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Ich bringe das Stichwort Psychologie: Buber drückt sein Mißtrauen gegen jede feste Lehre, jede psychologische Schule aus, die — wie etwas Freud oder Jung- alles Seelische aufein Grundprinzip beziehen und dadurch vereinfachen. Nicht zu interpretieren, das System, an das man glaubt, auf alles anzuwenden — sondern mit Demut an die Dinge heranzugehen, ist nach Bubers Ansicht der richtige Weg. Ein weiteres Stichwort: Die Aufgabe des Schriftstellers. doch Martin Buber will sich auf ein so weitläufiges Thema nicht mehr einlassen. Wir engen ein: Die Funktion des Dramatikers. „Nicht interpretieren, sondern demonstrieren“ soll der Stückeschreiber die Charaktere seines Dramas. Für Buber hört das Drama mit Hauptmann und Hofmannsthal auf. „Das Stück ist die schwierigste literarische Form, mit Ausnahme vielleicht eines guten Gedichtes.“ Ererzählt von den Schwierigkeiten seines Freundes Hofmannsthal beim Schreiben der drei Fassungen des „Turm“ und macht mich auf einen einschlägigen Artikel in einer deutschen Literaturzeitschrift aufmerksam. Wie sehr ist Martin Buber doch dem deutschen Kulturkreis verbunden, wie sehr scheint er die deutsche Sprache, die sich aus seinem Mund in selten gehörter Vielfalt und Klarheit ausnimmt, zu lieben! Ich habe eine letzte Frage, die ich bisher nicht zu stellen gewagt habe: „Wie erklären Sie sich das Phänomen Hitler?“ Buber wirft mir einen raschen Blick zu; sein bärtiges, von Falten durchzogenes Antlitz verhärtet sich für einen Augenblick- und entspannt sich wieder. „Das möchte ich selber wissen... Der Deutsche ist einsam geboren, abgeschlossen, nicht fähig zu einem richtigen Sozialkontakt. Wenn einmal jemand kommt, der ihn aus seiner Isoliertheit befreit, dann hält er ihn für gottgesandt.“ Buber spricht von Hitlers Charisma, das ihn zum Führer eines ganzen Volkes begnadet erscheinen ließ. „Das Wort ist falsch, denn Charisma heißt Gnade und Hitler war der gnadenlose Mensche an sich.“ Richard Wall Es ist dunkel geworden und in den Synagogen und Häusern Jerusalems wird der Sabbath gefeiert. Es ist Zeit zu gehen und ich verabschiede mich. In meiner Hand habe ich die ganze Zeit ein Buch von Martin Buber gehalten, das zu signieren ich ihn bitten soll. Ich erinnere mich meines nun nicht mehr aufschiebbaren Auftrags und halte ihm das Buch hin. Fast unwillig nimmt er esan sich und bemerkt, daß er im allgemeinen keine ‚Autogramme‘ gebe. Doch dann schreibt er in großer, steiler Handschrift seinen Namen an den unteren Rand der ersten Seite. Ich kann nicht erkennen, was Buber bewogen hat, diese Ausnahme zu machen: auch nicht, wie er meinen Besuch und meine Fragen aufgenommen hat. Seine Haltung drückt weder ein besonderes Entgegenkommen, noch Unzugänglichkeit aus —- sondern das Zugeständnis, daß wer fragt auch Antwort erhalten soll. Ebenso unförmlich, wie ich gekommen bin, führt mich die Sekretärin Martin Bubers zur Tür, hinter der die Nacht und die vielen ungelösten Fragen warten, die die zweigeteilte Stadt umschließen. Tel-Aviv, 18.12.1959 Adolf Opel, geb. 1935 in Wien, studierte 1953-59 an der Universität Wien und der State University of Iowa (USA) Psychologie, Literatur- und Theaterwissenschaft sowie Film. Arbeit als Dramatiker, Dokumentarfilmer, Journalist und kulturpublizistischer Sachbuchautor. Verfasser von Drehbüchern, Musicals, Herausgeber der Schriften von Adolf Loos und Lina Loos, der Romane von Else Feldmann, sowie der autobiographischen Erinnerungen von Elsie Altmann-Loos und Claire Loos. Mitte der 1960er in Verbindung mit Ingeborg Bachmann. Veröffentlichte zuletzt u.a. als Gedenkbuch für E. Feldmann deren „Arbeiten für das Theater“ (Berlin 2007), „Gesammelte Schriften“ von Lina Loos (Wien, Klosterneuburg 2003) und „“Wo mir das Lachen zurückgekommen ist...‘ Auf Reisen mit Ingeborg Bachmann“ (München 2001). — Schrieb in ZW u.a. über seinen Freund Viktor Matejka. Nein, es geht nicht nur um Arigona Zogaj und all die anderen, schon Abgeschobenen oder demnächst bescheidgemäß Abzuschiebenden. Der Umgang mit ihnen ist das Symptom einer politischen Veränderung, hin zu Intoleranz und hin zu einer Sündenbockstrategie, die von bestimmten politischen Kreisen forciert wird, um abzulenken von der Schmierenkomödie der Mächtigen, die es sich richten und richten lassen, mit oder ohne Verträge. Es geht aber auch, wie immer in solchen historischen Situationen, um den Missbrauch von Sprache, um die sukzessive, böswillige Aushöhlung ursprünglich positiv besetzter Begriffe und um die mittlerweile negative Konnotation in Wörtern wie Asyl und Asylwerber. „Asylant“ ist das Schimpfwort geworden im Munde nicht nur rechtsradikaler Rattenfänger, die als Parlamentarier der Republik Österreich auftreten, sondern wird auch von allzuvielen Medien in diesem Sinn übernommen. Um den Begriff wieder reinzuwaschen zurück zu den Wurzeln: Das Wort „Asyl“ — aber auch dessen humanistisch konnotierte Semantik — kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet „unverletzlich“. Die im Diskurs üblich gewordene Kurzbezeichnung „Asylant“ verheißt nichts Gutes. Die Silbe „-ant“ wirkt in diesem Kontext als ein auf Geringschätzung zielendes Anhängsel und setzt somit den Schutz14 ZWISCHENWELT suchenden in eine Reihe mit Simulant, Ignorant oder Disputant. Eines Tages wurde Konfuzius gefragt, was er zu allererst täte, wenn man ihm die Verwaltung eines Landes übertrüge. Konfuzius antwortete: „Ich würde den Sprachgebrauch verbessern.“ „Wie das?“, riefen da seine erstaunten Schüler, „das hat doch nichts mit den wirklich wichtigen Dingen zu tun!“ Da sagte der Meister: „Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das, was gesagt ist, nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte ist, dann gedeihen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben die Sitten und die Künste.“ Eine aufgeklärte Demokratie baut, so wie jede Ordnung, auf Diskurs und damit auf Sprache, und wenn diese verludert, verludert auch die Demokratie und damit die Gesellschaft. Sprache schafft - über kurz oder lang — Realität. Die Verbrechen des Nationalsozialismus wurden in Hitlers Schrift „Mein Kampf“ (Tiefpunkt der deutschen Sprache) und in seinen Reden sowie in jenen führender Mitstreiter vorbereitet, javorweggenommen. Die unreflektierte Phrase dominiert das politische Geschäft, aus dem xenophobisch Kleingeld geschlagen wird, in der Massen manipulierenden Boulevardpresse, die längst mit Schlagwörtern auskommt, um die Welt zu erklären, genauso,