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Stanislav Struhar Erfahrungen Aus dem Gedichtband „Der alte Garten“ EINMAL beobachtete ich Die hohen, schlanken Linden Wie sie mit ihren Kronen Still die ziehenden, schneeweißen Wolken berührten Wie sie vorsichtig, sanft über sie strichen Und wie sie empfangen wurden Ich lag versunken da im Gras Und wollte keine Gedanken haben Ich lag da bis zur Dunkelheit Und fühlte Wie mir Tränen über die Schläfen flossen Sie fielen irgendwo von oben Und strichen vorsichtig, sanft über sie Mit den Händen bedeckte ich dann mein Gesicht Und wünschte mir Dass das alles nur Traum sei DAS WASSER Spülte meinen toten Körper ans Ufer Und ließ mich in die Augen Der über mich Gebeugten sehen Dann nahm es mich wieder beim Gesicht Und trug mich fort ins Unbekannte Warf mich auf einem Feldweg hinaus Damit ich die Leute aufhielte Die eilig von der Ernte kamen Ich weinte und rief um Hilfe Als sie über mich hinwegstiegen Mit Reichtum im Arm Und einem fröhlichen Lachen WIR SPIELTEN so lange Verstecken Bis der Eine den Anderen Verlor Mit voller Kraft Stürmten wir dann Durch das Labyrinth Und schrien vor Aufregung Bis wir vor Müdigkeit fielen Und uns gegenseitig Verrieten 10 ZWISCHENWELT DIE STIMME DER NEUEN HEIMAT "Tränen meiner Blume Meiner Freude Werden zu Dornen Die unsere nassen Kelche zerreißen Tag für Tag Welkt vor meinen Augen die verstummte Blüte Deren Atem Durch einen verfinsterten Raum bebt Im Herzen meines kleinen Mädchens Zersplittern Worte einer Kinderklage Jeden Tag entfernt sich die Stimme Deren Melodie stets das Glück färbte Blätter meiner Blume erblassen Und verlieren ihre frische Bewegung Gewendet in die Vergangenheit Schmiegen sich an das hinterlassene Licht Stimmen und Gesichter der Kinder Täglich in den Straßen und in den Träumen Lachen und Weinen des blühenden Lebens In einer fruchtbaren Welt und einem kalten Raum Tag für Tag bemühe ich mich die Stimme Der neuen Heimat aufzufangen Drücke mein Herz an das Herz meiner Freude Und dennoch bleiben mir ihre Worte verschlossen Das Blut meiner Freude erkaltet In meinem leeren Arm Die Sonne meiner Blume erschlafft In ihrem leeren Raum Für Yvona. Flüchtlingsheim Reichenau, Weihnachten 1988