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Am 18. Dezember 2007 fand im Literarischen Quartier Alte Schmiede in Wien eine Podiumsdiskussion über die Anthologie „In welcher Sprache träumen Sie?“ statt, mit Miguel Herz-Kestranek, Konstantin Kaiser, Marie-Therese Kerschbaumer, Gerhard Moser und Daniela Strigl. Helene Adolf gelesen, Max Brod gesehen, Albert Drach umarmt, Guttenbrunner zugehört, Carry Hauser begegnet, Hans von Hammerstein-Equords Kinder gekannt und mit ihnen über den Vater gesprochen, Hanns-Georg Heintschel-Heinegg gelesen und des feinen Rüdiger (von) Engerth gedacht, er war der einzige, der mein Debüt „Der Schwimmer“ im Kurier besprochen hat; ihm hat Friederike Mayröcker Gedichte und Ausrufungszeichen vermacht. Hugo Huppert gelesen und heimlich verteidigt - ,,... er IST ein Dichter und auch ich wäre gerne in Uniform einmarschiert ..., wie Arthur West, wie Hilde Spiel und Hugo Huppert“ — oder, wie Rolf Schneider scherzend sagte: Gugo Guppert; so lernte ich 1980, daß die Russen H wie G aussprechen. Mich bei Ina Jun Broda entschuldigen müssen, sie war nicht zur Unterschrift auf der Liste „Atomkrieg verhindern, abrüsten!“ von 1980 eingeladen worden, weil ich keine Ahnung vom österreichischen Widerstand und den alten Wunden hatte und mich nur schämen konnte. Alfred Kittner in Bukarest kennen gelernt, 1965 bis 1971 immer wieder getroffen. Er hat mir die öffentliche Bibliothek unter freiem Himmel gezeigt, fast niemand wußte ihren geheimen Ort, zwischen grünen Hecken unter saftigem Grün, wie es nur damals in Bukarest war, ehe die Diktatur wieder gefestigt UND außer Rand und Band geraten war. Kittner ist einer der ersten gewesen, die meine Gedichte lobten; er, der mir die Technik des Übersetzens zeigte, er, der meine ersten Rezensionen und Aufsätze las, der mir eine Liste wichtiger Leute im Westen gab, denen ich meinen ersten Gedichtband schicken sollte (ohne Antwort natürlich). Ihm vertraute ich viel und er mir einiges an. Einmal noch bin ich ihm im Westen begegnet, er hatte aus familiären Gründen lange mit der Ausreise gezögert und seine gewaltige Bibliothek wohl zurückgelassen, dann kamen wir einander abhanden. Alma Johanna Koenigs Namen habe ich zuerst mit-ö-geschrieben, ein Albtraum. Herbert Kuhner bin ich begegnet und konnte nichts für ihn tun. Theodor Kramer durch Erich Hackl kennen gelernt, über ihn und die Söhne von Käthe Leichter viele Tränen vergossen. Alfred Margul-Sperber immer wieder begegnet in Bukarest - als gedruckten Dichter eigener und Übersetzer rumänischer Werke. Er, von meinen Zeitgenossen wegen des Reimens geschmäht, doch frage ich, wer von uns kann ihm des Reimes Wasser reichen? Max Brod (auf der Durchreise von Prag nach Israel) in einem überfüllten Saal in Wien von Kafka erzählen hören. Heinz Pollitzers Vorträge besucht. Max von Riccabona gekannt und zwei Mal mit ihm über alte Zeiten geredet und bisher Unbekanntes erfahren (und Reinhard Prießnitz saß am Abend immer noch bei ihm). Moses Rosenkranz in Basel getroffen, Grüße von Freunden aus Bukarest überbracht. Von ihm in den nächsten drei Jahren viel gelernt und nie vergessen, seine Texte vergebens zu vermitteln gesucht. Ernst Schönwiese meine Gedichte gezeigt — ohne Folgen. Roman Karl Scholz und die Geschichte seines Widerstands erst im DÖW im Jahre 1978 erfahren, viel später eine Wohnung betreten, wo einst sich die Verschworenen um den Augustiner Chorherrn Scholz trafen. Leo Sonnwald gekannt. Einer der wenigen, mit denen ich im Broterwerbsleben zu tun gehabt habe, die 1958 ein Wort über den Krieg verloren. „Ich war im Libanon“, sagte er, „und ich schreibe Gedichte.“ Jura Soyfer war durch seine Schätzer schon sehr gut dokumentiert. Sein unvollendeter Roman ist ein zu wenig beachtetes Beispiel moderner Prosa. Wilhelm Szabo und seine Frau Valerie, ein Spaziergang in Neulengbach und die unvergleichliche Frage an die Anfängerin: „Und was macht Ihre Werkstatt?“ Friedrich Torberg 1977 in Klagenfurt getroffen. Unseren Briefwechsel von fünfzehn Jahre früher nicht erwähnt: Thema: Adolf Eichmann nicht töten! Guido Zernattos Gedicht „Dieser Wind der fremden Kontinente“ in der Anthologie „Das zeitlose Wort“ (Hg. Strelka-Schönwiese, Stiastny 1962) noch im Gedächtnis. Zur Bedeutung dieser Sammlung, „In welcher Sprache träumen Sie?“, für die Sprachgeschichte, Literaturgeschichte, für den Zustand der deutschen und österreichischen Kultur in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Über das Paradoxon, daß es die vertriebenen und überlebenden Juden waren, die die deutsche Sprache vollkommen beherrschten, mit sich nahmen, noch einmal in alle Welt hinaustrugen, aufbewahrten und aufhoben, in jeglichem Sinn. Ungeachtet der Tatsache der Vernichtung der Opfer der NS und der Vertreibung und Nicht-Heimholung der Vertriebenen im einzig möglichen Stil: Nämlich mit der Bitte um Entschuldigung; begleitet von Einsicht und Aussicht (auf Anerkennung), sei hier der Zustand und die Zukunft der deutschen Sprache und Kultur nach 1945 im Lichte dieser Texte und im Lichte dessen, was wir als in Österreich während und nach dem Krieg aufgewachsene Autoren beobachtet haben, skizziert: Die weltweit verbreitete deutsche Sprache des neunzehnten Jahrhunderts und der hohe Zustand des Wissens in Europa und in der gebildeten Welt (Philosophie, Mathematik, Physik, die Sprachwissenschaft und Literatur pflegte man im Original zu lesen) reflektieren. Dazu die Tatsache der gebildeten Juden des europäischen Raums und ihr Verhältnis zur Sprache, wie jüngst von Anne Betten! in einer Studie dargelegt. Die Autorin beginnt wie folgt: Nach 1933, als in wenigen Jahren mehr als 60.000 Juden aus Deutschland und Österreich ins Land strömten, bildete sich im Mandatsgebiet Palästina eine deutsche „Sprachinsel“, die in der Sprach- und Migrationsgeschichte einzigartige Züge aufweist: einzigartig insbesondere wegen der hohen Sprachkultur, die diese Neuankömmlinge mitbrachten und bewahrten, aber dennoch nicht mehr an die nächsten Generationen weitergeben wollten (auch wenn dies heute gelegentlich bedauert wird).