OCR
Tourist begegnet man oft unfreundlichem, schlechtgeschultem Personal, das einen, wenn es irgend geht, übers Ohr zu hauen versucht. Als ich in Wien davon erzählte, sagten mir einige Freunde ganz trocken: Das kann dir doch hier ebenso passieren. Der Gerechtigkeit halber muß ich sagen, dass ich auch freundliches Personal und, in persönlichen Gesprächen, viele sehr freundliche Menschen getroffen habe. Rührend ist es, wenn Odessa versucht seine Dichter zu ehren. In der Puschkinstraße begegnet einem in Lebensgröße der bronzene Puschkin. Puschkin hat ein einziges Jahr in Odessa gelebt und mußte wegen einer Liebesgeschichte flüchten. Ich habe einen jüdischen Dichter in Odessa getroffen, es ist Aleksandr Bejderman. Er schenkte mir sein jüngstes Werk, ein Theaterstück von absurdester Komik mit Hitler als Herrscher über die Schwarzen auf einer Insel. Wenn ich an den Inhalt dieses Stückes denke, glaube ich zu begreifen, dass ich den Humor der Odessiten nicht verstehe und ihm daher nicht begegnen kann. Doch so skurril fand ich Odessa wieder auch nicht. Statt Lenin soll zukünftig Ivano Franko aufden Kulykowa Pole thronen. Mit diesem Schriftsteller hat Odessa gar nichts zu tun. Ich wagte den Vorschlag zu machen, Isaak Babel aufs Podest zu stellen, denn er stamme wirklich aus Odessa. Ich erntete nur leicht irritiertes Lächeln. Isaak Babel verließ wie viele andere Schriftsteller Odessa in Richtung Moskau. Und er schrieb wie die anderen auch in russischer Sprache. Beinahe hätte ich es vergessen: Odessa ist eine Stadt der Clowns. Odessa hat ein eigenes Clown-Haus, in dem die bekannte Truppe MASK auftritt. Odessa hat auch eine berühmte Clownschule, aus der viele europäische Clowns hervorgehen. Vielleicht hat sich der Humor von Odessa auf diese Professionalität des Spaßmachens zurückgezogen. Odessa hat einen ständigen Zirkus in einem wunderschönen, wenn auch desolaten Zirkusgebäude aus der Gründerzeit. Dieses Haus hat eine besondere Atmosphäre und befindet sich nicht weit entfernt vom Zentrum der Stadt in der Koblewskaja-Straße. Odessa — Wien — gibt es Parallelen? Odessa ist heute 212 Jahre alt und die schönsten Gebäude sind zur gleichen Zeit entstanden wie die Ringstraße. Viel Neoklassizistisches, viel im Stil der Gründerzeit und immer waren es Förderer, die aus dem Ausland kamen, wie Admiral De Ribas aus Spanien, Richelieu aus Frankreich, aus Rußland Woronzow, die die Stadt ausbauten und zur Blüte führten. Die übrige Bevölkerung kam ebenfalls aus Rußland, Griechenland, Italien, Spanien, Deutschland. Heute heißt es unter den Leuten, die Innenstadt Odessas sei an Deutsche verkauft. Möglich! Jedenfalls gibt es eine eingesessene deutsche Bevölkerungsgruppe und viele internationale Kulturvereine. Die Deutschen haben tatsächlich einen großen Anteil an der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung dieser Stadt, ihr Kulturverein ist das Bayerische Haus. Österreich plant gerade die Einrichtung eines Bildungsprojektes. Eine Österreich-Bibliothek wird zumindest schon überlegt. Dafür bemühen sich inzwischen Nicht-Österreicher um die österreichische Kultur in Odessa, wie z.B. Hans-Dirk Reinartz, ein Fotograf aus Deutschland. Er zeigte eine Fotoausstellung im Bayerischen Haus unter dem Titel „Ukraine und Österreich — mit den Augen eines Deutschen“. Mozart war nie in Odessa. Er starb, ehe die Stadt gegründet wurde. Die Ausstellung „Mozart in Odessa“ ist dennoch sehr anmutig; eine wunderschöne Fotoserie von Odessa, unterlegt mit Mozart-Musik. Aber Mozarts Musik und die Schönheit Odessas bilden eine Harmonie. Ich liebe Odessa mit all seinen Schattenseiten — die gibt es in Odessa auch wahrhaftig durch die Riesenplatanen, die einem die Sommerhitze erträglich machen. Ich werde diese Stadt, die sich der EU annähern will und zugleich zu Rußland hinneigt, noch oft besuchen. Ich träume von einem Wiener Kulturcafé und einem Straßenkinderzirkus in Odessa. Viel aufeinmal, aber: Odessa ist eine aufstrebende Stadt. Cecile Cordon, 1939 in Graz, Schauspielschule in Graz und München; 1961-75 Schauspielerin in München, Schweinfurt, Heilbronn, Tübingen, Hamburg. 1975-96 Theater-, Film- und Fernseharbeit in Wien. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und im ORF. 1991-2001 Bezirksrätin in Wien-Leopoldstadt, 2001-05 Wiener Gemeinderätin. 2004 Gründung eines gemeinnützigen Vereines für soziale und kulturelle Projekte in Osteuropa (Obfrau). Bücher: „Das Riesenrad hat alle entzückt“. 100Jährige Geschichte des Wiener Riesenrades (Wien 1997); An der Zeiten Ränder. Czernowitz und die Bukowina. Geschichte/Literatur/Verfolgung/Exil (Hg. zusammen mit Helmut Kusdat, Wien 2002). „Die Burg Zions leuchtet weit am Ufer der Donau“, schwärmten die ungarischen Juden des 19. Jahrhunderts über ihr Budapest. Vieles hat sich verändert, vieles ist verschwunden, vieles zerstört worden. Geblieben ist dennoch die starke Präsenz jüdischen Daseins im Budapester Stadtbild. Die „Burg Zions“ leuchtet wieder — es lohnt, sie zu entdecken. “The fortress of Zion shines far and wide on the shores of the Danube,” raved the Hungarian Jews of the nineteenth century about their Budapest. Much has changed, much has disappeared, and much has been destroyed. What remains, nonetheless, is the strong presence of Jewish life in Budapest’s cityscape. The “fortress of Zion” shines again, and it is well worth discovering. Jiidisches Budapest Jewish Budapest deutsch/englisch, 240 Seiten Euro 17,80 ISBN 3-85476-111-2 ebenfalls erschienen: 81