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Wolfram, deren Menge nicht angegeben war. Alle diese Waren mussten aus dem Ausland kommen; sie durften nicht aus Ungarn oder den von den Deutschen besetzten Gebieten stammen.“ Als deutsches Motiv für diesen erstaunlichen Handel erwähnte Kastner: „Für Eichmann war es selbstverständlich, dass sich bei den Alliierten, besonders aber bei den Amerikanern, starker jüdischer Einfluss geltend machen würde. Sie würden daher geneigt sein, jedes Opfer für die Rettung des Lebens von einer Million Juden zu bringen.“ Sie waren, natürlich, nicht geneigt. Wie wir heute wissen, hatte das nicht nur kriegsbedingte Ursachen. Eichmann war immerhin so zynisch, darauf hinzuweisen: „Beruhigen Sie Ihre Freunde, dass wir die Lastautos nicht an der Front, sondern im Hinterland benützen werden. Höchstens kann der Fall eintreten, dass wir sie im äußersten Notfall an der Ostfront zum Einsatz bringen.“ Die ungarischen Zionisten hingegen sahen in dem Be eine Möglichkeit, „die Meinung der Welt zu alarmie"Sie „glaubten nicht einen Augenblick, dass die Alliierten die deutschen Forderungen erfüllen würden. «" Ihre Abgesandten Joel Brand und György Grosz erreichten nach ihren Gesprächen in Istanbul auf dem Weg nach Palästina zwar die syrische Grenze. Dort wurden sie aber vom britischen Geheimdienst festgesetzt. Verschiedene Gespräche mit amerikanischen und britischen Regierungsangehörigen fanden nur indirekt durch die Kontakte der Vernehmer der Geheimdienste mit ihren politischen Chefs statt. Joel Brand 1907 — 1964. Foto: www.adl.org Raul Hilberg schreibt, dass Joel Brand verärgert und aufgeregt war. Er zitiert den Abgesandten des ungarischen Rettungskomitees: „Genossen, wisst ihr, worum es geht? ... Wir müssen verhandeln. ... Mit wem kann ich verhandeln? Habt ihr die Vollmacht, Vereinbarungen zu treffen? ... 12000 Menschen werden Tag für Tag abtransportiert, ... das sind jede Stunde fünfhundert. ... Müssen sie sterben, weil niemand da ist, der entscheiden kann? Ich will morgen telegrafieren, dass ich eine feste Zusage habe. ... Wisst ihr, worum es geht, Genossen?“ Die Einzelheiten von Brands Mission in Istanbul wurden nach London und Washington übermittelt. Das Flüchtlingskomitee in London, dem der britische Außenminister und spätere Premierminister Anthony Eden und der für die Kolonien zuständige Minister Oliver Stanley angehörte, diskutierte das Ange62 bot „Menschen gegen Waren“ und entschied, es nicht anzunehmen. Wäre der Vorschlag tatsächlich von der SS gekommen, wäre es ein klarer Fall von Erpressung gewesen und auf jeden Fall hätte die Bereitstellung von Lastwagen den Feind gestärkt, schreibt Hilberg. Außerdem hätte das Zugeständnis, die Auswahl der zu verschonenden Flüchtlinge den Nazis zu überlassen, ohne die Belange alliierter Gefangener zu bedenken, die britische Regierung der Kritik im eigenen Land ausgesetzt. Anders interpretiert Yehuda Bauer das Verhalten der Alliierten. Er nimmt an, dass die Briten befürchteten, bei Annahme des Handels „Menschen gegen Waren“ würden sehr viele Juden aus den von den Nazis besetzten Gebieten durch Zentraleuropa transportiert werden, was zur Einstellung der alliierten Luftangriffe und möglicherweise auch zum Abbruch der Bodenkämpfe gezwungen hätte. So wären die Juden zu menschlichen Schutzschilden geworden. Das hätte ein Motiv für Heinrich Himmler sein können, den Handel vorzuschlagen. Die Unterbrechung der alliierten Kampfhandlungen hätte den Deutschen zudem erlaubt, ihre Kräfte an der Ostfront zu bündeln. „Doch nichts kam bei alldem heraus,“ fasste Kastner zusammen, „sogar die Alarmierung der öffentlichen Meinung der Welt unterblieb.“ I Die in Ungarn verbliebenen Komiteemitglieder hatten nun zu tun, „das Fiasko vor den Deutschen zu tarnen. "Rudolf Kastner wurde bei Eichmann vorstellig, um über die andauernden Deportationen auch solcher Personen in die Vernichtungslager Auskunft zu erhalten, die an sich zur Vorbereitung ihrer Auswanderung nach Palästina aus der Provinz nach Budapest hatten gebracht werden sollen. Schlau entgegnete der Deutsche, wenn er die Deportationen einstelle, „ließe man sich mit an im Ausland in überhaupt keine Verhandlungen mehr ein.‘ Inzwischen machten auch die ungarischen Pfeilkreuzler von ihrem Bemühen, den deutschen Besatzern zur Hand zu gehen, eifrig Gebrauch. Die ungarische Geheimpolizei hatte das als arische Firma camouflierte Büro der Gruppe um Kastner und Brand enttarnt und bei einer Haussuchung in der Andorgasse 15 erhebliche Mengen an Devisen gefunden. Es gab dort einen Telefonanschluss, der für jüdische Wohnungen bereits verboten war. Das in verschiedenen Sorten aufbewahrte Geld war für die Finanzierung von Flüchtlingen bestimmt, und man hatte es dort aufbewahrt, „weil die Deutschen wiederholt Schutz gegen jeglichen Eingriff der Behörden versprochen hatten.“ Hansi Brand, Joel Brands Ehefrau, Rudolf Kastner und seine Frau sowie ein anderes Ehepaar wurden in die Zentrale der ungarischen Gestapo am Schwabenberg gebracht und dort gefoltert. Erst vierzehn Tage danach kam ein Anruf von der deutschen SS, und die Inhaftierten wurden frei gelassen. „Unsere Verhaftung‘, berichtet Kastner, „war den Deutschen äußerst peinlich gewesen. Zeitlich fiel sie mit ihrem Angebot an Istanbul zusammen. Sie sollten eine Million Juden freigeben und nicht imstande sein, ihre ‚Verhandlungspartner’ freizubekommen?“ Hinzu kam: „Sie befürchteten auch, wir könnten das ‚Reichsgeheimnis’ enthüllen, dass sie — hinter dem Rücken der ungarischen Regierung - die ungarischen Juden zum Verkauf anboten.“ Das wurde in den folgenden Monaten ein andauerndes Problem. Die Mitglieder des Rettungskomitees hatten insofern an vielen Fronten — nicht nur argumentativ — zu kämpfen. Da waren einerseits die Ungarn, die von den Verabredungen mit Eichmann nichts wissen sollten. Da waren andererseits die Deutschen,