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um AutorInnen wie Siegfried Kracauer, Ludwig Derleth oder Ernst Lissauer und natürlich auch um Margarete Susman, die er in Zürich besucht. In dieser Zeit steht er auch in regem Briefwechsel mit Rose Ausländer, Erika Mitterer, Theodor W. Adorno. Es gilt „[...] zu guter Letzt: Alle Aufmerksamkeit dem zuwenden, was sich dem Blick entzieht.“! 1967 gibt er Dem Andenken an Karl Kraus von Paul Engelmann, der eben verstorben ist, heraus. 1968 kehrt Elazar Benyoétz nach Israel zurück und schreibt und publiziert seit 1969 nicht nur in Ivrit, sondern nun auch und vorwiegend auf Deutsch. Die deutsche Sprache, geschmeidig und beugungsfreudig wie sie ist, versprach mir mehr Vorteile, als ich wahrzunehmen vermochte [...] Im Deutschen konnte ich mich, so jung ich noch war, als alter Jude fühlen und den alten jüdischen Weg zurücklegen [...] Wie käme ich sonst überallhin, wo es ein Erbe zu heben, eine Träne zu sammeln noch gab." Auf den Einwand, dass Deutsch doch die Sprache der Mörder sei, antwortet er: Sprache ist ein Vermögen, kein Besitz. Wer sich gehört, kann sich widersprechen. Die Mörder hörten und gehörten sich nicht; sie hatten keine Sprache und haben keinen Mund." 1968 heiratet er die bildende Künstlerin Metavel. Metavel wurde als Rende Guez im algerischen Souk-Ahras (damals Departement Constantine) geboren und wanderte 1956 nach Israel aus. Von 1966 bis 1979 arbeitet sie als Französischlehrerin und in der Kulturabteilung der französischen Botschaft in Tel Aviv, um sich dann ab 1980 ganz ihrer künstlerischen Arbeit zu widmen. Sie ist seitdem eine weit über Israel hinaus bekannte Illustratorin biblischer und religiöser Texte geworden, mit Ausstellungen in Frankreich, Deutschland, Österreich und der Schweiz. 1969 wird der Sohn Muli Koppel geboren. Dieser studiert an der 7&/ Aviv University französische Literatur, Psychologie und Philosophie und gründet nebenbei ein ITUnternehmen. Auf seinem Web-Blog (http://mulikoppel. blogspot. com) kann man nachlesen, wie er sich mit seinem Vater über Bücher unterhält, der da sagt: I find it much more fascinating to write about a book that I have never read than about a book that I have read. Und man bekommt einen Eindruck davon, wie Elazar Benyoétz lebt: Benyoétz‘s library consists of thousands and thousands of books that are practically everywhere: walls, floor, closets, boxes, jackets‘ pockets... He lives with his books not only physically, but also emotionally: he can vividly depict any possible detail about any of them — the content, of course, but also any related element of meta-data — the cover, the smell, the touch; the author; the time; the space. In den folgenden Jahren verdffentlicht Elazar Benyoétz neben Gedichten 30 Aphorismenbände, allesamt auf Deutsch geschrieben. Für seine Aphorismen wird er im deutschsprachigen Raum berühmt und erhält Preise und Ehrungen. Ab den 1990er Jahren publiziert er auch seine Briefwechsel, die er als eigene literarische Gattung versteht. Kennen wird man ihn als Aphoristiker, der gerne in die Tradition von Karl Kraus gestellt wird. „Doch war Aphoristik schon immer die Form der Zukunft: nuklear [...]“'? Er rührt mit seinen Wortspielen, Wortsplittern — Splitter, die erst im Satz Sinn ergeben - an den Nerv der Zeit, schreibt dorthin hinaus, wo sich viele Menschen am Ende sehen. Auch wenn sie selber keine 20 ZWISCHENWELT Aphorismen schreiben, gilt für sie: „Der Aphorostiker beginnt an dem Punkt, wo er mit seiner Weisheit am Ende ist. Er ist kein 14 Weiser mehr und selbst als Bahnbrecher kein Wegweiser.“ Es folgen weitere Ehrungen, ganz im Zeichen des ersten Aphorismus überhaupt, der von Hippokrates stammen soll und lautet: „Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang.“ Elazar Benyoetz erhält 1997 den deutschen Bundesverdienstorden, 2003 wird er korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, 2004 bekommt er gemeinsam mit Robert Menasse den Joseph-Breitbach-Preis der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz und 2009 das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse etc... Schließlich wird Elazar Benyo&tz 2010 mit dem Theodor Kramer Preis fiir Schreiben im Widerstand und im Exil der Theodor Kramer Gesellschaft ausgezeichnet. ,,“Exil‘ ist Tagungsthema geworden [...] Uns aber [...] ist Exil kein Tagungsthema, sondern die Erinnerung an die langste Nacht eines mit Gott geschlagenen Volkes.“!? Und diesen Preis bekommt er wohl, weil er sich Jahrzehnte hindurch bahnbrechend und wegweisend, neben seiner eigenen Dichtung, um das Erinnern bemiiht hat, um das Erinnern an eine ermordete, die jüdisch-deutsche Welt, von der vor allem die Namen der AutorInnen und ihre Werke geblieben sind. Er hat sie aus dem Vergessen wieder ausgegraben und hat in ihrer Sprache, in ihrer Tradition schließlich selbst weitergeschrieben. Alexander Emanuely, geb. 1973, studierte Politik- und Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Doktorand an der Universität für Angewandte Kunst, Wien. Mitarbeiter der Theodor Kramer Gesellschaft und neues Redaktionsmitglied ZW. 2006-09 wissenschaftlicher Mitarbeiter von ESRA — psychosoziale Ambulanz für Überlebende der NS-Verfolgung. 2001 Gründer der österreichischen Sektion der LICRA. 1999-2005 geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift Context XXI. 2010 erschien in der Bibliothek der Provinz sein Buch: Ausgang: Franz Hebenstreit (1747 — 1795). Schattenrisse der Wiener Demokrat*innen 1794. Anmerkungen 1 Elazar Benyoétz: Allerwegsdahin. Mein Weg als Jude und Israeli ins Deutsche. Zürich, Hamburg 2001, 50. 2 (SWR2). 3 Wie Anm. 1, 95. 4 E. Benyoötz. VIELZEITIG. Briefe 1958-2007. Bochum 2009, 299. 5 Ebenda. 6 Wie Anm. 1, 24. 7 Emily Miller Budick (Ed.): Ideology and Jewish identity in Israeli and American literature. New York 2001, 255. 8 Wie Anm. 1, 52f. 9 Ebenda, 63. 10 Ebenda, 23. 11 Ebenda, 35. 12 Ebenda, 129. 13 Ebenda, 43. 14 Ebenda, 32. 15 Ebenda, 99. Herangezogen wurden auch: Muli Koppel: Books Are Not, Necessarily, Meant to Be Read. http://mulikoppel. blogspot. com/2006_09_01_archive.html (25.4. 2010) Eva Christina Zeller, Hans Michael Ehl: Alle Siege werden davon getragen. Der israelische Dichter und deutsche Aphoristiker Elazar Benyoetz. (Glaubensfragen — Manuskript). Sendung: Sonntag, 29. Juli 2001, 12.0512.30, SWR2. http://db.swr. de/upload/manuskriptdienst/glaubensfragen/gl010729.ref (25.4.2010)