OCR Output

wie Leander Kaiser meint, „Adolf Hitler als Reinkarnation von
Jesus Christus“ (S. 5) sah, so tat er das bereits im Sinne einer
Gleichschaltung, die der biblischen Kompilationsgestalt Jesu
nicht mehr bedurfte, da dieser ja bereits von den rassistischen
evangelischen „Deutschen Christen“ zum Arier erklärt worden
war. Hitler konnte sich konsequenterweise vor dessen Hinter¬
grund zum Messias proklamieren lassen. Im vierten Sitzungs¬
bericht vom 14. August 1943 über die geplante Religionspoli¬
tik nach dem Endsieg steht zu lesen:

Der Führer ist dabei als ein Mittelding zwischen Erlöser und
Befreier hinzustellen - jedenfalls aber als Gottgesandter, dem
göttliche Ehren zustehen.

Wiederum auf den künstlerischen Aspekt bezogen münden,
bei konsequenter Betrachtung dieser historischen Zusammen¬
hänge, auch die Menschendarstellungen des Christentums ge¬
meinsam mit ihrer Funktion als furchteinflößende Biblia Pau¬
perum, bleiben sie unreflektiert, in die Skulpturenwelt eines Ar¬
no Breker oder eines Josef Thorak.

Es scheint, als ob das Christentum in seiner gesamten Idee nicht
ohne die Konstruktion eines „Absoluten in Gestalt menschli¬
cher Individualität“ (S. 4) auskommt. So ist es wohl konse¬
quent, daß der dem Christentum gegenüber zunehmend kriti¬
scher werdende Theologe Adolf Holl bei einer Diskussions¬
veranstaltung der Plattform Liberthaliä das Absolutum im
Menschen Jesus leugnet, da dieses im Widerspruch zum
Menschsein selbst stehe.'’ In seinem Buch „Der lachende Chri¬
stus“ geht Holl sogar so weit, dem erlösenden Gott eben die¬
selbe Sucht nach Erlösung zuzubilligen; ein theologischer An¬
satz, der in der gnostischen Tradition von Nag Hammadi mchr¬
fach auftaucht:

Es handelt sich... um die Auffassung, daß der Erlöser, weil
ins Menschliche eingesenkt, selber der Erlösung bedürfe. Des¬
halb muß er die Erlösungsbedürftigen in seinen Bann ziehen
(packen, festhalten). Er wird erst dann Ruhe finden, wenn es
keine Erlösungsbedürftigkeit mehr gibt."

Dieser göttliche Zwiespalt, der das Prinzip der Allmacht
massiv in Frage stellt, prägt in gewisser Weise die byzantini¬
sche Ausformung des Christentums, was auch Leander Kaiser
zugibt:

Die Darstellung des Höchsten, Absoluten in menschlicher
Gestalt blieb in Byzanz zwischen der realen Idolatrie, ja dem
Fetischismus der Ikonenverehrung und dem theologisch ge¬
forderten Durchscheinen der gemalten Abbilder auf die himm¬
lischen Urbilder stecken.(S. 6)

Die von Leander Kaiser ebenfalls ins Spiel gebrachte, von Ja¬
cob Burckhardt als „Renaissance“ bezeichnete Periode ist
durch einen ähnlichen Zwiespalt geprägt, nun jedoch in säku¬
larisierter Form. Das individualisierte Portrait beansprucht et¬
wa denselben Grad an Bildraum wie der über dem „Men¬
schenmaterial“ angesiedelte Heilige. Es nimmt deshalb in die¬
sem Zusammenhang nicht wunder, wenn dieser Bedeutungs¬
verschiebung, die den Menschen — wenngleich vorerst ledig¬
lich den Macht resp. Geld besitzenden — in den Mittelpunkt
stellt, von dem bis heute als intellektuell bewerteten Josef Rat¬
zinger mit großem Mißtrauen, ja mit Verachtung begegnet wird.
So nur erhalten die Anführungszeichen, die er in seinem allzu
oberflächlichen Streifzug durch die Kunstgeschichte beim
Emanzipationsbegriff setzt, ihren ureigenen Sinn:

18

Die Renaissance hat freilich einen ganz neuen Schritt getan.
Sie „emanzipiert“ den Menschen. Nun entsteht das Ästhetische
im modernen Sinn — die Schau der Schönheit, die nicht mehr
über sich hinausweisen will, sondern als Schönheit des Er¬
scheinenden sich letztlich selbst genügt. Der Mensch erfährt
sich in seiner ganzen Größe, in seiner Autonomie. Die Kunst
spricht von dieser Größe des Menschen, ist geradezu über¬
rascht von ihr, sie braucht keine andere Schönheit mehr zu su¬
chen.”

Bezieht der Mensch sich also nicht mehr auf Gott, genügt
er sich im christlich konservativen Sinn selbst; er vermag es oh¬
ne den christlichen Glauben nicht, im Verständnis Nietzsches
über sich selbst hinauszuwachsen. Diese Menschenverach¬
tung des Christentums in Gestalt seines gegenwärtig wichtig¬
sten Repräsentanten zeigt sich dabei nur allzu deutlich. Die
„Last der Antike“ soll vergessen sein, die „Demut des Sakra¬
ments‘ als großes Telos wieder im Raum stehen. Daß diese
Demut nicht über den Rand des christlichen Gesichtsfeldes hin¬
ausragt, die Antike als pars pro toto für heidnischen „Ungeist“
ablehnt, prädestiniert sie nicht eben als jenen Rettungsanker, der
Jene Energie aufbringt, den Symbolismus welcher Art auch im¬
mer zu überwinden. Spätestens seit der letzten Enzyklika,
„Spes salvi“, in welcher dem Atheismus in seiner Gesamtheit
die Schuld an den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts
zugeschrieben wird, ist der Humanist des frühen 21. eher noch
bereit, Hendersons „Flying Spaghetti-Monster den erlösungs¬
spendenden Vorzug zu geben.

Anmerkungen

1 Romano Guardini: Der Heiland. In: Die Schildgenossen. Katholi¬
sche Zweimonatsschrift. Hg. von Romano Guardini, Helene Helming,
Heinrich Kahlfeld, Rudolf Schwarz. 14. Jg. 1934/35, 97-116.

2 Romano Guardini: Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und
Politik. Eine theologisch-politische Besinnung. Zürich: Thomas-Ver¬
lag 1946, 42.

3 „Wo sonst im Hause der Hergottswinkel mit dem Bild des Ge¬
kreuzigten gewesen war, dem man sich beim Gebet zuzuwenden pfleg¬
te, wurde nun der ‚Gotteswinkel’ eingerichtet, und in ihm erschien, zu¬
sammen mit dem Hakenkreuz, das Bild Hitlers.“ Ebda.

4 Matthäus 18, 3-4.

5 Jesaja 10, 33.

6 Erich Fromm: Das Christusdogma und andere Essays. München:
Szezesny 1965.

7 vgl. „Bill of Rights“ (1789) oder die „Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte“ (1948)

8 Bobby Henderson: The Gospel of the Flying Spaghetti Monster.
New York: HarperCollins Publisher 2006.

9 Faksimile des Dokuments bei: Wilfried Daim: Der Mann, der Hit¬
ler die Ideen gab. Jörg Lanz von Liebenfels. Wien: Carl Ueberreuter
1994, 222.

10 Vortrag vom 14. Dezember 2007. — Die Plattform Liberthaliä be¬
steht seit 2006 und ist der Auseinandersetzung mit humanistischen
Themen gewidmet. www.liberthalia.org

11 Adolf Holl: Der lachende Christus. Wien: Paul Zsolnay 2005, 16.
12 Josef Kardinal Ratzinger: Der Geist der Liturgie. Eine Einführung.
Freiburg im Breisgau: Herder 2000, 111.

13 Ebda.