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1994 erschien im Alekto Verlag Klagenfurt als
Band 2 der von Armin A.Wallas und Primus¬
Heinz Kucher betreuten Edition Mnemosyne ei¬
ne ungewöhnliche Anthologie mit dem Titel
Kaleidoskop Israel: Deutschsprachige Ein¬
wanderer erzählen. Das von Shlomo Erel zu¬
sammengestellte und herausgegebene Buch ist
seitdem zu einer echten Rarität geworden.
Inzwischen sind zwei der profilierten Heraus¬
geber— Shlomo Erel und Armin A. Wallas — ge¬
storben, und nun entschied sich Armin Wallas’
Lebensgefährtin und Nachlassverwalterin
Andrea Lauritsch für eine Neuauflage. Sie ist
dem siebzigjährigen Jubiläum der Massen¬
immigration deutscher, österreichischer und
tschechischer Juden nach Erez Israel gewidmet
und hat einen neuen Titel bekommen — Jeckes
erzählen.

„Jecke“ ist Bezeichnung für einen deutsch¬
sprachigen Juden, ein Scherz- und Spottname
zugleich, dessen Ethymologie ungeklärt bleibt.
Der Textkorpus der Anthologie hat keine
Veränderungen erfahren, abgesehen von dem
neuen Titel und einem kurzen Vorwort zum
Neudruck von A. Lauritsch. Und doch liest sich
das Buch heute anders als vor zehn Jahren, und
die darin gesammelten Zeugnisse erscheinen
uns in einem neuen Licht. Das erklärt sich nicht
nur dadurch, dass ein Jahrzehnt in der
Geschichte des jungen israelischen Staates ei¬
ne ganze Epoche bildet, sondern auch dadurch,
dass viele von den Autoren, die ihre Erfah¬
rungen für die Anthologie mitgeteilt hatten,
nicht mehr am Leben sind. Dies erhöht den hi¬
storischen Wert des Bandes, erhebt ihn zu ei¬
nem unentbehrlichen, einmaligen Dokument.
Die Anthologie ist thematisch strukturiert und
spiegelt in ihren 13 Abschnitten verschiedene
Facetten des Lebens der deutschen Einwan¬
derer in Israel wider. Aus ihren Erinnerungen,
Erzählungen, Berichten, Briefen und Gedichten
erfahren wir von den ersten Begegnungen mit
dem Land Anfang der 1930er Jahre, als zioni¬
stisch orientierte jüdische Pioniere sich in
Palästina als landwirtschaftliche Arbeiter,
Handwerker, Gewerbetreibende, Kulturschaf¬
fende, Intellektuelle heimisch machten; von
dem Engagement in der Kibbuz-Bewegung
(der bis heute einzigen gelungenen Gemein¬
schaftsform, welche die Prinzipien der sozia¬
len Gerechtigkeit überzeugend verwirklichen
konnte); von den Versuchen der Umsiedler,
sich auf dem Gebiet der Musik, der Literatur,
des Theaters oder in akademischen Berufen zu
etablieren, von den Formen des privaten und
öffentlichen Lebens in der altneuer Heimat; von
Jerusalem als Symbol und Metapher der jüdi¬
schen Identität und von der Bedeutung der
Religion in der israelischen Gesellschaft; von
der Jugendalija (Jugendeinwanderung) und ih¬
rer Problematik; von den arabischen Nachbarn
und ihrer Feindlichkeit zu den Einwanderern;
von den Sehnsüchten, Träumen und Bestre¬
bungen der Neusiedlern, die sich eine fast uto¬
pische Aufgabe stellten, die Idee des jüdischen

Staates zu realisieren und alles darauf setzten,
um dieses Ziel zu erreichen; von den Opfern,
welche sie dafür bringen mussten und von vie¬
len anderen Dingen, mit denen sie das harte
Pionierleben konfrontierte.

Es ist heute kaum vorstellbar, mit welchen
Schwierigkeiten die ersten Einwanderer sich im
Land auseinandersetzen mussten. Zelte oder
Lagerräume als Behausung, ohne Möbel, ge¬
schweige denn Sanitäranlagen. Bei brennender
Hitze und strömendem Regen haben sie den
Sandboden bebaut, Gemüse gezüchtet, Hüh¬
nerfarmen gegründet, Silos errichtet, Straßen
angelegt, Transporte organisiert, Betriebe in
Gang gesetzt. „Manch ein Tourist, der uns da¬
mals besuchte, bemitleidete diese armen Dok¬
toren und Kaufleute, die aus der Fünfzimmer¬
wohnung mit Zentralheizung, aus gepflegter
Umgebung und ruhiger Arbeit sich hier zu¬
sammengefunden hatten“, erinnert sich einer
der Chaluzim (Pioniere), Kurt Kiewe, an die
Anfänge der Palästina-Kolonisation (S.177).
Die elementarsten Handlungen und banalsten
Dinge erscheinen uns unter diesen Umständen
wie magische Akte einer Weltschöpfung. Man
denke da aber nicht so sehr an die grandiose
Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments,
als vielmehr an den durchaus menschlichen
Fall Robinson Crusoes.

Dabei kommen Dutzende von Autoren zu
Wort, die in einem Naheverhältnis zur Literatur
stehen, so Mitglieder des Verbandes deutsch¬
sprachiger Schriftsteller in Israel wie Jenny
Aloni, Schalom Ben-Chorin, Hanna Blitzer,
Arie Efrat, Meir Faerber, Else Keren, Lola
Landau, Mirjam Michaelis, David Ignatz Neu¬
mann, Lilit Pavel, aber auch Martin Buber und
Max Brod, Else Lasker-Schüler und Arnold
Zweig, Arthur Ruppin und Ludwig Strauss,
David Ben-Gurion und Teddy Kollek, Perez
Naphtali und Ernst Simon. Doch nicht die bel¬
letristische Darstellung der Zustände im
„Gelobten Land‘ war das Ziel der Herausgeber,
vielmehr ging es ihnen um dokumentarische
Authenzität. Daher wurden bei der Auswahl der
Texte in erster Linie direkte Berichte und
Zeugnisse deutschsprachiger Autoren in Israel
bevorzugt, die ihre Begegnungen mit dem
Land thematisieren und Begebenheiten aus
ihrem Leben schlicht und ungekünstelt er¬
zählen. „Keine Abstraktion, keine Summierung
des Besonderen, Unverwechselbaren kann
dieser Aufgabe gerecht werden - nur über das
individuelle Erleben kann das kollektive
Schicksal, können die Größe und auch die
Tragik dieser Bevölkerungsgruppe dargestellt
werden“, meint Shlomo Erel (S. 17).

Aber auch in einer anderen Hinsicht war das
Heimischwerden fiir viele Einwanderer mit
groBen Schwierigkeiten verbunden. Obwohl
die meisten von ihnen ihre Ubersiedlung nach
Palästina gar nicht als einen Exil, sondern als
eine „Heimkehr“ in das Land der Ahnen be¬
trachteten, mussten sie sich eine neue Sprache,
Hebräisch, aneignen. Zwar beherrschten viele

die gängigen Redensarten der Bibelsprache für
die Zwecke des Alltagslebens, doch reichte sie
ihnen für die literarische Tätigkeit bei weitem
nicht aus. Armin A.Wallas beschreibt inseinem
Vorwort diese Situation wie folgt: „Obwohl
Deutsch die Sprache Theodor Herzls und der
ersten Zionisten gewesen war, galt die Sprache
seit 1933 als verpönt, als die Sprache Hitlers
und der Nazis. Die deutschsprachigen Olej
(Neueinwanderer; wörtlich übersetzt „Aufstei¬
gende“) sahen sich vor die Herausforderung ge¬
stellt, ihre neue zionistische (israelische), über
die Sprache vermittelte Identität zu finden, oh¬
ne ihre Sozialisation im deutschsprachigen
Kulturbereich zu verleugnen oder zu verdrän¬
gen“ (S. 9). Bei allem Enthusiasmus und En¬
gagement für zionistische Ideen war die Über¬
siedlung nach Palästina nicht selten durch po¬
litische Gründe verursacht und verstand sich als
Flucht, als einziger Ausweg in lebensbedro¬
hender Lage.

Das Buch stellt einen Querschnitt der regen
Tätigkeit und eindrucksvoller Leistungen der
deutschsprachigen Juden in verschiedenen
Bereichen des sozialpolitischen, wirtschaftli¬
chen, kulturellen und wissenschaftlichen
Lebens Israels dar und zeigt uns den Beitrag
dieser Gruppe in die Entwicklung des jüdischen
Staates. Jedes der 13 Kapiteln enthält eine Ein¬
führung des Herausgebers, in der die wichtig¬
sten Schwerpunkte der jeweiligen Sphäre her¬
vorgehoben und kommentiert werden. Aus¬
führliche Autoren- und Personenverzeichnisse,
Erklärung hebräischer und israelischer Begriffe
ergänzen und vervollständigen die Texte der
Anthologie und zeugen von einer akribischen
Arbeit der Herausgeber und ihrer Leserfreund¬
lichkeit. Denn welcher Leser würde all diese
schwer zugänglichen, in extrem seltenen
Quellen verstreute Texte ohne die vorliegende
Anthologie je entdecken und so kompakt und
übersichtlich zusammenstellen können? Dass
diese Anthologie auch heute nicht an Aktualität
verloren hat, zeigt uns ein kurzes, doch sehr
einprägsames bereits im Jahre 1935 erstmals
veröffentlichtes Gedicht von Ludwig Strauß
unter dem Titel „Dem Nachbarn“: „Du grollst
mir, daß ich dränge/ Ins Heim zu dir,/ Dir wand¬
le und dir enge/ Dein räumliches Revier./ Nie
hätt ich dir zuleide/ Und nimmer mir zulust/

mußt:/ Wenn nicht der Herr mich triebe/ Mit
stürmendem Gebot,/ Mit Stachel meiner Liebe/
Und Geißel meiner Not,/ Nicht seine Hand
mich stieße/ In unser Erbe ein/ Und drinnen jäh
mich ließe/ Mit dir allein“ (S. 258).

Peter Rychlo (Czernowitz/Ukraine)

Shlomo Erel (Hg.): Jeckes erzählen. Aus dem
Leben deutschsprachiger Einwanderer in
Israel. Mit einer Einleitung von Andrea
Lauritsch, einem Geleitwort von Richter Chaim
H. Kohn und einem Vorwort von Armin
A.Wallas. Wien: LIT Verlag 2004. 424 S. Euro
34,90 (Edition Mnemosyne. Hg. von Armin A.
Wallas, Primus-Heinz Kucher und Andrea M.
Lauritsch. Bd. 12).

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