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In einem Situationsbericht der Kgl. Ung. Gendarmerie-Kommandatur in Székesfehérvar (StuhlweiBenburg), der die Grenzabschnitte von Ödenburg bis hinauf nach Magyarövär unterstanden, wird auf die mangelnde Grenzsicherung jener Jahre verwiesen. Einer zeitgenössischen Naziquelle zufolge galt die ungarische Grenze damals sogar als „teilweise gar nicht bewacht“. Die Leichtigkeit, mit der es reichsdeutschen Grenzbeamten (und nicht nur ihnen) damals immer wieder gelang, „unter Umgehung der ungarischen Grenzwächter“ °österreichische oder staatenlose Juden, einzeln oder in größeren Gruppen, über die ungarische Grenze abzuschieben, spricht für diese Einschätzung. Die Presseberichterstattung in Sachen illegaler Grenzübertritte, die ausschließlich von Nachrichten über mißglückte Versuche beherrscht wird, sowie auch Stellungnahmen der Grenzorgane, die zum Ausdruck brachten, daß „immer sämtliche Herübergekommene entweder schon an der Grenze oder nach Grenzübertritt von den ungarischen Grenzwächtern aufgegriffen würden ‚stehen nur anscheinend im Widerspruch dazu. Und sei es nur, weil Flüchtlinge, denen die Flucht über die „grüne Grenze“ gelang, wohl kaum das Bedürfnis verspürt haben dürften, sich sogleich der ungarischen Presse anzuvertrauen oder sich zum nachträglichen Rapport bei den ungarischen Grenzorganen zu melden. Bis zu dem von den Nazis im Oktober 1941 erlassenen Ausreiseverbot für Juden dürfte derjenige, der sich entschloß, aus Österreich illegal über die Grenze nach Ungarn zu flüchten, hauptsächlich die ungarischen Grenzposten zu umgehen gehabt haben und nicht selten aufreichsdeutscher Seite sogar noch auf Beamte gestoßen sein, die sich mehr oder weniger als „Fluchthelfer‘“ betätigten. Wohlgemerkt nicht aus humanitären Gründen, sondern weil die Judenpolitik der Nazis bis dahin noch weitgehend von dem Grundsatz geprägt war, sich der Juden durch „Auswanderung“ und Abschiebung zu entledigen. Wenn es deshalb um die Jahreswende 1942/43 — zu einem Zeitpunkt also, in dem ein Flüchtling sowohl mit den reichsdeutschen Grenzwächtern, die seine Flucht vereiteln, als auch mit den ungarischen Grenzposten, die sein „Einsickern“ in Ungarn verhindern sollten, zu rechnen hatte — noch immer möglich war, daß 9 von 20 Personen der illegale Grenzübertritt nach Ungarn gelingen konnte , so scheint uns dies der beste Beweis dafür zu sein, daß die — Grenze selbst unter den denkbar ungiinstigsten Bedingungen durchaus zu passieren war. Und dies in einem Verhältnis von annähernd immerhin 45:55. Fast genau diese Proportion ist es auch, die Prof. Jonny Moser anpeilt, wenn er behauptet, daß „nur jeder zweite“ illegale Grenzübertritt auch gelang. Entscheidend für den Erfolg eines illegalen Grenzübertritts wird dessen sorgfältige Vorbereitung gewesen sein, wobei die Inanspruchnahme von ortskundigen Fluchthelfern den Flüchtlingen nicht zum Nachteil gereicht haben dürfte. Die Tarife der „Schlepper“, wie sie damals genannt wurden, lagen zwischen siebeneinhalb und mehreren hundert Reichsmark. Der aus Ödenburg stammende Samu Brinner, der in „unzähligen“ Fällen „nichterwünschte Elemente‘ aus Österreich nach Ungarn schleuste und im November 1938 zusammen mit zwei seiner Schützlinge verhaftet wurde, arbeitete für einen „Vermittler“ in Wien, der ihm ganze siebeneinhalb Reichsmark pro Flüchtling auszahlte. Mit welcher Gewinnspanne der ungenannte Vermittler arbeitete, läßt sich nur erahnen. Österreichische Fluchthelfer wie z.B. der 1942 durch die Gestapo verhaftete Hauptwachtmeister der Schutzpolizei Ferdinand Gürth, der in der Nacht vom 7. auf 30 den 8. März 1942 eine nicht näher genannte Anzahl von Juden bei Nemetjärfalu/Deutsch-Jahrndorf über die Grenze brachte, ließen sich ihre (wertvollen) Dienste wesentlich höher entlohnen (660,- RM). Der Konjunktur entsprechend, konnte der in Österreich geforderte Preis sogar mehrere tausend Reichsmark betragen", wobei vermutlich die komplette Überführung bis nach Budapest inbegriffen war. Nicht unerwähnt soll hier auch bleiben, daß es zu dieser Zeit Fluchthelfer gab, die aus reiner Menschenliebe aktiv wurden und dabei keineswegs scheuten, ihre Existenz aufs Spiel zu setzen. Einer von ihnen war Dezsö (Desider) Diamant, der sich allabendlich den Autobus seines Arbeitgebers „ausborgte“, in das Niemandsland fuhr und österreichische Flüchtlinge ins Landesinnere brachte.” Zu den „ersten und am schwersten betroffenen Opfern der NSVerfolgung“ in Österreich gehörten die burgenländischen Juden. Daß die Nazis nicht nur „ungarische Juden, die bereits seit Jahrzehnten“ im Burgenland ansässig waren, sondern ,,neuerdings auch Juden ehemals österreichischer, jetzt deutscher Staatsangehörigkeit“ illegal über die ungarische Grenze abschoben, ist schon einer Aufzeichnung des Auswärtigen Amts vom 5. April 1938 zu entnehmen. Ungeachtet ungarischer Proteste hielten die Abschiebungen „staatenloser“ Juden, die in der Nacht zum 29. auf den 30. März begonnen hatten, bis in den Monat Mai hinein an. Über eine Gruppe von 13 aus Mattersburg stammenden Juden, die den ungarischen Behörden am 7. April „übergeben“ worden waren, weil sie „ungarische Pässe“ besaßen, deren „Aufenthaltsgenehmigung aber nicht mehr erneuert worden war“ berichtete die ungarische Presse. Desgleichen über „23 Staatenlose“, die aus Frauenkirchen verschleppt und zuerst von der SA in der Nähe von Berg über die tschechoslowakische Grenze und von dort aus von den tschechischen Grenzern auf ungarisches Gebiet abgeschoben wurden. Triste Berühmtheit erlangte der Fall der sogenannten „Rajka-Flüchtlinge“. Bei ihnen handelt es sich um 51 bis 68 (die in der zeitgenössischen Presse genannten Zahlen schwanken) in Kittsee während der Passah-Feier vom 15. auf den 16. April 1938 durch die SA und die SS zusammengetriebene Juden, die auf Lastwagen gepfercht nach Hainburg gebracht und dort nachts mit Ruderbooten auf eine unbewohnte Donauinsel im Niemandsland ausgesetzt wurden. Am nächsten Morgen von tschechoslowakischen Grenzbehörden aufgegriffen und nach Pressburg verbracht, wurden sie noch am selben Abend bei Oroszvär (heute: Rusovce) über die ungarische Grenze abgeschoben. Von hier umgehend wieder zurück in die Tschechoslowakei abgewiesen, von dort nach Österreich zurückverbracht und schließlich am darauffolgenden Tag von den Nazis dieses Mal in einem bewaldeten Gebiet des Niemandslandes in der Region zwischen Kittsee und Oroszvar bzw. Ligetfalu (deutsch: Engerau) ausgesetzt. Am 20. April 1938 erbarmte sich die ungarische Regierung der Verfolgten, und erlaubte es ihnen, einen französischen Schlepper zu besteigen, der im ungarischen Donauhafen Rajka (Ragendorf) angelegt hatte. Obwohl das „American Joint Distribution Committee“ bereits Anfang Mai versichert hatte, daß kein einziger dieser „Refugees“ in Ungarn verbleiben werde und sich erboten hatte, bis zur Erledigung der Formalitäten ihrer Einreise in ein anderes Land sämtliche für ein kurzfristiges Verbleiben in Ungarn anfallenden Kosten zu übernehmen , durften die burgenländischen Juden das Geisterschiff nicht verlassen, Weder