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Walter Kohl Zum Tod von Eugenie Kain Wenn es darum ging, nach einer anstrengenden Sitzung der Regionalgruppe Oberösterreich der Grazer Autorinnen/Autoren Versammlung (GAV) noch schnell in einem nahen Prolo-Beisl mitten unter eher seltsamen Gästen ein Achterl Rotwein zu trinken und über wirklich ganz andere Dinge zu reden als in den Stunden davor, war Eugenie Kain der richtige Mensch. Wenn es darum ging, seltene Bootleg-Varianten von Neil Young- oder Bob Dylan- oder Patti Smith-Songs aufzutreiben, war Eugenie Kain eine gute Adresse. Wenn einem bei einem Veranstaltungsbesuch im Linzer Stifterhaus allmählich das ganze Hochliteratur- und Germanistik-Getue zu viel wurde und man eine Zigarettenlänge lang in das winzige Cafe flüchtete, konnte man sicher sein, dort an der Theke Eugenie zu treffen, auch als sie selbst schon nicht mehr rauchte. Jetzt ist sie nicht mehr da, und der Schock über ihren zwar sich ankündigenden, aber am Ende doch überraschenden Tod weicht langsam dem wachsenden Bewusstsein für das Ausmaß des Verlustes. Eugenie Kain mit ihrer ruhigen Bedächtigkeit war so was wie ein Bindemittel, ihr Engagement im Linzer und oberösterreichischen Kulturleben wirkte integrativ, obwohl es so unaufgeregt, unspektakulär und uneitel daherkam. Sie war eine, die zäh und beharrlich dafür sorgte, dass etwas weiter ging, egal, worum es ging. Lange Jahre war sie Regionalsprecherin der GAV, war engagiert bei der IG Autorinnen Autoren, bei nicht-institualionalisierten Kulturinstitutionen, beim Linzer Non-Profit-Radio FRO. Sie war integrierend, ermutigend, hereinnehmend. Ihr Vermögen war es, Ausgleich herstellen zu können, zwischen den widersprüchlichsten Interessen, Gruppen und Personen, ohne dabei faule Kompromisse eingehen zu müssen. Sie konnte mit unterschiedlichsten Gegenübern umgehen, mit den glatten auf Efhizienz getrimmten Kulturhauptstadtjahr-Dynamikern von Linz 09 genau so wie mit egomanischen Persönlichkeiten des regionalen Literaturbetriebs, mit auf vielerlei Interessen Rücksicht nehmen müssenden Kulturbeamten ebenso wie mit in Literaturdingen in aller Regel ahnungslosen Politikern. Eugenie Kain hat aus ihrer politischen Position nie ein Hehl gemacht. Sie war Kommunistin, kandidierte wenige Monate vor ihrem Tod auf der Liste der Kommunistischen Partei für den Linzer Gemeinderat. Es war klar, wie sie die Dinge sah. Mit Menschen, die sie anders sahen, hatte sie keine Probleme, außer deren Sicht war menschenverachtend, rassistisch, faschistisch angehaucht. Sie war der sozialste Mensch, den ich kenne, und einer von den freundlichsten. Für eine literarische Karriere gehört dies nicht unbedingt zum Anforderungsprofil. Wer sich heutzutage im Literaturbetrieb durchsetzen will, muss mehr können als schreiben. Networking, Selfpromoting, Lobbying in eigener Sache sind die geforderten Kulturtechniken des 21. Jahrhunderts. Ob Eugenie Kain derartige “Tugenden” drauf gehabt hat, weiß ich nicht. Sie hat den Eindruck vermittelt, als widere sie diese Entwicklung an. Der Umstand, dass ihre Arbeit in den letzten Jahren immer mehr Öffentlichkeit und Anerkennung gefunden hat, und zwar ohne all die marktstrategisch notwendigen Verrenkungen, vermittelte einem so was wie Hoffnung: Man kann sich durchsetzen ohne den üblich gewordenen Jahrmarktsrummel um das Bücher-Schreiben (genauer: um das Bücher-Verkaufen). Meiner Ansicht nach sind die Autorin Kain und ihr Werk immer missverstanden worden. Nein, nicht missverstanden. Sondern: Von einem falschen Bezugspunkt aus und mit falscher Perspektive wahrgenommen. Eugenie Kain galt als die Autorin der Randbezirke. Ihr Interesse und ihr - nicht nur schreibend bezeugtes, sondern im Alltag praktiziertes — Engagement für die zu kurz gekommenen, vom brüllenden Turbokapitalismus-Geschwurbel abgeschüttelten, von vornherein chancenlosen Menschen, Stadtteile, Landschaften brachte ihr die scharfe Punzierung der Randständigkeit ein. Man hat sie rezensiert (und auch gerühmt und mit Preisen ausgezeichnet) als eine Art embedded writer, die sich bevorzugt in fremde, seltsame, gefährliche Welten begab und uns - letzten Endes exotische — Berichte übermittelte in unsere sichere Behaglichkeit hinein. In Wahrheit aber haben sie und ihr Schreiben sich im Zentrum befunden, im wirklichen Leben nämlich. Wir dagegen sind der Rand, ein zwar fetter und feister, aber genau betrachtet recht schmaler Rand rund um einen gewaltig breiten Ozean voll schäbiger Ungerechtigkeit und Ungleichheit und Mangel und Leid. Eugenie Kain war nicht bei den Fettaugen, die isoliert auf Oberflächen schwimmen. Sie war bei denen, die unten sind. Und ich bin überzeugt davon, dass sie immer gewusst hat, dass sie an der richtigen Stelle ist. Und nicht die Ränder von etwas umkreist, von dem wir glauben sollen, es sei die Mitte. Dies ist denn auch der größte Verlust: Dass es jene Eugenie Kain nicht mehr gibt, die sich von Moden und Trends und Schwerpunktverschiebungen des Literaturbetriebs nicht irritieren und von ihrer eigenen Sache abbringen ließ. Die nicht verbittert und frustriert wurde, weil der Betrieb und der Markt sie mit dem Etikett Randgeschichten-Erzählerin punziert hatten, sondern die ihrer Umwelt (oder zumindest mir) eine Ahnung davon gab, dass beharrlich weiterzumachen und sich selbst und seinen Ideen treu zu bleiben einen Wert darstellt, der vielleicht nicht glänzt und prunkt. Für den sich aber alles lohnt. Alles. Diese Ahnung-Geberin und Hoffnungs-Macherin ist nicht mehr. Das ist der Verlust. Walter Kohl, geb. 1953 in Linz, seit 1996 freiberuflicher Autor, schreibt Bücher (zuletzt: „Wie riecht das Leben“, Wien: Zsolnay 2009; „Die dunlen Seiten des Planeten“, Grünbach: Edition Geschichte der Heimat 2008) und Theaterstücke. Lebt in Eidenberg bei Linz. Eugenie Kain, geb. 1960, starb am 8. Jänner 2010 in Linz. Sie studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Wien; arbeitete als Journalistin und im Bereich Training, Beratung und soziale Projekte, Redakteurin bei Radio FRO. 1983 Max von der Grün-Literaturpreis, 2003 Buch-Preis, 2006 Österreichischer Förderungspreis für Literatur, 2007 Kulturpreis des Landes Oberösterreich. Publikationen in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien, ORF und Freien Radios. Im Rahmen der Franz Kain-Kolloquien der TKG sprach sie u.a. über Ohmacht und Mitleid in der Literatur. Bücher: Sehnsucht nach Tamanrasset (Erzählungen, Linz 1999); Atemnot (Roman, Linz 2001); Hohe Wasser (Erzählungen, Salzburg 2004); Flüsterlieder (Erzählung, Salzburg 2006); Der Schneckenkönig (Erzählungen, Salzburg 2009). 1-2/2010 9