der Nation. Die Kampfjahre 1918-1933. Berlin: Hummelverlag 1936, 276-280. 7 Graf: Gelächter von außen (Anm. 4), 513. 8 Johannes R. Becher: Bericht über die Tätigkeit während meiner Reise vom 5. Juli bis 27. September 1933. In: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Hg. und kommentiert von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. 2., durchges. und erw. Aufl. Berlin, Weimar: Aufbau 1967, 573. 9 Herbert Exenberger: Vereinigung sozialistischer Schriftsteller. In: Als stünd’ die Welt in Flammen. Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen, Hg, von H.E. Wien: Mandelbaum 2000 (= Antifaschistische Literatur und Exilliteratur 19), 7-35. 10 Oskar Maria Graf in seinen Briefen. Hg. von Gerhard Bauer und Helmut F. Pfanner. München: Süddeutscher Verlag 1984, 72-76, hier S. 75; vgl. dazu: Herbert Exenberger: »... aber es läßt sich schließlich noch halbwegs dabei leben«. Oskar Maria Graf in Österreich — Februar 1933 bis Februar 1934. In: Archiv 1994. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung 1994, 80-96. 11 Arbeiter-Zeitung (Wien), 4. März 1933, S. 6. 12 Festschrift. Feierliche Eröffnung von Schloß Weinberg. Kefermarkt, Mühlviertel. Erholungs- und Bildungsheim der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter Österreichs. Samstag, den 18. September 1948. Wien: Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter und Bundesverband der Gehilfenausschüsse der Bau- und Holzgewerbe Österreichs 1948; Gedenktafel für Josef Luitpold Stern. In: Bau Holz (1988), Nr. 7/8, 8.5. 13 Oskar Maria Graf in seinen Briefen (Anm. 10), 220f.