OCR
Daniela Strigl Das Glück des Imkers „Zum Glück für alle Dissertanten bin ich kein Objekt der Literaturgeschichtsschreibung, eher schon für das Guinness-Buch der Rekorde (...); meine vielzuvielen Arbeiten, die ich bis heute alle liebe, weil sie mir wenig Mühe bereiteten und viel Freude machten, sie würden jede Doktorarbeit zu einer Liste machen, und diese Liste wäre obendrein lückenhaft.“ In ihrem Schwanken zwischen Bescheidenheit, Wehmut und Produzentenstolz ist diese Selbstbeschreibung charakteristisch für Hermann Schreiber, der zeit seines Lebens seinem Namen alle Ehre gemacht hat. Als Jahrgangskollege von Paul Celan und Marlen Haushofer 1920 in Wiener Neustadt geboren, begann er sein von ihm selbst nicht mehr zu überblickendes Schreib-Werk als Germanist, Kritiker und Erzähler. Seine Dissertation über Gerhart Hauptmann schrieb er als Soldat „im Feld“, beim berühmt-berüchtigten NS-Paradegermanisten Josef Nadler, dessen Vorlesungen auch Marlen Haushofer hörte und über den Schreiber, obwohl selbst nie Nazi, wie viele Nadler-Schüler später nichts kommen ließ. Mit einer auf gut Glück an Otto Basil gesandten Abhandlung über Georg Trakl („Der Dichter und die Farben“) fand er Eingang in die nach dem Krieg tonangebende Literaturzeitschrift „Plan“ und die literarische Szene Wiens. Viktor Matejka, der ehemals linkskatholische KP-Stadtrat, bot dem jungen Mann 1945 eine Schulstelle nach Wahl an („ich hab keinen einzigen unbelasteten Germanisten für die Wiener Gymnasien“). Schreiber entschied sich aber für eine Existenz als Autor, schrieb Rezensionen für Zeitschriften, von ganz links („Österreichisches Tagesbuch“) bis rechts („Der Turm“), arbeitete als Chefredakteur eines Organs der französischen Besatzungsmacht, übersetzte ein Dutzend Simenon-Krimis — und veröffentlichte Romane, darunter „Die Glut im Rücken“ und „Sturz in die Nacht“, dem ein realer Doppel-Absturz der Air France in Indochina zugrunde lag. Schon im Wien der fünfziger Jahre galt der unheimlich Nleißige Hermann Schreiber in seinem notorisch finanzschwachen Freundeskreis — um Milo Dor und Reinhard Federmann - als einer, der immer Geld hatte und gern damit aushalf. Er verdiente es auch als Literatur-Agent — ein Beruf, den es sehr wohl damals schon gab; als solchen hat Gerhard Fritsch ihn in seinem Roman „Moos auf den Steinen“ porträtiert. Neben guten Freunden (Fritsch, Qualtinger, Michael Kehlmann, Peter Weck, der Kinderbuchautorin Friedl Hofbauer und anderen) hatte Hermann Schreiber vor allem einen Feind, der ihn, weil er in aller politischen Naivität immer weiter nach links rückte, als „Kommunistenfreund“ verunglimpfte: Hans Weigel. Dazu kam, daß sich ihre Kreise überschnitten, sie etwa beide eng mit Marlen Haushofer befreundet waren, die Schreiber zu Weigels Verdruß Jahre später als Osterreich-Scout fiir Claassen zu einem für sie wichtigen Verlagswechsel, weg von Sigbert Mohn, bewegen sollte. Als Schreiber 1960 nach Deutschland ging, nach Augsburg zunächst, dann nach München, wo er noch heute lebt, entfaltete sich seine eigentliche Karriere als Sachbuchautor rasant: Ob Reiseführer (vorzugsweise Südfrankreich), Städteportraits (Paris, Florenz, Venedig), Biographien (über August den Starken oder Marco Polo), Epochendarstellungen (über die Hunnen, die Vandalen, die 8 _ ZWISCHENWELT Mauren in Spanien oder die Belle Epoque) oder Kulturgeschichten (der Prostitution wie der Alchemie), Hermann Schreiber glänzte durch seinen kristallinen Stil, seine unterhaltsame Darstellung und seine stupende Bildung — und verkaufte seine Bücher millionenfach. Dabei machte er sich selbst noch mit Unterhaltungsromanen unter diversen Pseudonymen Konkurrenz und brillierte als Ghostwriter, zum Beispiel für eine Frankfurter Bordellwirtin. Konstantin Kaiser hat den unermüdlichen Sammler und Produzenten einmal mit einem Imker verglichen, der gemessenen Schrittes seine Bienenstöcke abgeht und unentwegt die Honigwaben in die Zentrifuge schiebt. Hermann Schreibers Rolle ist aber zugleich auch die der Biene. Bis ins hohe und höchste Alter blieb Schreiber als Schreiber aktiv, zuletzt mit „Liebe, Macht, Verbannung. Frauenschicksale im Zarenreich“ (2009) oder „Die Geschichte der Päpste“ (2007). Er veröffentlichte, leider nicht in einem großen Haus, sondern in seinem eigenen „Drei Ulmen Verlag“, seine höchst kurzweiligen Memoiren: „Ein kühler Morgen“ und „Bücher, Frauen, Bücher“ — ein Gentleman, der genießt und nicht immer schweigt, was eine feministische Lektüre seiner Texte nicht gerade begünstigt. Er publizierte Besprechungen, vornehmlich im „Börsenblatt“ und seit zwei Jahrzehnten auch in „Literatur und Kritik“, wo er nicht nur aus seinem Fachwissen über das Verlagsgeschäft schöpft, sondern auch seiner eigentlichen Liebe frönt: der Literatur. Schreibers Aufsätze über bekannte Autoren, wie Rilke und Celan, und weniger bekannte, wie Ernst Jirgal und Werner Riemerschmid, vermitteln nicht nur Kluges und Lehrreiches, sondern stets auch unermüdliche Neugier und ansteckende Begeisterung. Bis heute merkt man ihnen an, daß sie einer „Beschäftigung in jener angenehmsten Weise“ entspringen, „die mir die absolute Einsamkeit mit Stoff und Literatur garantiert“. Heimweh nach Wien will Hermann Schreiber sich nach wie vor nicht gestatten — die Stadt, in der er hätte leben mögen, so resümierte er zu seinem Achtziger, sei 1938 zerstört worden. Im April damals, als im Stehparterre der Staatsoper mit einem Mal kein Gedränge mehr herrschte, hätte er es wissen müssen: „Wir hatten uns über die Brüstungsplätze gefreut, wir hatten den Abend genossen, wir waren achtzehn; nun bin ich achtzig und habe es noch nicht verwunden.“ Hermann Schreiber, geb. am 4. Mai 1920 in Wr. Neustadt, studierte Germanistik und Philosophie in Wien. Nach 1945 in der Redaktion von Plan und Österreichisches Tagebuch. Chefredakteur der französischen Kulturzeitschrift Geistiges Frankreich. Verliert den Posten nach seiner Kritik am Indochinakrieg. Teilhaber eines Verlages und 1948-54 Wiener Mitarbeiter des Daily Mirror. Seit 1949 freier Schrifisteller. 1951 erster Roman; seither Verfasser von über 100 Romanen, Essays, Novellen und Sachbüchern, teilweise unter Pseudonymen wie Ludwig Bühnau, Ludwig Barring und Lujo Bassermann. Auch Übersetzer französischer Literatur (Georges Simenon). Lebt seit 1960 in Deutschland. 1983 Kulturpreis der Stadt Baden bei Wien. Zuletzt erschienen: Liebe, Macht, Verbannung: Frauenschicksale im Zarenreich (Gernsbach 2009); Ritter, Tod und Teufel: Kaiser Maximilian I. und seine Zeit (Gernsbach 2008). In ZW u.a. die Beiträge: Guttensteiner Sommertage vor 1938 (Nr. 1-2/2009); Ist er der Sohn? Erste und letzte Information tiber Heinrich Satter 1908 - 1992 (Nr.4/2007).