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In Mont Louis war es sehr schwer; die Franzosen haben uns dort ausgehungert. [...] Wir haben am Tag 200 g Brot bekommen. [...] Wir haben uns selbst eine Waage gemacht aus Karton mit einem Schnürl, da haben wir das abgewogen, damit ja keiner um ein Gramm weniger kriegt als der andere. Sogar die Brösel vom Schneiden sind zusammengesammelt worden, und jeden Tag hat das ein anderer zugeteilt bekommen. Wir sind meistens gelegen, um keine Kalorien zu verbrauchen. Mittags hat es nur eine Suppe gegeben, da ist irgend so ein Gemüse drinnen geschwommen, also unheimlich wenig. Wie ich nach Dachau gekommen bin, habe ich £9 kg gehabt. 48 kg habe ich gehabt, wie ich aus Mauthausen heimgekommen bin.” Von ähnlichen Zuständen berichtet der Spanier Lorenzo Chavarria aus dem Lager Saint-Cyprien, in das er Anfang Februar 1939 kam: Wir hatten seit Tagen nichts gegessen, und bis zum dritten Tag |der Internierung] bekamen wir auch nichts: Ein Brot für 25 Personen! Wir hatten keine Decken und mussten am Boden und unter freiem Himmel schlafen. In diesen schrecklichen Tagen kamen in einem fort Bahren an uns vorbei, auf denen die Kranken und Toten weggetragen wurden. Malaria und Ruhr hatten verheerende Folgen für uns, wir wurden von der Räude geplagt, und man konnte nichts dagegen tun.” Im Lager Saint-Cyprien starben in dieser Zeit täglich zwischen 50 und 100 Personen?! aus Erschöpfung nach der Flucht, aufgrund mangelhafter Ernährung oder der hygienischen Zustände. Die Gefangenen mussten in selbstgegrabenen Löchern schlafen und hatten auch bei Regen oder Schnee kein Dach über dem Kopf. Vier Monate später, am 2. Juni 1939, als die französische Regierung die Situation einigermaßen im Griff hatte, sandten Gefangene des Lagers Gurs einen Brief an die Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten, der eine der wohl eindrücklichsten Beschreibungen der Zustände enthält: Unser Camp ist hundert Meter lang und hundert Meter breit. 25 Baracken hat man da aufgebaut, auferdem eine Küche und eine Baracke für Kranke. Dieser Raum ist bewohnt von 1200 Deutschen und Osterreichern. In jeder Baracke wohnen dreifiig Mann. |...] Morgens um sieben Uhr gibt es Brot und Kaffee. Vier Mann ein Brot. Das Brot wird natürlich gleich aufgegessen; mittags gibt es Reis oder Karwansen?, abends dasselbe, manchmal mit ein wenig Fleisch gekocht, aber auch mit Stockfisch. Es bekommt aber niemand so viel, dass er sich sattessen kann. Außerdem regnet es alle Tage. Will man aus der Hütte hinaus, so versinkt man bis an die Knöchel im Morast. Also bleibt unser Leben ganz auf die Baracken beschränkt.” Trotz der üblen Zustände gab es kaum Selbstmorde in den Lagern. Eines der Mittel gegen die Depression war die Kulturarbeit. In Gurs gründeten die österreichischen Interbrigadisten eine Lagerzeitung, die Lagerstimme K. Z. Gurs - von der mehr als hundert Nummern erschienen, und die Volkshochschule Gurs, in der nach einem genau festgelegten Stundenplan die unterschiedlichsten Fächer unterrichtet wurden, von Deutsch, Spanisch und Geschichte bis zu Physik, Mathematik und Stenographie. Die Lehrer mussten selbstredend ohne Bücher und Schreibmaterial auskommen. Als Dank für die materielle Unterstützung durch österreichischen Hausgehilfinnen, die 1938 nach England emigriert waren und „die Patenschaft über die Manner von Baracke 17 übernommen hatten“, fertigten einige Spanienkämpfer das Album Gurs an, in dem sie den unbekannten Helferinnen ihre Erlebnisse im Spanischen Biirgerkrieg in Bildern und Worten erzählten. Unter widrigsten Umständen entstanden mit einfachsten Mitteln hergestellt, gibt das Album Auskunft über die Lebensumstände der österreichischen Spanienkämpfer in Gurs, die, dem Lagerinsassen Leopold Spira zufolge, „zu jener Zeit wahrscheinlich die kompakteste österreichische Gemeinschaft“ bildeten, die je existiert hatte. Texte über die Lager und der karge Widerhall in der Literatur Literarisch haben die Lager kaum Spuren hinterlassen, weder in der spanischen noch in der österreichischen, deutschen oder internationalen Literatur. Meist sind sie ein Nebenthema in Autobiographien oder Memoiren über das Exil, das den Autoren auf ihrem langen Weg in die Freiheit kein eigenes Werk wert war. Ein Teil von Arthur Koestler autobiographischem Text Abschaum der Menschheit berichtet über Le Vernet, Fred Wander umreißt seinen Aufenthalt in Meslay-du-Marne kurz in seinem Roman Hotel Baalbek und in seiner Autobiographie Das gute Leben.” In der spanischen Literatur hat wohl Max Aub das beeindruckendste Zeugnis abgelegt. Neben zahlreichen Gedichten und kurzen Erzählungen” sowie dem Theaterstiick Morir por cerrar los ojos (,,Sterben, um die Augen zu schließen“, 1944) hat er in den beiden Prosatexten Campo francés und Manuscrito cuervo („Rabenmanuskript“, 1955) ein breites Panorama des Lagerlebens gezeichnet. Das Manuscrito cuervo”® ist der Versuch, die Erfahrung des Lagers von Le Vernet durch den Blick eines Raben wiederzugeben”, eine fragmentarische Erzählung voll von Ironie und bitterem Sarkasmus, der Versuch einer Selbstdistanzierung, um so über die Realität des historischen Moments nachdenken zu können. Campo frances, der sechste und letzte Teil von Max Aubs „Hexalogie“ Das magische Labyrinth, schildert ausführlich und aus unterschiedlichsten Perspektiven die Irrwege des internationalen Exils in Frankreich. Aub beschreibt die Situation verschiedener Menschen in Frankreich in den Jahren 1939 und 1940: die Festnahme durch die französischen Behörden, die Einlieferung ins Stadion Roland Garros, die Uberstellung nach Le Vernet und das elende, ungewisse Leben im Lager. Für diese Darstellung wählte der Autor eine Form, die eher einem Drehbuch denn einem Roman gleicht und vor allem aus Dialogen besteht, die nur kurz durch Ortsangaben und eine Art von epischen Regieanweisungen unterbrochen werden. Aub schrieb Campo francés 1942 auf der Schiffsreise von Casablanca ins mexikanische Exil’, das Buch erschien aber erst, mehr als 20 Jahre später, 1965 im Pariser Exilverlag Ruedo Iberico, ausführlich bebildert mit zeitgenössischen Fotos. Vier Jahre nach Campo frances erschien, ebenso in Frankreich, eines der ersten Bücher über das Exil der Spanier in diesem Land heraus: El éxodo. Pasién y muerte de espanoles en el exilio („Der Exodus. Leiden und Tod der Spanier im Exil“, 1969), verfasst von der anarchistischen Politikerin Federica Montseny. Es ist das erste Buch, das versucht, das Exil aus einer Perspektive von unten darzustellen; in ihm zahlreiche Exilanten zu Wort, um über ihre Erfahrungen zu berichten. kommen 1-2/2010 25