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NACH ALL DEN ERFAHRUNGEN Aus der Vergangenheit Würden wir gern Menschlich sein Mit geschlossenem Mund Wir sind immer so erschöpft (oder ist hier ein anderes Hindernis?) WAS BEDEUTET ES, gegen den Strom zu schwimmen Und was bedeutet es, mit dem Strom zu schwimmen Was bedeutet es, in stehendem Wasser zu gleiten Und was bedeutet es, in den Wellen fast zu ertrinken Was eigentlich bedeuten alle diese Worte Und was bedeutet der Blick auf sie SCHWER IST ES Der Beste zu sein Und genauso schwer ist es Der Schlechteste zu sein Auch ist es schwer der Durchschnittliche — - nur der Gewöhnliche zu sein Manchmal ist es schwer Überhaupt zu sein (schwer daran nur zu denken) EIN STÜCK WIEN - STEIN Unbewegliche Augen ringsum In Melodien Von Fall Und Erhebung Unbewegliche Münder auf Schritt und Tritt Mit hervorbrechenden Worten Zu Schweigen Und Schrei Unbewegliche Körper in den Straßen In Gegenwart Von Leben Und Tod EINMAL FIEL ICH in die Hände Einer launigen Gruppe von Leuten Sie stellten mir Fragen durch Fausthiebe Und ich erwiderte mit Stürzen zu Boden Zu hören war nur ein zarter Gesang Ihrer Vogelschar Aus den Kronen der umliegenden Bäume Das Wetter war herrlich SELTEN WAR DAS SCHREIBEN so tödlich Wiein einem Land Das über den Schatten des Tötens Noch nicht hinweggekommen ist Selten war das Schreiben so sinnlos Wie in einem Garten In dem Früchte So sorgfältig sortiert werden Selten war das Schreiben so anziehend Wie auf einem Weg Auf dem man in ungestörter Einsamkeit Eigene Schritte hört DAS GANZE LEBEN Wirst du lernen Selbstverständlich Auch von den Träumen anderer Aus dem Tschechischen von Jan-Peter Abraham Die Gedichttrilogie „Der alte Garten“ erschien 1999 (2001 in zweiter Auflage). Ein tschechischer Verlag in Zlin bereitet eine zweisprachige Neuausgabe vor. Stanislav Struhar, geb. 1964 in Gottwaldov (die Stadt heifst seit 1990 wieder Zlin) in Südmähren. Der Vater ist Arbeiter in einer Schuhfabrik, die Mutter Beamtin; ihre Ehe scheitert. Nach dem Schulabschluss beginnt Struhar eine Schlosserlehre, ist dann Hilfskraft im Bereich der Sozialdienste. Struhar lebt in Protest gegen gespenstische Ruhigstellung des Lebens in der CSSR nach 1968; nach Selbstmordversuchen ist er wiederholt in psychiatrischer Behandlung. 1984 Heirat mit Yvona Navratilovd; 1985 Geburt des Sohnes Stanislav. Als seine Eltern 1988 über Jugoslawien in den Westen flüchten, kann der Sohn erst 1990 nachkommen. Und Österreich gewährt den Flüchtlingen erst nach einer Intervention der Österreichischen Gesellschaft für Menschenrechte und des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen Asyl — nicht aber dem Kind. 2002 erscheint Struhars erster Roman, „Das Manuskript“ in der Übersetzung von Andrej Leben im Drava Verlag. 2005 folgt ein zweiter Roman, „Eine Suche nach Glück“, den Struhar bereits auf Deutsch verfasst hat. Er lebt heute als freier Schriftsteller und Buchhändler in Wien. 1-2/2010 11