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Die Autorin beschreibt die „hohe Sprachkultur“ als breites Phänomen: „Dieses gepflegte Deutsch beschränkt sich nicht auf bestimmte soziale Schichten, d.h. die intellektuelle Oberschicht.‘“ Daraus läßt sich vermuten, daß von der seit Ende des Zweiten Weltkriegs sich verringernden allgemeinen Kenntnis der deutschen Sprache weltweit ein Ort geblieben ist, wo das Deutsche aufbewahrt wurde und der Ort konnte überall sein: Auf dialektische Weise haben die Verfolgten des Deutschen Reiches das makelloseste Deutsch nicht nur bis Israel mit sich geführt, sondern wohin immer sie kamen. Davon zeugt die Anthologie „In welcher Sprache träumen sie?“ und sie zeugt außerdem von dem hohen Grad der Sprachbildung und des Sprachgefühls einer Gerneration, indem sie neben hauptberuflichen Autoren und Autorinnen auch nebenberufliche oder noch sehr Junge Autorinnen und Autoren einbezieht, die durch das Schicksal der Emigration um ihre Entwicklung oder ihren Erfolg gebracht worden sind. Die Übernahme des Englischen als Wissenschafts- und Verkehrssprache auf allen Gebieten hat die Notwendigkeit, das Deutsche zu lernen, so stark verringert, daß auch das Interesse daran verschwand, was zur Eindämmung der Lehre des Deutschen im Ausland führte und die Bedeutung der Germanistik im In- und Ausland verringerte. Dies alles vollzog sich stufenweise: Nach dem Sieg der Alliierten, Vormarsch des Englischunterrichts, Verdrängung des Französischen nach dem Abzug der Besatzung in Österreich (von wenigen Lycees abgesehen); amerikanische Besatzung in Westdeutschland, und Aufbau (ehemals einteigneter?) deutscher Verlage, Kalter Krieg und Zweiteilung Europas: Die Emigranten weiterhin emigriert und die Überlebenden und/oder deutschen Minderheiten im Ostblock abgeschnitten und als sogenannte Altspatzen kleingeredet. Gleichzeitiges Verschweigen der Emigration und Verschweigen des Widerstands, bzw. ebenso Kleinreden desselben. Letzteres rächt sich besonders seit dem Fall der Mauer: Alle Arten von Kurzschluß und Vorurteil gegenüber den Deutschen und Österreichen legt sich als Schleier der Ablehnung über den Unterricht und die Pflege der deutschen Sprache: Man rechnet ihr an, was ihr angetan wurde. Dabei wird vergessen oder verschwiegen, daß es das andere Österreich, das andere Deutschland gegeben hat. Daher kommt es zur paradoxen Situation, daß die Politik der NS bewußt-unbewußt nach dem Krieg fortgesetzt wurde. Und es kommt zum schleichenden und immer rascher manifesten Niedergang der Sprachlehre des Deutschen weltweit, Niedergang der Germanistik, Mißachtung der (eigenen) deutschen Sprache ab den Siebzigerjahren aus verquerem „Neo-Antifaschismus“. Eine von den Sprechern eines Landes, den Lehrern, Personen mit Vorbildwirkung und den Medien aus falscher Selbsterniedrigung gering geschätzte Sprache wird kein Migrantenkind besonders /ernenswert finden. Aus dieser Verachtung der eigenen Sprache hat man sie offensichtlich auch nicht mehr /ehrenswert gefunden. Was die Vernachlässigung oder sogar Verurteilung des Deutschunterrichts FUR Migrantenkinder erklart. Alle zuvor genannten Verfallserscheinungen bewirkten und bewirken in der Rezeption der Literatur der Zwischenkriegszeit des zwanzigsten Jahrhunderts einen großen Wissensverlust, um nicht zu sagen Verengung der Sprachbeherrschung in Theorie und Praxis, versteckt hinter Modernisierungszwang. Das sogenannte KITSCHVERBOT, das BÜRGERLICH-Vorurteil, die VERALTET-SCHELTE waren einerseits ein soge nanntes natürliches Phänomen des Generationenwandels, bargen jedoch die Gefahr der Übertreibung und damit weitere Schwächung einer, von Anne Betten bei den Emigranten noch vorgefundenen, „hohen Sprachkultur“ in der Gegenwart. Die Verunsicherung selbst bei Remigranten (aus dem Exil Zurückgekehrten) ging so weit, daß während der Debatte einer Vollversammlung der Grazer Autorenversammlung Peter Weiß von einem gleichaltrigen Ex-Emigrationsopfer als „durch den Aufenthalt in Schweden nicht mehr gut Deutsch sprechend und daher als Autor weniger fähig“ beschrieben wurde. Dieses (Fehl)urteil kam aus der allgemeinen Abwesenheit von Rezeptionskompetenz durch das Fehlen einer kompetenten Kunstund Literaturrezeption in Deutschland und Österreich seit 1945. In der Malerei wurden die ehemals Entarteten, ohne Einspruch von irgendeiner Seite, als altmodisch, die Figurativen unter ihnen als reaktionär, nazistisch und/oder stalinistisch verleumdet. Gedichte, die sich nicht dem Diktat der Ästhetik des Häßlichen oder des Hasses unterwarfen, wurden als Kitsch in Grund und Boden verdammt; wo sie der Markt nicht unterdrückte, erklärte man sie als unverständlich. Zuletzt kam jedes Gefühl für Lyrik abhanden (die schönen Gedichte verbot man sich unter dem Modediktat des Antigedichts), Lyrik auswendig lernen war schon in der Schule geradezu verpönt. Wer Beispiele für die von den Göttern verfemte Hybris und ihre verheerende Wirkung auf die Literaten und Künstler der Nachkriegszeit sucht, hier sind sie: Verschweigen und Fehlinformation. Die Kinder, die gerne auswendig lernen, zitieren mangels Besserem Werbesprüche (Faute de mieux). Wie aber kann man singen lernen ohne zu singen? Wie kann man zeichnen lernen, ohne zu schauen ? Die elektronisch-technische Revolution und ihre neuen Kommunikationsmittel erleichtern einerseits, verführen auch andererseits zur Verkürzung des Textes, ja des Sprechens selbst. Es gibt, so wird erzählt, Eltern mit Muttersprache Deutsch, die sich mit ihren Kindern nur in Fremd