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Im Oktober 1936 schrieb Thomas Mann an seinen Verleger: „Ich dichte jetzt hauptsächlich Widmungen“. Der Nobelpreisträger für Literatur von 1929 dürfte dies nicht nur aus purer Lust am Widmen getan haben, sondern auch im Rahmen ‚privater Werbemaßnahmenfür den gerade erschienenen dritten Teil seines Exil-Romans „Joseph und seine Brüder“, über dessen Absatzmöglichkeiten er sich keine Illusionen machte. Doch sind die Funktionen und Erscheinungsformen handschriftlicher Zueignungen ausgesprochen facettenreich, wie es der vorliegende mit zahlreichen Farbabbildungen ausgestattete Band dokumentiert. Untersucht und kontextualisiert werden Widmungen u. a. von Heinrich Heine, Theodor Fontane, Karl Kraus, James Joyce, Hermann Broch, Oskar Maria Graf, Heimito von Doderer, Elias Canetti, Erich Fried, Max Frisch und Peter Handke. Darüber hinaus wird in eine „Galerie der Widmungen“ geladen zu einer kurzweiligen Besichtigung knapp kommentierter Dedikationen von Sigmund Freud, Else Lasker-Schiiler, Alfred Döblin, Franz Werfel, Henry Miller, Peter Weiss, Allen Ginsberg, Heiner Müller, Thomas Bernhard und vielen anderen. In Originalbeiträgen melden sich zudem Schriftstellerinnen und Schriftsteller zum ‚Phänomen der Widmung’ zu Wort, darunter Franzobel, Friederike Mayröcker, Peter Rühmkorf und Paulus Hochgatterer. — Ein einzigartiges Studier- und Lesebuch rund um die faszinierende, bisher nur wenig ergründete ‚Zauberwelt’ der handschriftlichen Zueignung. „Aus meiner Hand dies Buch ... “ Zum Phänomen der Widmung. Hg. im Auftrag des Österreichischen Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek und der Wienbibliothek im Rathaus von Volker Kaukoreit, Marcel Atze und Michael Hansel. Sichtungen. Archiv — Bibliothek — Literaturwissenschaft. Bd. 8-9. Wien: Turia + Kant 2006. Abraham Singer stammte aus Wiznitz in der Bukowina und war in Czernowitz ein Mitglied der jiidisch-nationalen Verbindung Emunah und Kulturreferent der Mapai. 1908 war er als Student Sekretär der berühmten, von Nathan Birnbaum initiierten Jiddischen Sprachkonferenz, an der die wichtigsten jiddischen Schriftsteller der damaligen Zeit, unter ihnen Schalom Asch, Jehuda Leib Perez und Abraham Reisen, teilnahmen. In der Zwischenkriegszeit lebte er in Wien, wo er jahrelang — bis 1938 - alleiniger Leiter und Teilhaber der Reise- und Versandbuchhandlung Schaklehn & Wollbrück war. 1938/39 scheiterten Auswanderungspläne nach Großbritannien und Lettland; sein Bruder flüchtete nach Chile; ein Cousin namens Leo lebte in den USA. Singer flüchtete in die Bukowina und überlebte die Shoah in Czernowitz; die genauen Umstände sind nicht bekannt. 1946 befand er sich in Radautz. In einem Brief an seinen Jugendfreund, den seit 1912 in der Schweiz ansässigen Rechtsanwalt, Kantonsrat und Publizisten Moses Silberroth, schrieb er über die Buchhandlung: „Daß sich die Firma in Wien schäbig zu mir benommen hat, daß ich sie in Cernauti geklagt habe, glaube ich Dir seinerzeit geschrieben zu haben. Ich gewann den Prozeß in erster Instanz, konnte ihn wegen den polit. Verhältnissen, die dann eintraten, nicht fortsetzen.“ Auch nach 1945 Ab 1947 lebte er wieder in Wien, zusammen mit seiner Frau Fanny (1890 — 1962), die ebenfalls in Wiznitz geboren war und ihn 1915 in Wien geheiratet hatte. Bis zu seinem Tod 1958 war er in zahlreichen Funktionen für die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) tätig. So leitete er jahrelang das Religionsschulinspektorat und die Kanzlei für Kultusangelegenheiten und musste „noch tausend andere Angelegenheiten erledigen“. So fuhr er für das Kultusreferat zusammen mit einem zweiten Angestellten der IKG im Dezember 1954 in das DP-Lager Asten bei Linz, wo er den dortigen Juden, die nach dem Brand einer Baracke wieder alles verloren hatten, eine Torahrolle und zwölf Tallesim (Gebetsschals) übergab.” Er war ein Vorstandsmitglied des Herzl-Klubs, der bereits vor 1938 bestand und der sich mit seinen alten, im wesentlichen unveränderten Statuten 1952 wieder konstituierte. Der Herzl-Klub wollte „dem jüdischen Leben der Stadt Herzls geistige Impulse geben“ und plante vergeblich die Einrichtung einer Bücherei und eines Lesesaales und klagte über die mangelnde Unterstützung der IKG. Ab 1953 bis zu seiner Erkrankung redigierte Singer den Pressedienst der IKG namens Iskult-Presse-Nachrichten (IPN), der vierzehntägig in einer anfänglichen Auflage von 600 Exemplaren herauskam und 1963 eingestellt wurde. Die IPN waren als „eine wirksame Waffe im Kampf gegen Antisemitismus und Neonazismus“ gedacht und befassten sich kaum mit innerjüdischen Angelegenheiten. 1957 verurteilte ein österreichisches Gericht in zwei Instanzen Singer als Redakteur der IPN zu einer Geldstrafe von ÖS 500,-, weil er einen Artikel des Wiener Montag mit den Worten „Judenhetze als Geschäft, Streichernachfolger“ und „das alltägliche Menü für Judenhasser“ kommentiert hatte. Im Rahmen seiner Arbeit in der Bibliothek und seiner Korrespondenz mit Freunden in Israel stand Singer auch in Verbindung mit dem Osterreichischen Biographischen Lexikon: „Bei jüdischen Persönlichkeiten helfe ich ein bißchen mit.“ 1957 versuchte er einer nicht namentlich genannten christlichen Studentin, Material für eine Dissertation über Joseph Roth zu beschaffen." Wie sehr er sich mit Israel verbunden fühlte, zeigen besorgte Bemerkungen über die dortige Lage nach dem Suezkrieg in einem Brief: „Das Verhalten der maßgebendsten Institutionen und Persönlichkeiten Israel gegenüber macht mir große Sorgen. Ich 21