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derstand gegen die antihumanen Tendenzen der Zeit. Und wenn dies Aufrichten auch nur wie eine Berührung im Vorübergehen sein mag, so hat der GIGANT seinen Adressaten erreicht. Standzuhalten gilt es auch der Wucht des Steins. Seine Monumentalität manifestiert eine wesentliche Zweideutigkeit: als symbolische Verkörperung der „Macht“ hat er etwas Einschüchterndes und Erschreckendes; als symbolische Verkörperung des Menschen in seiner Würde ermutigt er eben dazu, sich aufzurichten. Das entspricht dem Doppelsinn des Erhabenen: man kann sich von ihm niederdriicken lassen oder zu ihm erheben. Ulrike Trugers GIGANT ist kein naives Plädoyer für Menschenwürde und Menschenrechte. Er reflektiert im Stein das Problem seiner eigenen Monumentalität und die Spannung zur Thematik. „Macht“ ist hier nicht einfach das Böse. Sie lastet (das Gewicht des Steins), sie erhebt sich (die Höhe des Steins): denn der Mensch, der standhält, ist selbst ein mächtiges, Ehrfurcht gebietendes Wesen. Von allen Denkmalsetzungen Ulrike Trugers zeigt der GIGANT die geringsten figuralen und narrativen Beziige. Die universale Natur der Menschenwiirde, die allen Menschen von Geburt aus zukommt und auch bedeutet, dass kein Mensch von vornherein unter eine Kategorie subsumiert werden darf, die nicht universal, für alle Menschen gültig ist, lässt sich nur schlecht oder symbolistisch durch eine menschliche Figur darstellen. Während bei Barnett Newman die Abstraktion des Themas aus dem Stil folgt, ist sie bei Truger eine inhaltliche Entscheidung. Es wird zwar eine Erinnerung angeschlagen an die Pathosformeln des Stehens in der Tradition einer Bildhauerei (etwa der Wotrubas), die unter Verzicht auf die Pathosformel des Sockels die Figur zu ihrem eigenen locus standi gemacht hat, und damit sowohl die Autonomie der Figur wie ihre Verbindung mit dem gemeinsamen Boden, auf dem wir alle stehen, betont hat. Der Stein, die Figur muss sich sozusagen selbst stützen und zeigen, wie sie sich hochstützt. Wie so oft bei Ulrike Truger ist das zugleich auch eine Spurensetzung für die Erinnerung und das Gedächtnis. Was die Rauheit des Steins gegen die glatten Oberflächen der Gleichgültigkeit einmahnt, ist eine „Politik der Menschenrechte“, die sich nicht nur als Anwalt der Schwächeren, Verfolgten, Gedemütigten sieht, sondern ebenso und vielleicht noch mehr als Verteidigung der eigenen Würde und Rechte. Wenn dem so ist, steckt für mich im GIGANTEN auch eine Kritik an einer bloß karitativen Zuwendung zu den „Anderen“, den Asylsuchenden, Armen usw. Die „Politik der Menschenrechte“ — heute von vielen als gemeinsamer Nenner politischen Handelns verstanden — braucht ein Menschenbild, das dem rechten Populismus und seinen „Werten“ (Heimat, Familie, Angst) entgegengesetzt werden kann. Ich sehe im GIGANTEN einen Beitrag dazu. Kehren wir zurück zur Strategie der Denkmalsetzung. Ulrike Truger nimmt sich heraus, selbst den Ort zu bestimmen. Sich nicht abschieben zu lassen ins Abseits. Nicht hinzunehmen die „repressive Toleranz“, die ein Denkmal des Widerstands gern dort erlaubt, wo es niemanden stört und niemand bemerkt. Hier handelt es sich nicht um Stadtmobiliar wie die Beleuchtung der Kärntnerstraße, damit endet wohl auch die ästhetische Kompetenz der Bezirkspolitik. Der Platz zwischen Künstlerhaus und Musikverein ist ein prominenter Platz und zudem ein Platz, auf dem man sich als Fußgänger frei bewegen kann und die Chance hat, auf ein Kunstwerk zu reagieren. Aber auch für den Platz ist der GIGANT ein Gewinn, weil er ihn vom Karlsplatz und der Straße abtrennt und ihm so etwas gibt, wie es die beiden Säulen mit dem Markuslöwen und dem Heiligen Georg der Piazza San Marco in Venedig geben. Der Platz wird vom GIGANTEN zugleich abgeschlossen und geschützt. Wien, im Februar 2010. — Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Leander Kaiser und Ulrike Truger. "ih ZW berichtete in Heft Nr. 3-4/2009, S, 4-5, von der zunächst ohne behördliche Genehmigung erfolgten Aufstellung des „Giganten“ im November 2009; abegedruckt war auch Martin Pollacks Rede bei der Denkmalenthüllung, „Ein Mahnmal für Menschenrechte“. Mittlerweile wurde die Gebrauchsnutzung für den „Giganten“ (die Genehmigung seiner Aufstellung auf öffentlichem Gut) bis Ende Oktober 2010 erstreckt. Gegen die Absicht der Bezirksvertretung Neubau, den Platz, auf dem Ulrike Trugers Omofuma-Stein steht, „Platz der Menschenrechte“ zu nennen, protestierte nicht nur die Künstlerin selbst. Der spezifische Fall Omofuma dürfe nicht durch eine wie immer gut gemeinte schlechte Verallgemeinerung vom Tisch gewischt werden. Die Redaktion der Wiener Frauenzeitschrift „AUF“ („Aktion unabhängiger Frauen‘), die kürzlich ihr 35jähriges Erscheinen feierte, machte in einem offenen Brief zudem auf die Lächerlichkeit aufmerksam, ausgerechnet einen sehr kleinen Platz in Wien pompös nach den Menschenrechten zu benennen. Der Heldenplatz böte sich dazu wohl eher an (jedoch nicht ohne Umgestaltung). Die Bezirksvertretung Neubau war übrigens dermafen vom Hochgefühl, der Menschheit mit ihrer Benennungsinitiative eine Wohltat zu erweisen, erfüllt, daß sie nicht einmal das Gespräch mit der Künstlerin suchte. 1-2/2010 7