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In Parenthese möchte ich hier auf die — in meinen Augen — bedenklichen Signale hinweisen, die seinerzeit von der ungarischen jüdischen Gemeinde ausgingen. So schrieb z. B. im Oktober 1934 das Wochenblatt Zsidö Elet (Jüdisches Leben) aus Anlaß des 15. Jahrestages des Einmarsches Horthys in Budapest: Unter den von unzähligen Leidenschaften verwüsteten, im Fieber der Revolutionen ringenden Ländern Europas ist Ungarn eine Insel der Ruhe und des Friedens. Das Land hat, im Zeichen des nationalen Gedankens, seine innere Einheit, die weder religiöse noch rassische Unterschiede kennt, gefunden. Daß es hierzu kommen konnte, ist in erster Linie das historische Verdienst von Nikolaus Horthy. |... 7 An dieser positiven Einstellung der maßgeblichen jüdischen Kreise zum Horthysystem sollte sich auch in den darauf folgenden Jahren wenig ändern. Nicht, daß es nicht auch kritische Stimmen gegeben hätte, die diese Haltung etwa als „VogelStrauB-Politik“ oder sogar als „leisen Hitlerismus“ " gebrandmarkt hätten, aber sie blieb bis in die vierziger Jahre hinein absolut dominierend. „Wir“, so schrieb ein jüdischer Chronist 1936, „glauben nicht, daß es in Ungarn jemals zu einer Machtergreifung der Hakenkreuzler kommt“. Besorgte, Stimmen von Juden aus dem Ausland, wie etwa Stephen Wise oder Joachim Prinz" , die moniert hatten, daß die Vertreter der ungarischen Juden sich von sämtlichen internationalen Flüchtlingskonferenzen fernhielten, wurden kurzerhand mit dem Hinweis, daß man sich jede Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten verbitte, schroff zurückgewiesen. Staatstreu, nationalistisch bis zur Blindheit und stockkonservativ waren die ungarischen Juden oder, besser gesagt, ihre offiziellen Repräsentanten. Auf das Peinlichste bemüht alles zu vermeiden, was von ihren Gegnern als Beleg ihres Nichtmagyarisch-Seins im Schilde geführt werden könnte, fühlten sie sich ständig gezwungen, sich zu rechtfertigen , kokettierten mit den Opfern, welche die „Schreckensherrschaft“ der Roten 1919 in ihren Reihen gefordert hatte’, strichen ihre Leistungen bei der Niederwerfung der Räterepublik heraus oder signalisierten, daß sie gegen einen Faschismus Mussolinischer Prägung nicht viel einzuwenden hätten.. " Weder die Judengesetze, noch die Verbote, die ab 1938 ihre Pressenrpane betrafen, ja selbst die erste massenhafte Ausweisung sogenannter „ausländischer Juden“ im Jahre 1941 konnten das Vertrauen der jüdischen Gentry gegenüber dem Horthy-Staat erschüttern. Als Aron Grünhut (Vorsteher Orth.-Isr. Landeskanzlei Pressburg) im Jahre 1943 die Pester Jüdische Gemeinde um finanzielle Unterstützung für die von Deportation bedrohten slowakischen Juden bat und sich in diesem Zusammenhang erlaubte, auf die Gefahren hinzuweisen, denen möglicherweise auch die ungarischen Juden ausgesetzt sein könnten, bekam er vom Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Pest (Samuel Stern) zu hören, daß „in einem Staate mit tausendjähriger Verfassung, an dessen Spitze Männer wie Horth und Källay stehen, [so etwas] niemals geschehen [würde]“. “ Und Grünhut fährt fort: Im Jahre 1943 hatten die Budapester Juden noch immer nicht begriffen, welche Gefahren ihrer harren. Sie tanzten bei ihren 5 Uhr-Tees, unterhielten sich unbegrenzt und nahmen nicht zur Kenntnis, was sich rund um sie abspielte. Sie bauten nach wie vor auf den ungarischen „Rechtsstaat“, auf die Verfassung und waren davon überzeugt, daß ihnen das Schicksal der übrigen europäischen Judenheit erspart bleiben wird.” Bis Ende 1935 waren der „Reichsstelle für das Auswanderungswesen“ in Berlin zufolge 800 Juden aus Deutschland nach 28 Ungarn „ausgewandert“. Eine Statistik der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien“ bezifferte die Zahl der zwischen 1933 und 1941 aus Deutschland, Österreich und dem sogenannten „Protektorat Böhmen und Mähren“ nach Ungarn emigrierter Juden auf 6.310. Die hier genannte Zahl von 6.310 Personen dürfte weit davon entfernt sein, den Gesamtumfang des bis zu diesem Zeitpunkt nach Ungarn geflüchteten Personenkreises anzugeben. Es müßten nicht nur die nicht-jüdische Flüchtlinge hinzugerechnet werden, sondern auch die zahlreichen illegalen Grenzübertritte, die Transitemigration, die über Drittländer erfolgten Einreisen nach Ungarn, die durch die Gebietserweiterungen nach Ungarn gelangten Flüchtlinge und last not least auch die Flüchtlinge aus der Slowakei, aus Polen und Jugoslawien. Da Ungarn im Unterschied zu den meisten anderen europäischen Ländern bis zur Okkupation durch die Nazis im Jahre 1944 ein potentieller Fluchtpunkt blieb, wären zudem, um zu einer bis zu diesem Zeitpunkt gültigen allumfassenden Zahl zu gelangen, noch die zwischen dem 1. November 1941 und dem 19. März 1944 nach Ungarn gelangten Flüchtlinge zu berücksichtigen. Was die Fluchtbewegung aus der Slowakei und aus Polen anlangt, so dürfte 1939 bis 1944 mehr als 10.000 Juden aus der Slowakei und-bei vorsichtiger Schätzung — mindestens 65.000 Polen (zumeist Militärflüchtlinge) der Grenzübertritt nach Ungarn gelungen sein. 6.000 bis 8.000 der aus der Slowakei geflüchteten Juden — nicht wenige von ihnen waren dem deutschsprachigen Kulturkreis verbunden — und 15.000 Polen (darunter schätzungsweise 2.500 bis 3.000 Juden) weilten noch Ende 1943 in Ungarn . Die Fluchtbewegung aus Österreich Professor Jonny Moser, der seinerzeit mit seiner Familie nach Ungarn flüchtete, kommt bei seinen - bis in das Jahr 1944 hineinreichenden — Berechnungen der aus Österreich stammenden jüdischen Flüchtlinge auf Zahlen, die er zwischen 3. 200 bis 4.400 Personen, Repatrianten eingeschlossen, ansiedelt.” Vom Eintreffen der „ersten Flüchtlinge“ aus Wien in der grenznahen Ödenburger Region wußte die liberale Tageszeitung Sopronvarmegye bereits am 12. März 1938 zu berichten. Am 13. März las man im gleichem Blatt von „mehreren Flüchtlingen“, die über die Grenze gekommen seien und in den „benachbarten Dörfern“ Aufnahme gefunden hätten, zugleich aber auch von verstärken Grenzkontrollen und beiderseitigen Grenzsperren. Auch das wesentlich konservativere Konkurrenzblatt Soproni Hirlap, verschwieg nicht, daß - trotz aller getroffenen Maßnahmen zur Abschottung der Grenze — vereinzelten Flüchtlingen aus Österreich die Flucht nach Ungarn gelungen sei. So etwa dem Zeitungsverleger Karl Bondi (oder Bondy). in Begleitung von weiteren „vier österreichischen Herren“ (unter denen sich ein gewisser Strachwitz und Eugen Lennhoff befanden). Einen Tag später, behauptete dieselbe Zeitung, daß seit dem „Anschluß“ kein Flüchtling aus Österreich nach Ödenburg gelangt sei, fügte aber hinzu: „auf legalem Weg“ und „von ein bis zwei Ausnahmen abgesehen“. Dem faschistischen Hetzblatt Virradat (Morgendämmerung) zufolge gelangte in der Nacht vom 11, auf dem 12. März eine anscheinend nicht unbedeutende Anzahl von Flüchtlingen aus Österreich auch noch ungestört nach Budapest, wo sie „fast alle großen Hotels“ belegt hätten. " Von einer „großen Zahl“ noch am 13. März in Budapest „eingetroffener österreichischer Emi