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die sich ambivalent verhielten: Eichmann war ein unerbittlicher Judenjäger, andererseits ließ er sich nach Ansicht von Kastner auf Geschäfte ein, wenn diese Geschäfte im Verborgenen blühen konnten. Sein Chef Heinrich Himmler versuchte seit Mitte 1944, Bedingungen für einen Separatfrieden auszuloten. Der Leiter des Ausrüstungsstabes des Höheren SS- und Polizeiführers in Ungarn, Obersturmbannführer Kurt Becher, erinnerte sich bei seiner Vernehmung durch einen Bremer Amtsrichter auch an den Vorschlag, Lastwagen gegen Menschenleben einzutauschen, und Himmlers Reaktion hierauf. Becher wurde am 20. Juni 1961 vor dem Bremer Amtsgericht vernommen, da er aus guten Gründen nicht zu einer Zeugeneinvernahme im EichmannProzess nach Jerusalem reisen wollte. Bei einem ersten Treffen mit Rudolf Kastner zeigte Kurt Becher sich beeindruckt von den unter den ungarischen Juden eingesammelten Wertsachen. Er drängte Eichmann, die mit Kastners Komitee getroffenen Vereinbarungen „Zug um Zug“ einzuhalten. In seiner Zeugenaussage in Bremen sagte er: „Als ich ... um einen Termin bei Himmler nachsuchte, ... wusste ich, ... dass ein Vorschlag, Lastkraftwagen gegen Freilassung jüdischer Menschen, im Gespräch war. Himmler äußerte sich nicht darüber, ob er von diesem Vorschlag Kenntnis hatte und von wem er stammte. Himmler erklärte mir jedoch nach meiner Erinnerung wörtlich: ‚Holen Sie von den Juden heraus, was herauszuholen ist. Versprechen Sie ihnen, was sie fordern. Was davon eingehalten wird, das werden wir sehen!’ Ich widersprach und erklärte ausdrücklich, dass mit den Juden getroffene Vereinbarungen unter allen Umständen eingehalten werden müssten. Ich erinnere mich, dass Himmler bezüglich einer Verrechnungsquote schließlich einen Betrag von Dollar 1.000 festgesetzt hat. = Adolf Eichmann ließ trotzdem die Vernichtungsmaschine weiter laufen und leitete nur unter Ausnahmesituationen Deportationszüge nicht in die ihnen bestimmte Richtung. Unter anderem geschah das, wenn Rudolf Kastner nachweisen konnte: „Sie haben ihr Wort nicht gehalten.“ Immer wieder ging es um Geld gegen Menschenleben. Durch solche Zugeständnisse gelangten 15 000 Juden aus Ungarn nach Wien und nach Nieder-Österreich. Als Störfaktor dieser Transaktionen traten die ungarischen Faschisten auf: „Sie waren entschlossen, die Flucht des Jüdischen Geldes zu den deutschen Verbündeten zu verhindern.“ Nach Ansicht von Kastner war Becher der Mann, der „hinter den von Eichmann gewährten Konzessionen stand.“ SSObersturmbannführer Kurt Becher, Leiter des Ausrüstungsstabes des Höheren SS- und Polizeiführers in Ungarn, hatte maßgeblichen Anteil an der Überführung der riesigen Manfred-WeißWerke in deutsche Kontrolle. Im Protokoll seiner ZeugenVernehmung im Eichmann-Prozess vor dem Amtsgericht Bremen am 20. Juni 1961 sagte Becher zu diesem Sachverhalt: „Im Verlaufe der freundschaftlichen Gespräche, die ich mit Dr. Chorin damals geführt habe, unterbreitete er mir eines Tages den Vorschlag, Deutschland möge den Manfred-Weiß-Konzern beziehungsweise die formell in nichtjüdischen Händen befindlichen Anteile übernehmen, dafür aber den Mitgliedern der Familie Weiß die Ausreise gestatten. Himmler genehmigte auf meinen Vorschlag hin den Abschluss eines Treuhandvertrages und befahl, dass Obersturmbannführer Bobermin und ich mit in die Leitung des Konzerns berufen werden sollten.“ Über die Bedeutung des Konzerns wusste Becher genau Bescheid: „Die Erhaltung des Manfred-Weiß-Konzerns war von kriegswichtiger Bedeutung. Sie diente auch der Erfüllung meines Auftrages insofern, als die Möglichkeit bestand, die Verbindungen des Foto: http://www.kasztnermemorial.com Konzerns zur Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen einzusetzen. Die dem Manfred-Weiß-Konzern angehörenden Industriebetriebe produzierten Flugzeuge, Lastkraftwagen, Motorräder bis zur Stecknadel, auch Lebensmittel und Konserven. Auch die Beschäftigung von etwa 30.000 Arbeitern in der Nähe der kämpfenden Truppe erschien von großer Bedeutung.“ ” Becher war es auch, der später zusammen mit Kastner an die Schweizer Grenze reiste, um mit dem Vertreter des „Joint Distribution Committee“, Saly Mayer, und dem des „War Refugee Board“, Roswell McClellland, über die Aufnahme von ungarischen Juden in der Schweiz zu verhandeln. III Die Aufforderung, bei der Organisation der Transporte nach Österreich behilflich zu sein, bescherte dem Komitee in Budapest eine Zwangslage: „Sollen wir die Auswahl dem blinden Zufall überlassen oder versuchen, darauf Einfluss zu gewinnen?“ Man entschied sich für die Einflussnahme: „Wir sagten uns, dass, so heilig den Juden immer jedes menschliche Wesen wäre, doch danach gestrebt werden müsste, zumindest diejenigen zu retten, die zeitlebens für den Zibur” gewirkt hatten. Ebenso jene Frauen, deren Männer in ‚Arbeitslagern’ weilten; es musste dafür gesorgt werden, dass Kinder, besonders aber Waisen, nicht der Vernichtung anheim fielen.“ Zur Rolle der jüdischen Funktionäre schrieb Hannah Arendt: „Noch heute bezeugen ihre von den Nazis beeinflussten, aber nicht diktierten Manifeste, wie sie ihre neue Macht genossen — ‚der jüdische Zentralrat ist mit der Vollmacht ausgestattet, über den gesamten geistigen und materiellen Besitz der Juden und über die vorhandenen jüdischen Arbeitskräfte zu verfügen’, kündigte die erste Verlautbarung des Budapester Rates an. Wir wissen, wie den jüdischen Funktionären zumute war, als man sie zu Werkzeugen des Mordes machte — wie Kapitänen, ‚die das sinkende Schiff doch noch sicher in den Hafen bringen, weil sie einen Teil der kostbaren Ladung über Bord geworfen hatten’, wie Rettern des jüdischen Volkes, die ‚mit hundert Opfern tausend Menschen retten, mit tausend Opfern zehntausend’. (Die Wirklichkeit sah noch erheblich anders aus: Dr. Kastner z.B. erkaufte in Ungarn die Rettung von genau 1684 Menschen mit ungefähr 476000 Opfern. p 63