OCR
es ein sog. „Krematorium“, wo die Leichen auf einem Scheiterhaufen unter freiem Himmel verbrannt wurden. In der Regel war der Lagerarzt, SS-Hauptsturmführer Sigbert Ramsauer, bei den Leichenverbrennungen anwesend. Zumindest in einem Fall, dies berichtete der ehem. französische Häftling Andre Lacaze, soll er die Kremierung mit einem Fotoapparat dokumentiert haben, was auf seine „wissenschaftlichen“ Ambitionen schließen läßt.? In den Jahren 1943 bis 1945 gingen mindestens 13 Transporte mit insgesamt 240 abgearbeiteten und/oder kranken Häftlingen zurück nach Mauthausen. Die Selektionen für diese Rücktransporte oblagen Dr. Ramsauer. Fast fünfzig Jahre später wird er in einem Interview sagen, er habe nicht gewußt, was dann mit den Häftlingen in Mauthausen geschähe - und überhaupt: Es sei „niemand ohne Grund liquidiert worden“. Beim großen Kriegsverbrecherprozeß 1947 in Klagenfurt erhielt der SS-Arzt Dr. Sigbert Ramsauer vom britischen Militärgericht wegen der erwiesenen und von ihm zugegebenen Euthanasietötungen an Loibl-KZ-Häftlingen „lebenslänglich“. Er selbst hatte mit der Todesstrafe gerechnet.’ 1954 war Dr. med. Ramsauer wieder ein freier Mann und erhielt eine bevorzugte Anstellung als Arzt im Landeskrankenhaus in Klagenfurt. Ein Jahr später konnte er zusätzlich eine Arztpraxis im Stadtzentrum von Klagenfurt eröffnen. (Dies ein nicht untypisches Beispiel für die „brutale Naziverfolgung“, die in Österreich angeblich stattgefunden hat. Verständlich, daß ehemalige Häftlinge vom Loibl, wie Dr. Frantiek Janouch, davon abgestoßen und schockiert waren.) Dr. Franti8ek Janouch war 1947 einer der wichtigsten Belastungszeugen im Prozeß gegen Ramsauer, da er durch seine Tätigkeit im Krankenrevier des Südlagers sowohl als Häftling als auch als Arzt-“Kollege“ von der erzwungenen Nähe zu Ramsauer doppelt betroffen war. In den Kärntner Medien, die über den Prozeß ausführlich berichteten, wurden die medizinischen Kenntnisse von Dr. Ramsauer relativ offen angezweifelt, u.a. durch die Wiedergabe der Zeugenaussage von Dr. Janouch: Über seine Ansicht bezüglich der ärztlichen Fähigkeiten und über das Verantwortungsbewußtsein Dr. Ramsauers befragt, sagte der Zeuge, daß die ärztlichen Kenntnisse sehr gering seien, von einem Verantwortungsbewußtsein könne bei einem SS-Arzt überhaupt keine Rede sein.“ Dr. Janouch hatte als „Krankenpfleger“ in Ramsauers Ambulanz keine legale Möglichkeit, mit Medikamenten oder mit seinem medizinischen Können den Häftlingskameraden beizustehen. Daß Dr. Janouch dennoch mit seiner zutiefst humanitären Einstellung und mit seinem psychologischen und medizinischen Wissen den Häftlingen eine große Hilfe war, geht aus vielen Zeitzeugnissen hervor. Die Dankbarkeit seiner Häftlingskameraden reicht weit über den Tod ihres Beschützers und Helfers hinaus. Janouch, der 1965 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte, hat als Lebensretter heute noch im kollektiven Gedächtnis vieler Häftlingsorganisationen einen festen Platz. Mit seiner Hilfe und mit Hilfe der PartisanInnen und der slowenischen Zivilbevölkerung wurden schließlich die ehemaligen Häftlinge aus dem Krankenrevier des Südlagers gerettet; einige von ihnen, zwei Franzosen und zwei Polen, wurden in das Krankenhaus nach Golnik gebracht. Dorthin folgte ihnen Dr. Janouch. Er kam nach seiner einmonatigen freiwilligen ärztlichen Hilfe im Partisanenspital von Golnik am 5. Juni 1945 nach Hause. Seine Familie hatte schon das Schlimmste befürchtet, da sie keine Nachrichten über die Befreiung des Loibl KZ erhalten hatte und nicht wußte, ob der vermißte Vater und Gatte das Kriegsende überlebt hatte. Aus diesem Grund ist für die Familie Janouch der 5. Juni 1945 der Tag, an dem die glückliche Befreiung aus der NS-Herrschaft wahrhaftig Realität wurde. Franti$ek Janouch jr., der Sohn, war damals, als sein Vater vom Loibl nach Hause kam, gerade 15 Jahre alt. Daß er viel später einmal als Chronist der KZGeschichte seines Vaters auf den Loibl zurückgekehrt ist, gehört mit zu den glücklichen Umständen, denen wir heute dieses Buch verdanken. Herzlichen Dank, Professor Janouch, daß Sie zu uns gekommen sind. Frantisek Janouch: „Selbst der Teufel würde erröten“. Briefe meines Vaters aus der Hölle von Auschwitz und aus dem KZ am Loiblpass. Mit einem Vorwort von Peter Gstettner. Hg. vom Mauthausen Komitee Österreich. Wien: Verlag des ÖGB 2006. 128 S. Euro 10,- (Bestellungen: www.mkoe.at). Anmerkungen 1 Zit. nach dem Manuskript der deutschen Ubersetzung (1998 von Lilly Jaroschka) des Buches von Janko TiSler und Joze RovSek: Mauthausen na Ljubelju. Klagenfurt/Celovec 1995, 245. 2 Darüber berichtet der ehemaligen Loibl KZHäftling Andre Lacaze in seinem Buch „Der Tunnel“ (München 1987) auf Seite 135. 3 Nicht ohne Grund rechnete Ramsauer mit der Todesstrafe. Ein Jahr zuvor (am 24.10. 1946) wurde der Hauptangeklagte im Klagenfurter Euthanasie-Prozeß, der Primararzt Dr. Franz Niedermoser, in Klagenfurt hingerichtet. Das Urteil wurde vom Volksgericht Graz, Außensenat Klagenfurt, ausgesprochen. Die Zahlenangaben der an Niedermosers Abteilung der „Landesirren- und Siechenanstalt“ Klagenfurt getöten Patienten schwankt zwischen 300 und 900. Die mitverantwortlichen Oberschwestern Antonia Pachner und Ottilie Schellander erhielten ebenfalls die Todesstrafe. Diese beiden Urteile wurden jedoch in „20 Jahre schweren Kerker“ bzw. „lebenslänglich“ umgewandelt. 4 Volkswille, 13. September 1947, S. 2, zit. nach Rettl 2002, Forschungsbericht S. 27. Eine Schweizer jüdische Autobiographie — Rudolf G Zipkes Mit einer subtilen Sprache, aber auch mit packendem ,,feu sacré“, fiihrt Rudolf G. Zipkes die Leserinnen und Leser durch seine Autobiographie, die er nach eigenen Worten aus zwei Griinden niedergeschrieben hat: Zum ersten, weil er das von ihm Erlebte nicht dem Vergessen anheim fallen lassen will— da er daran hängt; und zum zweiten weil ihm das Verfassen seiner Memoiren „der Befreiung von gelebten Leben dienen“ soll. (15) Zipkes wurde 1911 in Zürich geboren. Nach dem frühen Tod seiner Mutter übersiedelte er mit dem Vater, dem Ingenieur Simeon Zipkes, und dem Bruder Ernst 1921 nach Berlin. 1931 immatrikulierte sich Zipkes an der Rechtswissenschatlichen Fakultät der Universität Zürich und absolvierte die Rekrutenschule. 1943 schloss er seine Studien ab. 1935 trat er als Auditor in den Staatsdienst ein. Eigentlich hegte Zipkes den Wunsch, Rechtsanwalt zu werden, doch die „agressive Note und das privatgeschäftliche Interesse“ eines Rechtsanwalts fehlten ihm. Bei einer Ferienvertretung für den bekannten Zürcher Rechtsanwalt Dr. Georg Guggenheim riet Zipkes gar einem Klienten von einer Klage ab, weil er diese für wenig aussichtsreich hielt. Früh wurde dem jungen Juristen klar, dass er mit dieser Einstellung seine Existenz nicht sichern konnte. Ab 1946 schlug Zipkes eine beachtliche Karriere an Gerichten des Kantons Zürich ein, die er Ende 1976 als Obergerichtsschreiber beendete. Rudolf Zipkes ging mit wachen Augen durch die Welt. Seine Beobachtungsgabe lebte Zipkes auch als Schriftsteller aus. Seine im März 1941 erschienene und weit verbreitete Schrift „Jüdische Selbstkritik. Vom Wesen und der Politik des jüdischen Volkes“, in der Zipkes vom Gedanken getragen wurde, dass jüdische Selbstkritik und Selbstbescheidung in Zeiten der Krise erforderlich seien, damit Jüdinnen und Juden in ihrer Umwelt geachtet und anerkannt leben könnten, wurde besonders in jüdischen Kreisen kontrovers aufgenommen. In der historischen Rückschau entsprachen jedoch Zipkes’ Gedanken in nuce der „Niedrigprofilpolitik“, die auch prominente Exponenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) zumindest bis 1942 vertraten, und tunlichst darauf achteten, dass sich das Schweizer Judentum in der Öffentlichkeit nicht zu stark exponiere. Freilich dachte Zipkes in einer anderen Radikalität, er sah in der Devise „Distanz und nicht Vermischung“, „Kontakt und nicht Isolation“ einen gangbaren Weg durch die dunklen Jahre des Zweiten Weltkrieges. Gedanken über das Judentum und zur jüdischen Identität - der „Frage der jüdischen Substanz‘ — prägten auch die folgenden Jahrzehnte der Vita von Rudolf Zipkes, während denen er sich diesem Fragenkomplex immer wieder intellektuell differenzierend näherte. Davon 87