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Manfred Wieninger ungelösten Rätsel der österreichischen Kriminalgeschichte Am 3. Mai 1945 um circa halb vier Uhr morgens stürmt ein SSMann mit gezogener Pistole das Krankenzimmer des sogenannten Judenauffanglagers in Hofamt Priel im niederösterreichischen Strudengau, in dem die beiden ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter Regina Solt und Ing. Eugen Kalmar unruhig auf zwei Pritschen schlafen. „Also hier liegen die Kranken“, meint der nächtliche Besucher laut und vernehmlich, gibt drei Schüsse in den Plafond ab und entfernt sich sogleich wieder, wobei er sorgfältig die Tür hinter sich schließt. Zu diesem Zeitpunkt liegen in den drei Baracken des Lagers, das sich am Donaustrand westlich des Schlosses Persenbeug befindet, 26 Tote und Sterbende, meist marschunfähige Greise, aber auch Kinder, die von einem acht- bis zehnköpfigen Rollkommando der Waffen-SS in ihren Pritschen ermordet worden sind. Weitere 197 Lagerinsassen haben die SS-ler in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1945 — die Regierung Renner amtiert bereits in Wien — nacheinander im Abstand von ein bis zwei Stunden in drei Gruppen aus den Baracken getrieben und in einer Entfernung von circa 15 bis 20 Gehminuten auf dem Gebiet der Persenbeuger Nachbargemeinde Hofamt Priel erschossen. Die Leichen werden mit Benzin übergossen und angezündet, wobei der vorherrschende starke Regen die Flammen bald löscht. Die drei Exekutionsorte sind gut gewählt, es handelt sich jeweils um tiefe, grabenartige Geländeeinschnitte im sogenannten Priel, einem kleinen Teil der riesenhaften Böhmischen Masse, der ein paar Rotten von Bauern Er * Historische Ansichtskarte aus der Sammlung M. Wieninger 4 ZWISCHENWELT gehöften, Wiesen und Felder auf seinem Rücken trägt und nicht sehr steil zum nördlichen Donauufer hin abfällt. Bevor die Täter mit den nächtlichen Exekutionen beginnen, verbreiten sie in umliegenden Häusern und Gehöften, in denen Wehrmachtsangehörige einquartiert sind, die Nachricht, dass man sich über etwaige Schüsse nicht zu beunruhigen brauche, da die SS eine militärische Nachtübung durchführe. Ab Anfang April 1945 werden zehntausende ungarisch-jüdische ZwangsarbeiterInnen aus dem gesamten Osten der damaligen Ostmark, viele davon aus Wien, in Todesmärschen in Richtung KZ Mauthausen getrieben. Bei diesen von Fichmanns Sondereinsatzkommando, von den Gau- und Kreisleitern der NSDAP schlecht geplanten Fvakuierungsmärschen, die zumeist von Volkssturmmännern und Gendarmerie, aber auch von Gestapo und WaffenSS eskortiert werden, gibt es kaum Trinkwasser und so gut wie keine Verpflegung für die Juden. Übernachten müssen sie bei kühlen Frühjahrstemperaturen im Freien. Da die Wachmannschaften knapp sind und befürchten, in die Hände der vorrückenden Roten Armee zu fallen, lassen sie Erschöpfte, die nicht mehr weiter marschieren können, bisweilen zurück. Diese werden später von der Gendarmerie quasi eingesammelt und zu Nachzüglertransporten zusammengestellt. Auch im Landkreis Melk können hunderte ungarisch-jüdische ZwangsarbeiterInnen nicht mehr weiter. Auf Befehl des Gendarmerie-Kreises Melk wird für sie am 25. April 1945 ein sogenanntes Judenauffanglager in Hofamt-Priel, einer