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Berichte Erwin Chvojka Theodor Kramer, der „Chronist seiner Zeit“, der jenen, „die ohne Stimme sind“, die seine lieh, und der dies so wahrhaftig tat, daß ihr erzähltes Leben von vielen für sein eigenes gehalten wurde, Theodor Kramer, der Dichter, dem das Land, das ihn gebar, im englischen Exil „zum Weinen klar“ vor Augen stand. Der Verfolgte, der in seinen Versen sein eigenes Schicksal so gültig gestaltete, daß seine Worte in zahlreichen Sprachen zu anderen Völkern getragen wurden, die in ihnen die Bedrohung ihres eigenes Geschickes wiederfanden. Welche Beziehung konnte es zwischen diesem Dichter und dem ihm thematisch so ferne liegenden Italien geben? In Kramers Band „Wir lagen in Wolhynien im Morast...“ (1931) findet man zwar eine Handvoll einschlägiger Gedichte, nämlich „Zur Truppe“, „In der Pinienebene“, „Gewehre im Rauch“, „Rückzug über den Plöcken“ und „Der Muskatenbaum“. Nur drei davon verweisen direkt auf Italien als Ort des Geschehens. Und doch gibt es starke und wiederholte Beziehungen Kramers zu Italien. An den befreundeten Autor Peter Kilian (d.i. Fritz Schlumpf) im schweizerischen Neuhausen am Rheinfall' schreibt Kramer: „Ich kenne vom Krieg her Gemona, Udine usw. Dann war ich einmal in Florenz, Siena, Pisa und Marina di Massa bei Viareggio. Und einmal wanderte ich über die Dolomiten und Bozen, Trient nach Riva und um den halben Gardasee.“ Wie fast alles, was ihm begegnet, werden ihm auch diese Erfahrungen zu Gedichten. Sie stehen immer —und das mag überraschen — wie Markzeichen für bedeutende Veränderungen in seinem Leben — zuerst für seine Flucht aus dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Armee am Ende des Ersten Weltkrieges, dann für den Verlust der Frau, von der Kramer mir sagte, sie sei „die schönste gewesen, die ich je gekannt habe, eine Polin aus aristokratischem Geschlecht“, und zuletzt für das Zusammentreffen mit jener Frau, die später seine Gattin wurde; von der er zwar seit seinem englischen Exil getrennt lebte, von der er sich aber nie scheiden ließ. Und noch etwas haben seine Italiengedichte gemeinsam: Sie bergen manches Rätselhafte. Schon Kramers erste Begegnung mit Italien, am Ende des Ersten Weltkrieges, erweist sich trotz guter Aktenlage als rätselhaft und widerspruchsvoll. Kramers Militärpapiere sind im Österreichischen Staatsarchiv erhalten, vom „Landsturmmusterungsschein“ vom 1.7. 1915, der ihn dem Landsturmregiment 24 zuweist bis zum „Haupt-Grundbuchsblatt“ und dem beigeschlossenen „Unterabteilungs-Grundbuchsblatt“. Beide vermerken unter dem 5.6. 1916 seine Verwundung „in Wolhynien durch Durchschuß durch den Oberkiefer, Schlund und Schulter“ auf. Am 20.11. 1916 erfolgt eine Eintragung: „zum Truppendienste untauglich, zu Lokaldiensten zu verwenden“ , doch schon am 16.12. desselben Jahres | seine Zuteilung „zur Dienstleistung der Kgf. Arb. Abtlg. (Kriegsgefangenen-Arbeitsabteilung) N1 189“ sowie später am 14.2.1917 eine wei74 tere „zur Dienstleistung zur Kgf. Arb. Abt. 1129 Kiralymezö““ erwähnt. Es ist dies die Zeit seiner Dombo-Gedichte. In Dombo erhielt er auch — das wird ausdrücklich erwähnt — das „KarlTruppenkreuz*, eine Auszeichnung, die jedem österreichischen Kriegsteilnehmer zustand. Dagegen ist sein Studienurlaub an der philosophischen Fakultät der Universität Wien, wo Kramer das ganze Sommersemester 1918 hindurch vom 10. Mai bis zum 21. Juli 1918 als außerordentlicher Hörer (ihm fehlte als Realschulabsolventen für ein „ordentliches“ Studium das Latinum) studierte", in seinen Militärpapieren nicht eingetragen. Kramer schloß das Sommersemester ab, danach war es ihm aber nicht mehr möglich, ein zweites Semester anzuschließen. Im Herbst 1918 beginnt die österreichisch-ungarische Armee ihre letzten Reserven aufzusammeln, um sie an die Front zu werfen. Der Krieg ist am Ende. Jedermann weiß das. Und Theodor Kramer will ihm nicht jetzt noch zum Opfer fallen. In dieser Zeit leben alte Beziehungsgeflechte wieder auf: Der Dorfarzt, Kramers Vater, wendet sich an den Vertreter der abgekommenen „Dorfobrigkeit‘“, an den Besitzer des Gutshofes in Niederhollabrunn und bittet ihn um Unterstützung. Dieser hat, wie in Österreich nicht ungewöhnlich, „Beziehungen“, doch waren sie nicht ausreichend, um für den Sohn des Dorfarztes einen negativen Gesundheitsbescheid zu erwirken ". So wird am 21. Septemüber 1918 entschieden, daß Kramer wieder in den Krieg muß, und zwar nach Italien, wo seine Stammeinheit, das k.u.k. Schützenregiment Nr. 24 steht. Es war im April 1917 aus dem Landsturmregiment Nr. 24, in das Kramer 1915 gemustert worden war, hervorgegangen. "Da er aber am 13.6. 1917 ärztlich herabgestuft worden war, als nur mehr „diensttauglich zu allen ihm berufsmäßig im Krieg und Frieden obliegenden Diensten“ ” wird er nicht mehr an die Front geschickt, sondern mit 25.9. 1918 „zum Inspizierenden der Mafo. der 6. Armee“ abgestellt. Damit bleiben ihm zwar die bis zum letzten Kriegstag andauernden Kämpfe um den Monte Grappa, wo das Regiment eingesetzt ist ‚erspart, doch auch der Aufenthalt in der Etappe war zu dieser Zeit nicht ungefährlich, denn die Marschformationen, aus Versprengten zusammengestellte Einheiten, die der Front wieder zugeführt werden sollten, waren bereits im Aufruhr.‘ Mit Kramers Versetzung nach Friaul scheint auch eine weit in die Zukunft, fast bis an sein Lebensende wirkende Veränderung zusammenzuhängen, die die Erhaltung seiner Gedichte sichern soll. Hatte er bis dahin die Gedichte auf einzelnen Blättern, oft in Schönschrift, festgehalten, so beginnt er nun, sie in wachstuchüberzogene handliche Hefte, die er mit sich tragen kann, einzuschreiben, wobei er bald auch den Tag und den Ort der Entstehung eines Gedichtes penibel festhält. Das erste derartige Heft hatte bis dahin zur Notierung der Titel seiner weitausgreifenden Lektüre gedient. Seine neue Bestimmung be