OCR
Gerhard Jaschke Im Namen der Grazer AutorInnenversammlung (GAV) und vor allem in meinem eigenen freut es mich ganz besonders, daß heute bereits zum 10. Mal der Theodor Kramer Preis verliehen werden kann, ist doch dieser Preis einem der wesentlichsten Autoren dieses Landes — und gewiß nicht nur dieses — verpflichtet —, und die bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger stehen mit ihren Werken dem keineswegs nach, sind Kramers CEuvre würdevoll verbunden. Und wie bin ich persönlich mit Theodor Kramer in Kontakt gekommen? In bester Erinnerung habe ich die bei Hanser erschienene Gedichtesammlung „Orgel aus Staub“ in der Reihe „Die wiederentdeckten Dichter“, in der ich unter anderen auch Jakob Haringer, Max Hermann Neisse und Wilhelm Klemm begegnete. Theodor Kramer zudem in der von Erwin Chvojka im Europaverlag besorgten Auswahl „Der Braten resch, der Rotwein herb“. Und ganz und gar Persönlichstes verbindet mich darüber hinaus mit Kramer. Er starb in einem Alter in dem ich mich gerade befinde, nach einem Schlaganfall, den auch ich vor über einem Jahr zu erleiden hatte. Doch dies ist gewiß nebensächlich gemessen an seinem Schicksal und der unvorstellbaren Schaffenskraft, die Gedichte von rarer Bedeutung entstehen ließ. Einer, der die Gedichte Kramers möglicherweise noch viel mehr zu schätzen wußte als viele andere und auch ich war mein vor zwei Jahren verstorbener Freund und Kollege Werner Herbst, der es wie niemand anderer verstand, Kramers Gedichte zu lesen, besser gesagt: zu leben. Oft war ich Ohrenzeuge solcher Ereignisse, die tiefe Wunden hinterließen. Gesundheitlich schon ziemlich angegriffen, preßte er gleichsam mit letzter noch verbliebener Kraft Gedichtzeilen Kramers aus sich, wie etwa die aus „Wer läutet draußen an der Tür?“ Und an noch einen lieben Freund und Kollegen sei an dieser Stelle im Zusammenhang mit Theodor Kramer erinnert, an den großen Poeta Gerhard Kofler, meinem Vorgänger in der Funktion als Generalsekretär der GAV, der von Beginn an der Theodor Kramer Gesellschaft und dem von ihr vergebenen Preis freundschaftlich verbunden war und dem auch die geradezu kongeniale Kooperation mit dem Unabhängigen Literaturhaus Niederösterreich (ULNOE) zu verdanken ist. Daß die GAV an dem Preis von Anfang an großes Interesse hatte, erklärt sich daraus, daß sie selbst einen solchen ins Leben rufen wollte. Einen Preis, der andere Kulturen miteinschließt, über die doch recht engen Grenzen zu blicken imstande ist, Entdeckungen zuläßt, von der peinlichen Nabelbeschau wegrückt. Doch zurück zum Namenspatron dieses Preises. In seinem jüngst erschienenen Aufsatz „Über Geschmack läßt sich streiten, über Gedichte auch. Und doch sind Gedichte am allerwenigsten Geschmackssache“ legte Christoph Buchwald gegen Ende auch dies fest: „In und mit Gedichten können wir Erfahrungen machen, die möglicherweise in unseren Biographien so nicht vorkommen. Gedichte sind unser Gedächtnis von Zeit; in ihnen sind Zeit und Epoche, Gegenwart und Jahrhundert aufgehoben. Ohne die Ge dichte Bachmanns, Brodskys oder Brechts (um willkürlich drei Herrschaften mit B zu nennen) wüßten wir bedeutend weniger von unseren Furien, Ängsten, Schrecknissen und Lüsten, und noch viel weniger von denen des 20. Jahrhunderts.“ Trifft dies, frage ich mich, nicht ganz besonders auf die Gedichte Kramers zu? Sind doch in diesen wie kaum in anderen so vehement nicht bloß jeweilige Gegenwart und jeweiliges Jahrhundert aufgehoben. Was Kramer in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts dichtete, hat gewiß auch heute Bestand, und wer möchte ihn diesen in den nächsten Jahrzehnten absprechen? Somit: Lang lebe Theodor Kramer durch seine Gedichte, lang lebe die Theodor Kramer Gesellschaft, der von ihr verliehene Preis! Ich danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit! Gerhard Jaschke, geb. 1949 in Wien, Mitbegründer und Herausgeber der Edition und Zeitschrift „Freibord“, veröffentlichte zuletzt u.a. die Bände „Weltbude“ (2009) und „Mit 300 auf der Überholspur und noch schnellere Nummern“ (2008). Gemeinsam mit Christine Huber ist er Generalsekretär der GAV. 1-2/2010 21