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Als Ende Oktober 1944 die Rote Armee gegen Budapest vordrang, wurden alle männlichen Juden im Alter von 16-70 Jahren aufgeboten. Sie hatten in den Vorstädten Budapests Befestigungen anzulegen und Schanzen zu graben. Kurz darauf wurden auch die jüdischen Frauen im Alter von 16-48 Jahren eingezogen und bei den Befestigungsarbeiten eingesetzt. Es gab fast keine einsetzbaren jüdischen Arbeitskräfte mehr, als Eichmann in Budapest erschien und 50.000 jüdische Arbeiter für die deutsche Rüstungsindustrie anforderte. Vorerst stellte ihm das ungarische Verteidigungsministerium 70 Kompanien jüdischer Arbeitsdienstsoldaten leihweise zur Verfügung. Die Männer und Frauen, die um Budapest Befestigungen anlegten, wurden ebenfalls den Deutschen zur Arbeitsleistung überlassen. In Gruppen zu 400 und 500 Personen wurden sie in Fußtrecks, sogenannten Todesmärschen, ohne zureichende Verpflegung, ohne trockene Rastplätze, bei regnerischem Wetter an die österreichische Grenze getrieben. Wer nicht weiter konnte, wurde gnadenlos erschossen. Anfang Dezember erreichte die Rote Armee die Vororte Budapests, und die Pfeilkreuzler-Regierung verlegte ihren Sitz nach Westungarn. Eine ihrer größten Sorgen war, die nach Juden benannten Straßen umzubenennen. Dann wurde den Juden anbefohlen, abgesehen von zwei Garnituren Unterwäsche und der nötigen Oberbekleidung alle übrigen Kleidungsstücke abzuliefern. Diese wurde den Kriegsflüchtigen zugeteilt. Ende November wurde angeordnet, dass die Juden innerhalb von drei Wochen in ein Getto umzusiedeln hatten. Ab Weihnachten wurde das Getto nicht mehr mit Lebensmitteln beliefert. Nur durch die internationalen Hilfsorganisationen konnte man die Verpflegung der Gettoinsaßen notdürftigst absichern. Während der Belagerung erfolgten täglich Überfälle mörderischer Pfeilkreuzlerbanden, die in Schutzkeller eindrangen und wahllos Juden erschossen. Hunderte Menschen mussten auf diese Weise knapp vor der Befreiung sterben. Erst am 17. Jänner 1945, als die russischen Truppen den Stadtteil Pest eroberten, hatte das Martyrium der Juden ein Ende. Mein Vater war ein Architekt und baute die Bunker in der Fabrik von Manfred Weiss. Einmal nahm er mich mit, um mir die Fabrikanlage zu zeigen. Ich war etwa sechsjährig und die riesigen Maschinen faszinierten mich. Sie weckten mein Interesse für die Technik, vielleicht verdanke ich diesem Erlebnis mein späteres Physikstudium in Zürich. Als wir die Fabrik auf der Insel Csepel besuchten, konnten wir von unserer Emigration nichts ahnen. 1942 oder 1943 häitte sich niemand in Budapest vorstellen können, dass dort die Kommunisten einmal kommen sollten. Man wollte auch nicht glauben, dass sich bei uns die gleichen Gräuel abspielen würden wie im Dritten Reich. Ich mag mich noch genau an den Schock erinnern, als uns die Nazis am 19. März 1944 okkupierten. Es war an einem Sonntag ... erzählt Christa MarkovitsBarabas.! Der erste Schock Mit diesem Sonntag beginnen die Erinnerungen von Magda Breisach. Seit beinahe fiinf Jahren lebte sie mit ihren Eltern in einem Landschloss in der ungarischen Tiefebene. Nachdem sie im Juli 1939 aus Wien gefliichtet waren, wurden sie von ihren Budapester Verwandten aufgenommen. Sie boten ihnen ein komfortables Landgut als provisorisches Domizil, das sie noch mit zwei anderen Wiener Verwandten, Stefan und Else Mautner, teilten. Die Autorin verfasste ihre Erinnerungen nach dem Krieg, während eines mehrjährigen Aufenthalts in der Schweiz. Sie hielt detail‚ reich den Leidensweg und die geglückte u Rettung ihrer Familie fest, dagegen verschwieg sie diskret die Namen ihrer Budapester Verwandten. Recht sparsam ging sie auch mit den Ortsnamen oder anderen Angaben um, die auf die Identität der Verwandten hingewiesen hätten. Die ersten Fragen, die das 38-seitige Typoskript aufwirft, konnte Frau Vera Burkhard, die Nichte von Magda Breisach, beantworten. Sie identifizierte die Lebensdaten von Magda Breisach (2.7. 1897 Wien — 13.7. 1900 Wien), Dora Breisach, geb. Hönigswald (23.11. 1874 Wien — 10.5. 1950 Baden bei Wien) und Eduard Breisach (10.9. 1868 Wien — 4.5. 1949 Zürich). Nach Auskunft von Vera Burkhard gehörte der Familie die Bank Breisach in 37