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niedrigt Agierende seiner göttlichen Größe stets eingedenk, was
seine Menschwerdung noch „wundervoller“ erscheinen läßt,
denn:

Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehret und wer¬
det wie die Kindlein, so werdet ihr nicht in das Reich der Him¬
mel eingehen. Jesus aber sprach: Lasset die Kindlein und weh¬
ret ihnen nicht, zu mir zu kommen, denn solcher ist das Reich
der Himmel. Darum, wer irgend sich selbst erniedrigen wird
wie dieses Kindlein, dieser ist der Größte im Reiche der Him¬
mel.*

Jesaja entbehrt dieser neutestamentlichen Konditionalitat so¬
gar und spricht so den Sachverhalt wesentlich direkter aus:

Aber siehe, der Herr, der HERR Zebaoth, wird die Aste mit
Macht abhauen und, was hoch aufgerichtet steht, nieder¬
schlagen, daß die Hohen erniedrigt werden.’

Dem hier nicht näher zu behandelnden Machtausbau durch
gezielte Ideologeme im frühen Christentum hat Erich Fromm
eine der aussagekräftigesten Studien zu diesem Thema gewid¬
met.‘

Betrachtet man die christliche Bildende Kunst als illustrieren¬
de, manipulative ancilla ecclesiae, so sollte nicht übersehen
werden, daß jener historische Abschnitt, den Leander Kaiser als
„aus der heutigen Debatte heraus(gefallen)“ sieht, „die ganze
Malerei und Plastik des Spätmittelalters und der Renaissance
... bis hin zu Caravaggio“ (S.6), sich einzig durch einen miihe¬
vollen Entwicklungsprozeß definiert. Dieser Geburtsvorgang
innerhalb der abendländischen Kunst strebt cum grano salis da¬
nach, die angesprochene Diskrepanz zwischen der erhöhten Ge¬
stalt und jenem „Menschenmaterial“ (S. 4), das Kaiser als ei¬
nen Verlust kreativer Fähigkeit der Menschendarstellung erst
in Pasolinis „120 Tagen von Sodom“ ortet, auszugleichen.

Der am Beginn dieses Prozesses, in einem ideologisch kei¬
neswegs eindimensionalem Spätmittelalter dargestellte Mensch
ist in seiner Identifizierbarkeit einer endlichen Gruppe von Per¬
sonen entnommen, deren zumindest metaphorische Existenz
sich in den Heiligen Schriften, sowie der „Legenda Aurea“ des
Jacobo de Voragine finden läßt, und erhebt sich somit über je¬
nen Homo Sapiens, den die humanistisch geprägten Dokumente
der Neuzeit’ zu umreißen versuchen. Diese Prozessualität
bringt nun den Menschen in seiner irdisch-individuellen Er¬
scheinungsform hervor; der Maler projeziert in sein Modell
nicht mehr ein liturgisch-überhöhtes Pendant, sondern beläßt
es in seiner Identität.

Damit soll keineswegs zum Ausdruck gebracht werden, daß
das Recht auf individuelle Darstellbarkeit nun als allgemein
greifbares Naturrecht konkretisiert erscheint. Die Bedingungen
dafür liegen jedoch kaum mehr in dem jeweiligen Grad an Hei¬
ligkeit, sondern repräsentieren die weltliche Macht des Dar¬
gestellten, sowohl in politischer als auch pekuniärer Hinsicht.
Es ist kein Zufall, daß die frühe Portraitmalerei im relativ kurz¬
lebigen Herzogtum Burgund den durch den französischen Kö¬
nig Karl den Guten 1363 verliehenen Status mit besonders ein¬
dringlicher Individualisierung unterstreichen soll.

Die christlich geprägte Malerei beharrt jedoch weiterhin,
trotz aller stilistischen Neuerungen, in ihrer theologisch be¬
gründeten Diskrepanz auf der Ent- oder Überindividualisierung
ihrer Figuren, wobei die unterschiedliche Ästhetik quer durch
die Zeiten auch von ein und demselben Maler vertreten wer¬
den kann, wie an der „Kommunion des Heiligen Franz von As¬
sisi“ gezeigt werden kann, die hinsichtlich der Menschendar¬
stellung mit der „Flucht der Königin aus Blois“ aus dem Me¬

dici-Zyklus desselben Peter Paul Rubens’ nichts mehr zu tun
hat.

Aus dieser Sicht erhält Kaisers „christlicher Symbolismus“ die
nahezu kinetische Energie eines verspäteten Aufschreis gegen
jenes Übermenschentum, dem die vorangegangene Bewegung
der Nazarener ästhetisch in keiner Weise gewachsen war. Es
galt dabei, jenen christlichen Übermenschen, der dem Nietze¬
schen Begriff diametral gegenübersteht und durch das Un¬
fehlbarkeitsdogma Pius’ X. zusätzliche Nahrung erhielt, im 20.
Jahrhundert wenn schon nicht in der realpolitischen Alltagswelt,
so zumindest in der Kunst zu besiegen. Diese Überwindung läßt
sich exemplarisch in ihrer Prozessualität nachvollziehen, wenn
Francis Bacon etwa in 45 Detailstudien zu Velazquez’ Portrait
des Papstes Innozenz X. dessen Gestalt zu demaskieren, ja zu
demontieren versucht, bis der Stellverteter Gottes in der Ba¬
conschen Metamorphose letztendlich dem kathartischen Wel¬
tenbrand überantwortet wird.

Des Weiteren sieht Leander Kaiser in der „Leere“ symbolisti¬
scher Kunst eine Ursache für die Flucht in „esoterische und ok¬
kulte Heilslehren“(S. 4), die ihrerseits wiederum eine „Ent¬
grenzung der christlichen Heilsbotschaft“ (S. 4) darstellen. Der
Abstraktionsgrad bzw. die symbolistischen Fähigkeiten zahl¬
reicher esoterischer Bewegungen wären jedoch mit wissen¬
schaftlicher Genauigkeit zu hinterfragen: Inwieweit etwa ver¬
mag der anthroposophische Tujengeist in seiner konkreten
Unsichtbarkeit bereits das Prädikat des Abstrakten für sich in
Anspruch zu nehmen? Ein Bogen ist wohl bis zu jenen diver¬
sen Teilgruppen der Pastafari hin spannbar, die in Bobby Hen¬
derson’s Idee eines „Flying Spaghetti-Monster“ vielleicht
schon nicht mehr das ihr innewohnende kritisch-ironische Po¬
tential erkennen können .®

Freilich entwickelten sich Esoterik-Kulte, parallel zu den
symbolistischen Bewegungen, auch im Widerstand gegen den
Totalitarismus des Christentums; ihnen mangelte es jedoch seit
jeher an perzeptiver Kraft, was ebenfalls die Fähigkeit zur Ab¬
straktion auf ein kaum noch wahrnehmbares Minimum redu¬
ziert.

Könnte es einer Weltordnung, die weit eher einem atheistischen
Humanismus als den drei monotheistischen Religionen ver¬
pflichtet wäre, gelingen, eine unbefangenere Darstellung des
Menschen neu zu kreieren? Kann der unsäglichen Hegelesken
Synthese von christlichem Übermenschentum und esoteri¬
scher Indifferenz, welche sich in Erscheinungen wie Bush’s
„Born again Christians“ und — im außerchristlichen Bereich —
den islamischen Fatwas zur gezielten Tötung von Menschen
konkretisiert, der atheistische Humanismus als ernstzuneh¬
mende Kraft gegenübertreten? Kann unter diesen Aspekten
eben jener Mensch in den Mittelpunkt künstlerischer Ausein¬
andersetzung gestellt werden, den die christliche Malerei zum
Übermenschen oder zu dessen Antipoden, dem Statisten, um¬
funktioniert, ohne daß jedoch in symbolistischer Abstraktion
per se ein Negativum erkannt werden muß?

Da der Zustand allgemeiner Aktzeptanz eines humanisti¬
schen Atheismus ferner denn je erscheint, muß der Status quo
in all seiner Kontingenz hinterfragt werden. Adornos schon zum
Überdruß zitiertes Diktum von der Unmöglichkeit, nach Ausch¬
witz noch Gedichte zu schreiben, mag Paradigma für all das
sein, was Darstellung — im künstlerischen, wie im repräsenta¬
tiven Sinn — vor 1945 vielfach zu bedeuten hatte. Wenn sich,

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