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Dollar kostet die Wohnung, 100 Dollar im Monat zum Leben sind auch in der Ukraine nicht viel. Ärzte erhalten 70 bis 150 Dollar. Natürlich blüht unter diesen Umständen die Korruption. Die jungen Frauen in Odessa sind allerdings sehr chic angezogen. Sie sind überhaupt sehr hübsch, sehr sexy und sehr selbstbewußt. Geheiratet wird früh. Das ist für die Ukrainerinnen und Ukrainer ein spezielles Ereignis. Die Brautkleider hier sind die schönsten, die ich je sah. Die Bräutigame, die daneben stehen, scheinen mir viel zu jung und sind, ehrlich gesagt, im Durchschnitt nicht halb so attraktiv wie die Frauen. Die Situation der Straßenkinder Odessa hat die höchste Steigerungsrate an Aidsinfektionen in Europa. 60-90 Personen beträgt der monatliche Zuwachs. Ich besuchte im Februar 2006 das Aidszentrum der Stadt, zuständig für Prophylaxe und Therapie. Es ist, gelinde gesagt, eine Bruchbude. Der leitende Arzt ist sehr ambitioniert und wünscht sich gutausgebildete Ärzte, guteingerichtete Zimmer, ein Labor, ein Testprogramm für Babys, das bereits nach sechs Monaten angewendet werden kann, Die staatlichen Internate, in denen die Kinder schließlich landen, sind ein Horror. Es gibt dort kaum gut ausgebildete Betreuer und SozialarbeiterInnen, daher umso mehr Brutalität der Kinder untereinander. Es sind geschlossene Heime. Kein Wunder, dass vor allem Kinder zwischen 12 und 16 wieder ausreißen und das dürftige Leben auf der Straße vorziehen. Viele Kinder sind HIV- positiv, ohne es zu wissen. Natürlich gibt es auch Kindesmißbrauch und Kinderprostitution. Aber was in diesem Land nicht sein darf, gibt es offiziell nicht. Darüber wird einfach nicht gesprochen. Ein weiteres Problem dieser Stadt ist der Mädchenhandel. Zweimal wöchentlich kommt ein türkisches Schiff mit Mädchen, die von der Polizei aus Ländern wie den Arabischen Emiraten, Griechenland, Spanien, Italien, Israel, Türkei auf dieses Schiff gebracht werden, um sie nach Odessa zu verfrachten. Es sind Mädchen aus verschiedenen Herkunftsländern, Moldawien, Rumänien, Rußland, der Ukraine. Eine Organisation in Odessa, finanziell unterstützt aus Deutschland - allerdings läuft diese Finanzierung jetzt aus— und von der EU, kümmert sich um die Mädchen. Die Organisation „Glaube, Liebe, Hoffung“ nimmt die Mädchen und jungen Frauen, die und natürlich die Sanierung des Gebäudes. Dafür hat die Stadt Odessa jetzt ein „Psychosoziales Rehab-Zentrum für verhaltensauffällige Kinder“ eingerichtet. Dort sollen die meist drogensüchtigen Straßenkinder behandelt werden. Diese Kinder schnüffeln in erster Linie Klebstoff, was keine Entzugserscheinungen nach sich zieht, aber den Organismus und das Gehirn in ein paar Jahren zerstört. Das psychosoziale Zentrum wurde von einem Autohändler ausgebaut, die Stadt bezahlt die Einrichtung und den Betrieb. Ich war mit Experten aus Österreich dort und meine Befürchtungen haben sich bestätigt. Von Streetwork hat man keine Ahnung. Wie man die größeren Straßenkinder zum Bleiben veranlassen soll, weiß man nicht, weil es bis vor kurzem in der Ukraine keine wirkliche Ausbildung von SozialarbeiterInnen gab. Und mit Straßenkindern hat sich offiziell noch niemand beschäftigt. Freilich gibt es private ausländische Organisation, die gute Arbeit leisten auf diesem Gebiet. 80 zurückgebracht werden, in Empfang, sorgt für deren Identifikation, medizinische Untersuchung und Behandlung, psychotherapeutische Betreuung, juristische Beratung, Erneuerung der Dokumente, da den Frauen ja fast immer die Pässe von den sogenannten Bossen abgenommen wurden. Viele Mädchen haben keine Berufsausbildung. Die Wohlfahrtsorganisation sorgt auch für Berufsausbildung. Odessa — ein weltoffene Stadt? Auf den ersten Blick wiirde ich sagen: Nein! Vieles wirkt provinziell, obwohl Odessa eine Hafenstadt ist. Ich hatte sehr oft das Gefühl, dass die Menschen, denen ich auf der Straße begegnete, nichts mit dieser Stadt zu tun haben. Viele kommen aus den ländlichen Gebieten, da es in den Städten noch eher Arbeit gibt als auf dem Land. Allerdings gibt es in Odessa Modegeschäfte, Einkaufszentren und Supermärkte, die ich in Wien mit diesem exquisiten Angebot — zu entsprechenden Preisen — noch nicht gesehen habe. Es muß also reiche Leute geben. Nur woher ihr Reichtum stammt, lässt sich schwer nachvollziehen. Und wie mir ein befreundeter Rechtsanwalt versicherte, ist das Abliefern von Steuern in der Ukraine nicht „in“. Man spendiert vielleicht den Ausbau eines Kinderheimes, das dann die Stadt erhalten soll, wozu ihr wiederum mangels Steuern das Geld fehlt. Oder schmiert gleich direkt die zuständigen Politiker. Sollte aber unter Präsident Juschtschenko nicht mehr vorkommen. Interessant war auch ein Einkaufsbummel auf dem Büchermarkt, der Knyshka. Ich hatte den Wunsch, dort ein ukrainisch-deutsches Wörterbuch zu kaufen. Die Gesichter der Verkäufer bei der Äußerung dieses Wunsches sprachen Bände. Der Ausdruck an Abfälligkeit war kaum zu überbieten. Russisch-deutsche Wörterbücher hingegen gab es in vielen Ausführungen. Doch mitten in meinem Einkaufsbummel erschallte ein knapper Rufund die Rolläden vieler Bücherstände mit CDs und Videos klappten herunter. Zumindest verschwanden in Windeseile alle CDs und Videos unter dem Ladentisch. Die Wirtschaftspolizei mußte mit enormer Blindheit geschlagen sein, die auffällige Dürftigkeit an Angeboten und die geschlossenen Läden nicht zu bemerken. Ich sah dann nur zwei Polizisten genüßlich an einem Stand einen Imbiß einnehmen. Das Angebot an CDs und Videos bestand hauptsächlich in Raubkopien. Immerhin ist der Büchermarkt nicht uninteressant. Odessa ist stolz auf seine Kultur, auf seine Schriftsteller und sein Opernhaus, das von zwei Wiener Architekten erbaut wurde. Die Stadt gilt zu recht als Wiege vieler großer Musiker, so David Oistrach, die Gilels, Nathan Milstein, Swjatoslaw Richter, Michael Goldstein und nicht zuletzt Oleg Mejsenberg. Alle diese Großen der Musik sind jüdischer Herkunft. In Odessa hatte die jüdische Bevölkerung wie auch in Czernowitz und Wien einen großen Anteil am Kulturleben. Doch auch hier hat das Kulturleben der Stadt eine jähe Unterbrechung erfahren durch die Shoa. Vor 1940 lebten in Odessa 180.000 Juden. 90.000 konnten vor den Nazis und ihren Helfershelfern fliehen. Von den restlichen 90.000 Juden überlebten nur 6.000 (hier gibt es verschiedene Angaben). Aber bereits 1959 wurden wieder 100.000 Juden in Odessa gezählt. Doch nach 1991, dem Jahr der Unabhängigkeit der Ukraine, begann eine Abwanderung der jüdischen Bevölkerung nach Israel und in die USA. Und wie der kürzlich in Wien gezeigte Film „Odessa, Odessa‘ uns vermittelte, leben sie dort und träumen von Odessa. Und jetzt komme ich auf den sprichtwértlichen Humor der Odessiten zu sprechen. Es ist mir nicht gelungen, ihm zu begegnen. Was der Stadtführer als Belege für den Humor Odessas ausgab, waren echte alte jüdische Witze. Aber auch der jüdische Humor ist mir nirgends begegnet. Dazu ist das Leben in Odessa viel zu hastig und der Kampf um Erfolg zu hart. Als