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Jonny Moser, geb. 1925 in Parndorf (Burgenland), wurde 1938 mit der Familie nach Wien vertrieben; 1940 Flucht nach Ungarn. Bis 1944 in ungarischen Lagern interniert. Studium an der Universität Wien. Er war einer der ersten, die sich der Erforschung der Verfolgung der österreichischen Juden in der NSZeit widmeten. Seit 1964 im Vorstand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. 1964-96 Bezirksrat in Wien — Innere Stadt. Veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel, darunter: Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938-1945 (Wien 1999). Eben ist sein Buch über die Zeit in Ungarn im Picus Verlag, Wien, erschienen: Wallenbergs Laufbursche. Jugenderinnerungen 1938 — 1945. Anmerkungen Abkürzungen: OKW — Oberkommando der Wehrmacht. FS — Fernschreiben. HSSUPF — Hoherer SS und Polizeiftihrer 1 Eine Selbstbiographie von DDr. Ernst Fiala liegt weder in der Universitätsbibliothek Wien noch in der Österreichischen Nationalbibliothek auf. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Privatdruck. 2 Details über das Massaker von Ybbs-Persenbeug siehe: Niederösterreichische Nachrichten vom 21.9. 1945; Akten des LG Wien Vg 9 Vr 748/55 (DÖW 9358); Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934-1945, Bd. 3, Wien 1887, S. 396f. 3 „Lebenserinnerungen“. In: Wiener Wochenschau, 12.2 1992, S. 5f. 4 KEOKH = Külföldieket Ellenörzö Orszägos Központi Hatosäg. 5 Siehe: Rene Geoffroy: Ungarn als Zufluchtsort und Wirkungsstätte deutschsprachiger Emigranten (1933-1938/39). Frankfurt/M.: Peter Lang 2001, S. 123. 6 Am 27.8. 1941 fand im Oberkommando der Wehrmacht eine Besprechung über die Übernahme der Zivilverwaltung in der Ukraine statt. Im Besprechungsprotokoll heißt es: „Bei Kamenez Podolsk hätten die Ungarn etwa 11.000 Juden über die Grenze geschoben. In den bisherigen Verhandlungen sei es noch nicht gelungen die Rücknahme dieser Juden zu erreichen. Der HSSUPF (SS-Obergruppenführer Jeckeln) hoffe, ... die Liquidation dieser Juden bis zum 29.3. durchgeführt zu haben.“ Aus einem Fernschreiben des HSSUPF (Jeckeln) vom 29.8. 1941 „... die Gesamtzahl der bei der Aktion in Kamenez Podolsk liquidierten Juden beträgt rund 20.000.“ In einem Nachtragsfernschreiben vom 30.8. 1941 wird berichtet:“... die Zahl der durch [die] Stabskom. HSSUPF Russland Süd in Kamenez Podolsk liquidierten Juden erhöht sich auf 23.600.“ (Ausstellungskatalog: Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944. Hg. vom Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburg 2002, S. 131ff.). Im Oktober 1943 überschritten die zionistischen Widerstandskämpfer Hermann und Anita Adler gemeinsam mit einem desertierten reichsdeutschen Polizeiinspektor namens Kersten illegal die Grenze zwischen der Slowakei und Ungarn, zwischen einem deutschen Satellitenstaat und einem dem Deutschen Reich verbündeten Königreich. Das Ehepaar eskortierte Kersten, dem die Gestapo auf den Fersen war, bis nach Budapest. Zu diesem Zeitpunkt war der deutsche Lehrer Hermann Adler bereits mehr als neun Jahre auf der Flucht. 1934 rettete er sich vom schlesischen Landshut, wo er unterrichtete, in die Tschechoslowakei — man hatte dem Absolventen des Jüdischen Lehrerseminars in Würzburg angebliche „sittliche Gefährdung deutscher Schüler“ vorgeworfen, „Schutzhaft‘“ drohte. In Prag kam der Flüchtling durch die Fürsprache Max Brods als gelegentlicher Beiträger beim „Prager Tagblatt‘ unter. Nach dem Einmarsch Hitlers im März 1939 musste Adler in die Slowakei und dann weiter nach Polen fliehen. Dort schloss er sich, der seit seiner Jugend Sympathien für den Zionismus gehegt hatte, einer Gruppe tschechoslowakischer Zionisten an. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges überraschte ihn in Krakau, wo er der Tschechischen Legion beitrat. „Wie ich als deutschsprachiger Jude die, wenn auch nur kurze Zeit in der Legion überleben konnte, ist mir ein Rätsel“, schrieb er Jahrzehnte später. Nach dem Zusammenbruch Polens flüchtete er in das von den Sowjets besetzte Kolomea in der polnischen Ukraine. Dort lernte er auch seine spätere Frau Anita Distler kennen, die im August 1939 von Wien nach Polen geflüchtet war. Da die sowjetischen Besatzer auch in Kolomea Zionisten und ehemalige Legionäre verhafteten, flüchteten Hermann und Anita im Dezember 1939 gemeinsam mit Mitgliedern der linkszionistischen Jugendgruppe „DrorHabonim“ unter Mordechai Tenenbaum nach Litauen. In Wilna, der litauischen Hauptstadt, hielten sich beide mit Deutschstunden und Handarbeiten über Wasser. Im Juni 1941 wurde Litauen von der Wehrmacht überrannt. Sofort begannen grauenhafte Pogrome sowohl gegen die alteingesessene jüdisch-litauische Bevölkerung als auch gegen jüdische Flüchtlinge vor allem aus Polen, denen tausende Menschen zum Opfer fielen. Hermann Adler und Anita Distler entkamen mehrmals nur haarscharf ihrer Ermordung und wurden im September 1941 in Wilna ghettoisiert. Im Ghetto ließen sie sich als verheiratet registrieren. In dieser existentiellen Situation der Gefährdung durch die deutschen Besatzer und ihre litauischen Kollaborateure wurde Hermann Adler zum Dichter: Um in mir selber, zu meiner Rettung, durch Rhythmus, Reim und Metrum Ordnung zu schaffen, schrieb ich im Ghetto ,, Die Gesänge aus der Stadt des Todes“, zum Teil die ‚, Balladen der Gekreuzigten“ und auch die Legende „Ostra Brama“. Im Auftrag der zionistischen Widerstandsgruppe um Mordechai Tenenbaum und mit Hilfe des aus Wien stammenden Feldwebels Anton Schmid verhalfen die Adlers von November 1941 und bis zu Schmids Verhaftung im Jänner 1942 rund dreihundert Ghettoinsassen zur Flucht nach Polen. Da der Feldwebel in den Verhören durch die Geheime Feldpolizei dichthielt, konnten Hermann und Anita Adler nach Warschau entkommen und nahmen an Vorbereitungen zum Ghettoaufstand bzw. am Aufstand selbst teil: Wie andere Genossen mit „arischem Aussehen und Gehabe“ wurden meine Frau und ich ziemlich bald zu Aufgaben außerhalb des Ghettos herangezogen. [...] Ungemein wertvoll war uns in Warschau die Freundschaft mit dem deutschen Polizei47