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Adolf Opel Besuch bei Martin Buber, 1959 Der Autor dieses Textes bereiste bereits Ende 1959 als junger Journalist den Nahen Osten und gelangte über Istanbul, Zypern, Beirut, Damaskus und Amman schließlich nach Tel-Aviv, wo nach wenigen Tagen eine sich offenbar auf der Reise zugezogene Typhus-Erkrankung zum Ausbruch kam und eine Weiterreise unmöglich machte. Sein Aufenthalt zog sich in die Länge und er konnte die Zeit nutzen, um Kontakte zu in Israel lebenden interessanten Persönlichkeiten herzustellen und über sie zu schreiben: Max Brod, der damals Dramaturg an der „Habimah“ war; Lia Rosen, die Reinhardt- und Burgtheaterschauspielerin, die 1916 in der Uraufführung des Stückes „Der Schrei, den niemand hört“ von Else Feldmann an der „Volksbühne“ in Wien die Hauptrolle verkör‚pert hatte; Marek Hlasko, der junge Rebell und „shooting star“ der polnischen literatur, der damals in Beer-sheba als Bauarbeiter lebte; oder der halbseitig gelähmte Leo Lipski, dem Ingeborg Bachmann ein paar Jahre später zur Veröffentlichung seines Romans „Piotrus“ in Deutschland verhalf... Vor allem aber die Begegnung mit Martin Buber, dem bedeutenden Humanisten, Sozialphilosophen, Religionswissenschafter und Bibelübersetzer, der in Jerusalem zurückgezogen lebte und alles andere als leicht zu kontaktieren war, hatte für den Besucher ereignishaften Charakter. Der nachfolgende Bericht wurde Anfang 1960 im „Morgenbladet“, Oslo, in norwegischer Übersetzung publiziert. Der Originaltext, für das „Neue Österreich“ in Wien bestimmt, ging auf dem Postweg offenbar verloren. Erst jetzt, nach einem halben Jahrhundert, ist eine Kopie davon in einem Stoß von Manuskripten wieder aufgetaucht. Er wird hier unverändert wiedergegeben. Aus heutiger Sicht würde zweifellos vieles ganz anders gesagt und formuliert werden. Zu meiner Überraschung hat mich Buber an einem Freitag, am späten Nachmittag, zu sich bestellt — also unmittelbar vor Beginn des Sabbath, dem in Israel strengstens eingehaltenen Feiertag. Die Straße nach Jerusalem ist entsprechend wenig befahren und die Hauptstadt selbst erscheint wie ausgestorben. Langsam, nach dem gesuchten Straßennamen spähend, fahren wir durch Talbieh, das feudale Villenviertel von Jerusalem, am Hause des israelischen Außenministers Golda Meir vorbei, und kommen schließlich zu einem kleinen einstöckigen, von einem schmalen Vorgarten umgebenen Haus Martin Bubers. Meine junge israelische Begleiterin drückt noch rasch ihre Anerkennung für meinen Mut aus, mich mit dem ‚großen alten Mann‘ in ein Gespräch einzulassen. Für sie ist Buber, wenigstens dem Namen nach, noch ein Begriff - zum Unterschied von vielen anderen jungen Israeli, die ohne innere Beziehungen zu ihrem geistigen und kulturellen Erbe aufwachsen. Im Ausland zwar wohlbekannt, lebt Martin Buber in Israel isoliert; erhatsich aus dem politischen Leben zurückgezogen und auch seine Lehrtätigkeit an der Hebräischen Universität — wegen Erreichen der Altersgrenze - zurückgelegt. Seine Bestrebungen einer weitgehenden Verständigung mit den Arabern sind unpopulär. Die Sekretärin öffnet mir — ich werfe einen raschen Blick in das karg eingerichtete Vorzimmer — und führt mich sofort und unförmlich in den Arbeitsraum. Die Tür geht auf und ich stehe Martin Buber gegenüber. Der Zweiundachtzigjährige sitzt an einem Schreibtisch, der über und über mit Manuskripten, Akten, Büchern, Zeitschriften und Briefen beladen ist. Bücher und Ma12 ZWISCHENWELT nuskripte wohin man blickt: hinter Glastüren in den Schränken, aus halbgeöffneten Laden hervorragend, auf einem kleinen Tisch und selbst auf den Stühlen gestapelt. An den Wänden hängen alte Stiche; in einem davon kann ich im Zwielicht des nur von der Schreibtischlampe erleuchteten Raumes eine beliebte Ansicht Roms erkennen. In der Unmittelbarkeit des ersten Eindrucks wirkt Buber bestürzend schlicht und gegenwärtig in seiner Schlichtheit, der Alltäglichkeit seines braunen Anzuges und der griffbereiten Hand am Telefon. Und doch: hätte man nie ein Bild von ihm gesehen und trafe man ihn unbezeichnet in einem Zimmer voll Leuten, man wüßte sofort: er ist es. Was macht die Würde und Einmaligkeit von Menschen wie Ghandi, Schweitzer und Martin Buber aus? Das Ticken der Wanduhr und die Notwendigkeit etwas zu sagen, wird mir plötzlich peinlich bewußt. Ich entschuldige mich für das ungebührlich lange Abmustern des Zimmers. „Sehen Sie sich nur um, dazu haben Sie Augen“, ist Bubers trockene Antwort, aus der ich weder Stolz noch Unfreundlichkeit erkennen kann. Wenn er etwas sagt, dann ist es die knappe Feststellung einer Tatsache. Der Philosoph spricht langsam, jedes seiner Worte ist abgewogen, kein Wort zuviel. Ich begreife, daß es diesmal nicht zu einem „interessanten“, mehr oder weniger unverbindlichen Gespräch mit einem Prominenten kommen wird. Das ist nicht der Mann, den man um ein Interview oder ein Autogramm bittet, der einer leichten Konversation zugänglich ist, die die anfängliche Fremdheit und Distanz brechen soll. Wie also beginnen? Um das Gespräch auf das wohl wichtigste Thema, auf Israel zu bringen, erwähne ich eine Stelle aus Bubers BRIEF AN GHANDI], in der er die Wiederkehr der Juden nach Palästina als durch die Bibel zwar angeregt, nicht aber durch ein Nachschlagen in der Bibel zu sanktionieren gesucht, verteidigt. Ich stelle mein Erstaunen darüber fest, daß sich Israel — trotz des vielzitierten Anspruches der Juden, das Land von Gott selbst erhalten und die Einsiedlung im Bewußtsein eine ‚Auftrages von oben‘ durchgeführt zu haben — wenig von den anderen modernen Staaten unterscheide. „Was hat Sie zu dieser falschen Annahme verleitet?“, fragt Buber. Ich habe erwartet, den Mystiker in ihm anzusprechen und bin auf den Politiker gestoßen. Als solcher steht er auf ganz realem Grund: Es geht um die nackte Existenz Israels, das ‚wie ein Pfahl im arabischen Fleisch‘ steckt. Fast jeden Tagereignen sich Grenzzwischenfälle und die von Israel geplante Ableitung des Jordan wäre für die arabischen Nachbarn Grund genug, den Waffenstillstand zu brechen. Wie ließe sich eine Verständigung erreichen? „Die Situation ist ganz einfach,“ setzt Buber fort. „Es ist kein Verhandlungspartner da, niemand, mit dem man sich an einem Tische setzen könnte.“ Er erzählt aus eigener Erfahrungeine Episode aus dem Kalten Krieg, die für die ausweglos erscheinende Lage bezeichnend ist: Ein einflußreicher, verhandlungswilliger Araber, der versucht hatte, mit Buber Kantakt aufzunehmen, wurde-nachdem seine Stammesgenossen davon erfahren hatten —- prompt ermordet. Ob es tatsächlich je zu Verhandlungen kommen werde, hänge wohl vom Willen der beiden Großmächte ab. „Die Entscheidung liegt also allein bei Amerika und Rußland?“ „Das habe ich nicht gesagt. Die Vereinigten Staaten und Rußland