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und alle anderen hoffen aber, dass alles wieder gut ausgehen wird. Ich bete innigst zu Gott, dass es so werde!“ Singer arbeitete für die IKG aber vor allem als Bibliothekar und reorganisierte mühsam deren einst berühmte Bibliothek. Der größte Teil der Bestände der einst 50 bis 80.000 Bände umfassenden Bibliothek wurde von den Nazis nach Deutschland verschleppt, wo 1943 Teile verbrannten. Nach 1945 erhielt die IKG Teile ihrer Bibliothek aus Deutschland und der Tschechoslowakei zurück. Singers Hauptaufgabe als Bibliothekar war jedoch nicht so sehr die Ordnung und Katalogisierung der Bibliothek, sondern die Suche nach weiteren in Wien gestrandeten Büchern aus jüdischem Besitz, für die die IKG die Treuhänderschaft übernahm. Diese wurden zum Teil in der sogenannten Büchersortierungsstelle in Wien geordnet und aufgeteilt, und Singer schilderte in Berichten an die IKG offen die schwierige Suche nach den Büchern und die Gespräche mit den oft gleichgültigen und ihm gegenüber verschwiegenen österreichischen Beamten. Für die Rückgabe jener jüdischen Bücher, die in der NS-Zeit öffentlichen österreichischen Bibliotheken einverleibt wurden, bildete die IKG eine eigene Bücherkommission, der neben Singer der spätere Präsident der IKG Ernst Feldsberg, der Rechtsanwalt Victor E. Pordes und Shlomo Shunami von der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek angehörten. Im Zusammenhang mit der Suche nach den verschleppten jüdischen Büchern konnte Singer der jiddischen Literatur nochmals einen Dienst erweisen, als 1954 in einem Magazin in Wien Bücher aus dem Besitz des YIVO (Yiddishes Visenshaftliches Institut, Wilna) gefunden wurden. Singer fertigte mit zwei namentlich nicht bekannten Helfern eine genaue Liste der Bücher an; die IKG informierte das YIVO in New York, das die Bücher zurückerhielt. Ein 1957 vom YIVO publizierter Bericht darüber beschrieb Singer als „an old friend of YIVO“. Weiters bereitete Singer große Teile der Bibliothek der IKG für den Transport nach Israel vor. Die IKG hatte entschieden, über 30.000 Bände der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem zu übergeben. Der Glaube, daß die Bücher in dem neuen Staat Israel nützlicher wären als in der kleinen, nicht mehr als 10.000 Mitglieder umfassenden, verarmten Wiener jüdischen Gemeinde mit ihrer ungesicherten Zukunft, war damals unbestritten. Auch Singer schrieb, daß er „aus tausend Gründen dafür [war], daß man die Bücher lieber gestern als morgen übernimmt.“ Mit Shlomo Shunami, der die Abteilung Ozroth ha Golah (Schätze der Diaspora) der Jüdischen Nationalbibliothek leitete und in dieser Funktion die Überführung der Wiener Bücher mitorganisierte, war Singer persönlich befreundet. Ihm gegenüber erkundigte er sich auch immer wieder nach Margalith Klar, mit der er vor der Shoah in Wien sehr befreundet war. Sie war die Witwe des hebräischen Sprachwissenschaftlers und Biographen von Bialik Benjamin Klar, der 1948 bei einem arabischen Angriff in Jerusalem getötet worden war. Andererseits aber war Singer sehr wohl an der Ordnung und Zugänglichkeit des in Wien verbliebenen Teils der Bibliothek interessiert. Er schrieb 1949, daß die Bibliothek und das Museum der IKG, wären ihre Bestände geordnet, ein Vermögen repräsentieren würden.“ 1949 arrangierte die Bibliothek anläßlich der Überführung der Gebeine | heodor Herzls eine Ausstellung von Biichern von und über Herzl. Im Dezember 1950 stellte Singer im Festsaal der IKG eine zwei Wochen dauernde Buchausstellung zum Thema „Das jüdische Buch im Wandel der Jahrhunderte“ zu22 sammen. Weiters organisierte er eine Wanderbibliothek für die vier anderen österreichischen Kultusgemeinden. In Wien wurde die Bibliothek von rund 600 Lesern im Jahr benutzt." Gleichzeitig hatte er buchhändlerische Pläne. 1947 plante er in seine alten wiedereinzutreten, was scheiterte. 1949 bekam er die „Buchhändler-Konzession“ bewilligt, wartete aber mit weiteren Unternehmungen auf den Besuch seines Sohnes. In der Zwischenzeit ergebe sich aber, wie er schrieb, „die Gelegenheit, mit einem befreundeten Buchhändler die Auslieferung beziehungsweise den Alleinverkauf von Romanen“ zu erhalten. Im April 1955 nahm Singer in Paris an einer von Rafael Edelmann, dem Bibliothekar der Judaica-Abteilung der Königlichen Dänischen Bibliothek, in Kopenhagen organisierten Konferenz von zwölf europäischen jüdischen Bibliothekaren teil. Er fand Paris „sehr schön, aber anstrengend und teuer, schrecklich teuer [...] ganz einfach unerschwinglich.“ Auf dieser Konferenz wurde die Association of Libraries of Judaica and Hebraica in Europe gegründet, deren erster Vorsitzender Edelmann wurde und die daher ihren Sitz in Kopenhagen hatte. Ihr trat auch die IKG bei, und Singer schrieb in seinem Bericht über die Konferenz, daß mit der Gründung der Association der Versuch unternommen wurde, die Bestände der jüdischen Bibliotheken „zu einem großzügigen, zu einem starken Instrument der jüdischen Kulturrenaissance zusammenzufassen.“ Edelmann organisierte in Kopenhagen auch Kurse für angehende jüdische Bibliothekare, für die Singer vergeblich versuchte, in Wien jüdische Studenten anzuwerben. Trotz seiner wichtigen Arbeit in Wien plante Singer mehrmals konkret, zu seinem Sohn, der in den USA lebte und dies dringend wünschte, auszuwandern. So schrieb er 1951: „Es sieht nämlich so aus, daß ich noch im Laufe dieses Sommers zu meinem Sohne gehe. Nicht gerne und vielleicht deshalb auch nicht für ständig.“ Das Ehepaar Singer lebte damals noch immer Untermiete und erhielt erst im Sommer 1957 eine eigene Wohnung. Sie befand sich in dem von der IKG neuerbauten Haus in der Ferdinandstraße 23, an jener Stelle, wo sich vor 1938 die Bibliothek der IKG befunden hatte.” Im Herbst 1957 erkrankte er schwer. Er erholte sich wieder, starb jedoch nach einem Schlaganfall am 10. Juni 1958 im Alter von 76 Jahren. Ernst Feldsberg sagte in seiner Grabrede, daß für Singer „die Berufung zur Leitung der Bibliothek eine Lebensaufgabe“ gewesen sei, und rühmte „sein großes Wissen und seine noch größere Bescheidenheit“, erwähnte jedoch keine von Singers Tätigkeiten vor 1938. Hingegen erinnerte er an Singers Verdienste um die Übersendung des umfangreichen Archivs der IKG aus der Zeit vor 1938 als „permanente Leihgabe“ an die Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem: „Durch die Zerstörung eines Teiles des Hauses in der Seitenstettengasse war dieses Archiv schwer angeschlagen worden. Abraham Singer hat aus den Trümmern jeden einzelnen Akt gesichert, die vergilbten und verstaubten Faszikel geordnet, gelesen und gebunden. Er hat dieses Archiv'in 20 Kisten verpackt. All das tat er, obwohl er mit seinen durch schwere Gicht verkrüppelten Händen die Akten kaum halten konnte, obwohl ihn seine schwer erkrankten Füße kaum mehr trugen. Als man ihm Hilfe anbot, wies er sie in seiner Bescheidenheit mit den Worten zurück: ‚Diese Arbeit ist mein Beitrag für Israel’. Die IPN schrieb tiber seine Arbeit als Religionsschulinspektor: ,,Er hatte einen hervorragenden Anteil an der komplizierten Organisierung des Religionsunterrichtes fiir die Wiener jiidische Schuljugend. ae