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Nicht nur Österreich, auch Ungarn hat ein gewaltiges Problem mit der Bewältigung der Vergangenheit: Ein Augenschein im eigenartigen „Haus des Terrors“ in Budapest. Der Geruch erinnert an den Turnsaal in der Schule; eine Schweißwolke schwebt im Raum. Der Geruch verschütteter süßlicher Leichtgetränke umgibt eine Gruppe gelangweilter Jugendlicher, die im Eingangsbereich des Museums offensichtlich gerade vor einem Pflichtbesuch stehen. Ein Genrebild geradezu, das man so überall in Europa erleben kann — und durch das sich die jungen Ungarn im Budapester „Haus des Terrors“ keineswegs von anderen Jugendlichen irgendwo sonst unterscheiden. Nur, was ihnen hier geboten wird, ist einmalig — nämlich ungarische Vergangenheitsbewältigung im Schnellverfahren: Die gleichzeitige Aufarbeitung zweier Terrorregime des 20. Jahrhunderts — jenes des Nationalsozialismus und das des Kommunismus; alles unter einem Dach. Schon beim Betreten des Museums wird die Gleichwertigkeit der beiden Ereignisse suggeriert: Zwei gleich große glänzende Marmortafeln, die linke in Schwarz mit weißem Pfeilkreuz — dem Symbol der ungarischen Faschisten — und rechts davon die rote Tafel mit dem fünfzackigen Stern für die Kommunisten. Beide haben fast gleich lautende Inschriften: „Zur Erinnerung an die Opfer des Terrors der Pfeilkreuzler, an die Opfer der Kommunisten“. Nun trägt das ,, Terrorhaza“ (,,Terrorhaus“ auf Ungarisch) seine Bezeichnung leider zu Recht. Denn dieses ehemals elegante Biirgerpalais auf der dicht begriinten Prachtallee — der Andrassy ut — war von 1939 an fiinf Jahre lang die Parteizentrale der Pfeilkreuzler, jener sich auf heidnische Traditionen berufenden rechtsradikalen Vereinigung rabiater Antisemiten in Ungarn. Wobei das Palais bis 1944 „Haus der Loyalität‘ hieß und seine Kellergeschoße als grausames Gefängnis benützt wurden. Im Februar 1945 — und nach der Besetzung Budapests durch die Rote Armee — nahm sodann die kommunistische ungarische Geheimpolizei AVO das Haus in Beschlag und übte von hier aus ihre Schreckensherrschaft aus. Der Gefängnis-Keller wurde vergrößert und zusätzlich mit schallgedämpften Folterkammern versehen. Es war dies die Zeit der permanenten stalinistischen Säuberungen in allen Volksdemokratien, der in Ungarn jene zum Opfer fielen, die sich gegen die herrschende politische Doktrin stellten, antikommunistisch oder antisowjetisch waren oder der jeweils herrschenden Clique in der Kommunistischen Partei im Wege standen. Die Hexenjagden richteten sich nicht zuletzt gegen die eigenen Funktionäre und jene Gegner, denen man „konterrevolutionäre“ Aktivitäten unterstellte, die dann tatsächlich in der Revolution von 1956 zum Vorschein kamen. Jedenfalls zog noch im gleichen Jahr und nach dem Sieg einer prosowjetischen Clique unter Janos Kadar die Geheimpolizei aus der Andrässy ut aus — wobei sie noch fleißig daranging, ihre Blutspuren zu verwischen. In den 1970er Jahren und danach herrschte nämlich in den Kellerräumen, in denen immerhin tausende Menschen gefoltert worden waren, eine lockere Atmosphäre: Ein Club junger Kommunisten hatte es sich dort bequem gemacht. Das „gulaschkommunistische“ Ungarn war zur „Lustigsten Baracke des Ostblocks“ geworden... Die Geschichte mit der Unschuld Jetzt steht die Schülergruppe in eben diesem Gebäude, das Jahre später — konkret 2002 — von der rechtskonservativen Regierung Viktor Orban renoviert und unter der Leitung der umstrittenen ungarischen Historikerin Maria Schmidt als Museum eröffnet wurde. Dröhnende, filmtrailerartige Musik unterlegt die Männerstimme, die in dramatisierendem Tonfall Namen aufsagt. Ein sowjetischer Panzer mit seinem bedrohlichen Rüssel dominiert den kleinen Innenhof. Hinter dem Panzer ist eine Wand vom Parterre bis zum dritten Stock mit hunderten schwarzweißen Porträts vollgekleistert: Opfer des kommunistischen Terrors. Und das zieht sich durch: Während nur zwei Räume den Verbrechen der Faschisten und Nazis an den Juden gewidmet sind - ihre Opferzahl betrug immerhin 600.000 im Vergleich zu rund 3.000 stalinistischen Opfern —, dominieren die Untaten der Kommunisten das gesamte Haus. Dazu das zentrale Motto der Museumsbetreiber: Die Ungarn waren immer nur Opfer — zuerst jene der Nazis und dann jene der Kommunisten. „Die ständige Ausstellung ist antihistorisch, ahistorisch und politisch gelenkt“, entrüstet sich denn auch Läszlö Karsai, 55jähriger Geschichtsprofessor an der südungarischen Universität Szeged: „Die Botschaft ist populär: Fast jeder Ungar ist unschuldig. Die Hauptschuld tragen die fremden Mächte - zuerst die Deutschen und dann die Russen. Und außerdem soll es ganz wenige Kollaborateure gegeben haben...“, legt er mit beißender Ironie nach. Die nicht nur partei-, sondern auch gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit dem transportierten Selbstbildnis einer Nation beschäftigt allerdings mittlerweile die ungarische Öffentlichkeit nachhaltig. Seit Entstehung des Museums wurden allein mehr als 3.000 Themenbeiträge in ungarischsprachigen Medien publiziert. „Bei uns steht die anti-totalitäre Deutung im Vordergrund. Denn wir sind so glücklich, daß unsere Systemumstellung 1989/ 90 ohne Blutvergießen abgelaufen ist“, erzählt Gäbor Tallai, der Programmdirektor des Museums. „Trotzdem haben wir zwölf Jahre zum Kräfte-Sammeln gebraucht, um das historische Erbe zu verarbeiten.“ Aber gerade an dieser unreflektierten Gleichmacherei von wehrlosen Opfern erhitzen sich die Gemüter sowohl vieler historisch gebildeter Intellektueller wie auch einfacher Bürger und Zeitzeugen. „Ohne jeden Skrupel können wir uns betrauern und andere verurteilen“, empört sich auch die Soziologin Eva Judit Koväcs, die am Zentrum für Mitteleuropäische Studien in Budapest forscht und lehrt. „Indem das Terrorhaus Halbwahrheiten in gefälschter Umgebung verbreitet, entläßt es den Besucher frustriert und beladen mit Ressentiments.“ Doch Programmdirektor Tallai, der früher deutsche Literatur ins Ungarische übersetzte, bleibt unbekümmert bei seiner lauen Überschrift zu NS-Zeit und Kommunismus. Sein Titel lautet: „Die Ungarische Tragödie“. Noch eindeutiger und drastischer als der Programmdirektor zeigt die Museumsdirektorin Maria Schmidt, welch Geistes Kind sie ist. Vier Jahre, von 1998 bis 2002, war sie Regierungsberaterin von Ministerpräsident Viktor Orban — und wurde zur 69