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Peter Gstettner Dr. med. FrantiSek Janouch, hoch angesehener Arzt in Prag, Akademiker im antifaschistischen Widerstand; dann Häftling und Sanitätsgehilfe im KZ, Augenzeuge und Kronzeuge schrecklicher Nazi-Verbrechen; sein ganzes Leben lang: Humanist und Menschenfreund, leuchtendes Vorbild in einer dunklen Zeit. Wie sind hingegen so viele deutsche und österreichische Doktoren, Dozenten und Professoren dieser Zeit zu charakterisieren, die schuldig wurden als Hitlers willige Helfer, als karrieresüchtige Vorbereiter und Vollstrecker, als akademisch ausgebildete Handlanger und Schreibtischmörder? Ich rede von den nicht wenigen Ärzten und Pflegern, die Kranke und Behinderte ermordeten, von Medizinern, Anthropologen und „Ziganologen“, die Rassen-Untersuchungen und -Experimente an sog. Untermenschen durchführten, die Rasse-Gutachten schrieben und daran verdienten, von Richtern und Staatsanwälten, die unrechtmäßige und lediglich dem System dienliche Todesurteile fällten, von Pädagogen und Psychologen, die sich in den Dienst der Nazi-Propaganda stellten, von Historikern und Geographen, die die NSEroberungspolitik rechtfertigten, von Ingenieuren und Technikern, die die Details der Mordfabriken ersannen, bedienten und in Gang hielten, von den Direktoren der Industrie- und Chemiekonzerne, von den Banken und Staatsbahnen... Das ist die eine Seite, die oft verschwiegene Tätergeschichte, weil die Täter ihre Karrieren nach 1945 ungebrochen fortsetzen konnten, zumindest die meisten akademischen Schreibtischtäter unter ihnen. Die andere Seite der Realität ist die, daß die Erinnerung an die Opfer der Nazi-Zeit stets von Neuem erkämpft sein will. Die Erinnerung an die Opfer muß gegen die politische Macht des Verschweigens, Verdrängens und Verleugnens geführt werden, gegen die Philosophie des Schlußstrichziehens. Ein Philosoph des Schlußstrichs hat sich gerade erst kürzlich wieder zu Wort gemeldet, um der abgewählten schwarz-blauen Regierung Blumen nochmals zu streuen. Der im Jahre 2000 mit dem Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnete Wiener Philosophieprofessor Rudolf Burger sagte in einem Interview für die „Kleine Zeitung“ (Graz), 8.10. 2006, in Österreich sei jetzt der Komplex der Vergangenheitspolitik durch den Restitutions- und den Zwangsarbeiterfonds „erledigt“: Zwar werden die üblichen Besorgten weiter plärren und daraus ihre moralische Legitimität ableiten. Aber das Thema ist ausge86 lutscht. Es werden Aufführungen ohne Publikum sein. Mit Sarkasmus wird das Ende der Erinnerungspolitik begrüßt — bevor sie in Österreich noch wirklich Konturen angenommen hat. Mit Zynismus wird darüber philosophiert, daß nun mit Geld jenen der Mund gestopft sei, die ewig die Vergangenheit beschwören und der Opfer gedenken wollen. Die Vergangenheit ist nicht vergangen, sondern sehr gegenwärtig. Keine Entschädigungsfonds der Welt und keine materielle Restitution können die Erniedrigung und Entwürdigung ungeschehen machen, die die Opfer der Nazis erlitten haben. Weder mit Geld noch Gold kann die Erinnerung an die Opfer ausbezahlt und abgekauft werden. Die Erkenntnis, daß die Zeit das einzige ist, das nicht zurückgebracht werden kann, weil sie eben vergeht, darf nicht zu dem Schluß verführen, sich auf die Bewältigung der Gegenwart und der Zukunft zu stürzen. Denn die Vergangenheit wird um so bedrohlicher in die Gegenwart hineindrängen und Wiederholungszwänge auslösen, je beharrlicher wir uns weigern, der „dunklen Vergangenheit“ im psychischen Haushalt des Menschen und in der gegenwärtigen Gesellschaft einen Platz einzuräumen. Auch das bereits unzählige Male Erinnerte wird erneut vor uns auftauchen, es wird nie „ausgelutsch“ sein, weil es uns eine Dimension von Identität eröffnet, die wir durch den sturen „Blick nach vorne“ nie gewinnen können. Dabei muß das Subjekt von sich selbst reden dürfen, es muß die eigene Lebensgeschichte ausbreiten und mit der der Nazi-Opfer verknüpfen können. Die nun in deutscher Sprache vorliegende Publikation von FrantiSek Janouch „Selbst der Teufel würde erröten“ ist eine außergewöhnliche Gelegenheit, darüber nachzudenken, in welcher Richtung die NS-Vergangenheit in Österreich weiter aufzuarbeiten und zu dokumentieren wäre. Beispielhaft wird uns in diesem Buch vor Augen geführt, wie die Generation der Söhne und Töchter die Geschichte ihrer Väter und Mütter bewahrt, dokumentiert und tradiert — und zwar sowohl in der Form des „Familiengedächtnisses“ als auch in der des allgemeinen kulturellen Gedächtnisses. Der Sohn des ehemaligen Auschwitz- und Mauthausenhäftlings Dr. med. Franti8ek Janouch, unser heutiger Ehrengast und der Autor, Univ. Prof. Dr. FrantiSek Janouch, dokumentiert und kommentiert in diesem Buch die Widerstands- und Überlebensgeschichte seines Vaters anhand der gesammelten Briefe, die dieser an seine Frau und an seine Kinder zu Hause gerichtet hat. Die hier dokumentierten Briefe sind ein Ausschnitt aus dem gesamten Briefwechsel, der vermutlich nicht zur Gänze gesammelt und bewahrt werden konnte: Die Briefe aus dem KZ Mauthausen, sofern es solche gegeben hat, fehlen jedenfalls. Die Briefe aus Auschwitz und vom KZ Außenlager am Loiblpaß sind im Band enthalten. Diese Briefe sind aufschlußreiche Zeitdokumente, geben sie doch Einblick in einen kleinen Ausschnitt der Gedankenwelt des KZ-Häftlings Dr. FrantiSek Janouch. Die äußere Realität des Lebens und Überlebens im KZ durfte freilich nur angedeutet werden, oft in einem „internen“ Familiencode, der für die Zensur nicht zu entschlüsseln war. Da man nie wissen konnte, wer den jeweiligen Brief in die Hände bekam, wer ihn öffnete und las, mußte der Schreiber vielfältige Rücksichten nehmen: Rücksicht auf diejenigen, die den Brief zensurierten, die ihn transportierten und weiter leiteten, die den Brief entgegen nahmen, die im Brief genannt wurden usw. Als politisch denkender und sozial engagierter junger Mann, als Mediziner und Familienvater, als Mitglied einer Widerstandsgruppe tschechischer Ärzte hat Dr. Frantisek Janouch gewußt, daß sich die Lieben zu Hause kaum Illusionen machen würden, als er zu Jahresbeginn 1943 in Prag in die Fänge der Nazi-Schergen geriet. Es folgten Gestapohaft und -folter im Prager Gefängnis Prankrac, Deportation nach Auschwitz-Birkenau, Überstellung nach Mauthausen als „Franz“ Janouch, Mauthausen-Nummer 38.679. Was das alles bedeutete und wie das in Wirklichkeit war, entzog sich entweder der Sprache oder hätte die Familie zu Hause zu Tode geschockt. Außerdem war streng reglemenitiert, was und wie viel aus dem KZ geschrieben werden durfte. Von Mauthausen wurde Janouch am 17.April 1944 ins Loibl KZ Süd deportiert, wo er noch fast einen Monat über den 8. Mai 1945 hinaus blieb und im slowenischen Partisanenspital in Golnik seine Kameraden betreute und medizinisch versorgte. Wir erfahren in den Briefen nichts davon, daß für die meisten Häftlinge das KZ am Loiblpaß die „Hölle in den Bergen“ war: Arbeit auf der „Baustelle des Todes“, wie der interne Code der Häftlinge war. Dr. Janouch war nicht direkt auf der TunnelBaustelle sondern als Sanitätsgehilfe dem SSLagerarzt im Loibl KZ Süd zugeteilt. Im Nordlager, also auf der Kärntner Seite, gab es überhaupt keine „Ambulanz“, kein „Revier“ — was viele Häftlinge für einen Vorteil ansahen, sofern sie vom tödlichen Wirken des SSArztes Dr. Sigbert Ramsauer Kenntnis hatten. Aber auch die Häftlinge im Südlager erhielten vom Lagerarzt Ramsauer keine Medikamente. Die Häftlinge dienten Ramsauer allenfalls zu „Studienzwecken“. Gemäß den Zeugenaussagen eines ehemaligen polnischen Häftlings soll er gesagt haben: „Ich bin hier, um zu lernen, und nicht um diese Banditen zu kurieren.“' Sowohl im Nord- wie auch im Südlager gab