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Vor 15 Jahren, am 2. April 1993, fast auf den Tag genau 35 Jah¬
re nach Theodor Kramer, ist Viktor Matejka in Wien gestorben.
Er lebte hochangesehen in Wien, wurde zuletzt als „Bürger von
Wien“ geehrt und galt als der Zeitzeuge par excellence, als
Mann von stupendem Gedächtnis; was sich in dieses Ge¬
dächtnis eingegraben hatte, verdankte sich seiner immer wa¬
chen Neugier. Wirkliche Neugier unterscheidet nicht zwischen
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft — zu entdecken und zu
erfahren ist allezeit viel. Dies allein doch hätte nicht genügt, er
trainierte sein Gedächtnis täglich, ordnete sein Archiv von Zei¬
tungsausschnitten und las sehr aufmerksam zeitgeschichtliche
Publikationen, die er oft selbst durch Hinweise auf Wichtiges,
Merkwürdiges und Unerforschtes angeregt hatte. So geschah
es ihm bisweilen, daß er dem Besucher als ein Erlebtes erzählte,
was ihm dieser einige Wochen oder Monate zuvor referiert hat¬
te. Matejka redete gerne und viel; ein ihm einst zugeteilter kom¬
munistischer Oberstudienrat beschwerte sich bei der Partei¬
führung, Matejka rede und rede ununterbrochen.

Viktor Matejka war auch Publizist, Verfasser von Gedich¬
ten, Essays und Erinnerungen, Collagist, ein Liebhaber des Zu¬
sammenstellens auf den ersten Blick nicht zusammenhängen¬
der Gedanken und Beobachtungen, „Kraut und Rüben“, wie er
das nannte, und unter anderem auch ein Liebhaber der Dich¬
tungen Theodor Kramers. Als kommunistischer Stadtrat für
Kultur und Volksbildung (1945-49) hat er versucht, Kramer zu
überreden, nach Wien zurückzukehren und eine Stelle in der
Zentrale der städtischen Bibliotheken anzunehmen. 1984, bei
der Tagung „Theodor Kramer und die Arbeiterkultur“ in Nie¬
derhollabrunn, meinte Matejka: „Meines Erachtens ... ist Kra¬
mer ein Opfer des Kalten Krieges, also der wüsten Gerüchte¬
macherei, der Diffamierungen, also dieser Unklarheiten, der
Grauzone ... die gewisse Spuren bis heute zeigt.“

Matejka hat auch, bei einem Kramer-Symposium im Juni
1983, die Gründung der Theodor Kramer Gesellschaft angeregt,
die aber bei den öffentlichen Stellen bis ins Jahr von Matejkas
Tod keine rechte Gegenliebe fand. 1983 ließ man uns vor¬
sichtshalber gleich wissen, „daß eine Förderung dieser Akti¬
vitäten außerhalb der Kompetenz des Bundesministeriums für
Unterricht und Kunst liegt“. Unterrichtsminister war damals
übrigens Helmut Zilk, ein großer Verehrer Viktor Matejkas.

Matejka wurde nach dem Februar 1934 Kulturreferent der
in die gleichgeschaltete Einheitsgewerkschaft eingegliederten
Wiener Arbeiterkammer. Er entsprach sicher nicht dem Ideal¬
bild des „christlichen Ständestaates“, pflegte Kontakte zu So¬
zialdemokraten und zum Sozialphilosophen Ernst Karl Winter,
in dessen Verlag 1936 Kramers Gedichtband „Mit der Zieh¬
harmonika“ erschien. Winter trat für eine „Volksfront“ eigener
Prägung gegen den Nationalsozialismus in Österreich ein.
Zum Verhängnis wurde Matejka, daß er sich im In- und Aus¬
land für die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Österreichs
einsetzte. Seine eigene Sekretärin leitete einen Kohledurch¬
schlag jedes seiner Briefe gleich an deutsche Stellen weiter; am
1. April 1938 wurde Matejka mit dem sogenannten Prominen¬
tentransport ins KZ Dachau eingeliefert. Dort wurde er zum
Kommunisten, war 1950-57 Mitherausgeber und leitender Re¬
dakteur der Wochenzeitschrift „Österreichisches Tagebuch“ und
bis 1957 Mitglied des Zentralkomitees. 1966 trat er aus.

Matejka war sicher kein bloßes Opfer des Nationalsozialimus,
sondern ein bewußter Gegner, der nach seiner Niederlage
grausam verfolgt wurde. Von ihm ist sehr viel überliefert; sein
riesiger Nachlaß wurde auf mehrere Archive aufgeteilt. Von an¬
deren Verfolgten und Ermordeten ist oft gar nichts überliefert,
außer Name, Geburts- und Todesdaten (und von vielen nicht
einmal das). Sie erscheinen als bloße Opfer, nur weil wir nicht
wissen oder nicht wissen wollen, was sie taten und nicht taten,
bewirkten, wie sie sich wehrten... Die Persönlichkeit Matej¬
kas eignete sich nicht für den „Opfer-Täter-Mythos“, wie wir
es in Abwandlung des geläufigeren „Opfer-Mythos‘“ nennen.
Es gibt ein schönes Buch über Matejka, „Wer war Viktor
Matejka?“, herausgegeben von Franz Richard Reiter. Darin er¬
innert sich die heute in Jerusalem lebende Gerda Hoffer an ei¬
ne Lehrstunde mit Matejka: „Er offerierte mir einen schönen
alten Ledersessel und begann, im Zimmer auf und ab schrei¬
tend, mir von den Intrigen am Byzantinischen Hof zu er¬
zählen. Für jede davon fand er ein passendes Gegenstück des
damals herrschenden Dollfuß-Regimes.“ Und als Gerda wegen
„kommunistischer Umtriebe“ zusammen mit einer ganzen Ju¬
gendgruppe im Gefängnis landete, bemühte er sich zusammen
mit dem sozialdemokratischen Rechtsanwalt Dr. Heinrich Stei¬
nitz um ihre Freilassung. Erzählen wir doch die Geschichten,
die wir erzählen können, statt in die Leere zu starren.
Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser

Kramer in Wien

Dienstag, 1.4.2008, 19.30 Uhr, 1020 Wien, Kirche am Gaußplatz:

Hans-Eckardt Wenzel — Lieder am Rand
Das große Theodor Kramer-Programm

Hans-Eckardt Wenzel veröffentlichte 1997 die CD „Lied am Rand“
mit Texten des österreichischen Lyrikers. Und 2006 erschien mit
„4 Uhr früh‘ der zweite Teil von Wenzels Hommage an seinen künst¬
lerischen Seelenverwandten. Hans-Eckardt Wenzel, der bereits über
200 Texte Kramers vertont hat, versteht es immer wieder, literarische
Schätze aus dessen Vermächtnis zu heben. So auch diesmal.
Eintritt: Euro 15,¬

Mittwoch, 2.4.2008, 19.30 Uhr: Wiener Urania, 1010 Wien,
Uraniastr. 1, Mittlerer Saal:

Festveranstaltung zum 50. Todestag Theodor Kramers

Einleitung: Karl Müller. Daniela Strigl spricht über „Neue Wege, al¬
te Schuhe. Theodor Kramer als Autor der klassischen Moderne“.
Erwin Chvojka berichtet über Kramers lyrische Geographie, Hans¬
Eckardt Wenzel über die Entdeckung Kramers in der norddeutschen
Provinz. Musik: H.E. Wenzel.

Eintritt frei! Veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Wiener Urania.

Donnerstag, 3.4.2008, 17.00 Uhr:

Besuch des Ehrengrabes Theodor Kramers

am Wiener Zentralfriedhof; Treffpunkt beim Zweiten Tor. Kranz¬
niederlegung und Gelegenheit, an Theodor Kramer ein paar Worte
zu richten. Danach trinken wir auf Kramer im gegenüberliegenden
Gasthaus „Schloß Concordia“, 1110 Wien, Simmeringer Hauptstr. 283.