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EXIL IN JUGOSLAWIEN Einleitung Der Zwischenwelt-Schwerpunkt „Exil in Jugoslawien“, der sich über zwei Nummer erstrecken wird, berührt die enge historische Verbundenheit Österreichs mit dem jugoslawischen Raum, dessen wechselvolle Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert auch durch höchst unterschiedlich motivierte Migrationsströme geprägt war. Ein diese Beziehung wesentlich bestimmender Faktor war die Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg, die die Republik Österreich nach dem Zerfall der Monarchie vom SHS-Staat, dem Staat der Serben, Kroaten und Slowenen, trennte. Schon im Anschluss an die Kärntner Volkabstimmung im Oktober 1920, deren Resultat der Verbleib Südkärntens bei Österreich war, kam es mit dem Exodus und der Vertreibung der slowenischen Intelligenz aus dem autochthonen slowenischen Sprachgebiet zu einer politisch motivierten Emigration, die tief greifende und langfristige Folgen für die slowenische Volksgruppe in Kärnten hatte. Traditionelle Verbindungen, die einen kulturellen Austausch der österreichischen Slowenen mit dem Mutterland und später auch die Organisation eines gemeinsamen Widerstands ermöglichten, blieben aber aufrecht, so dass von Exil im eigentlichen Sinn nicht gesprochen werden kann. Die Auswanderung von Österreichern nach Jugoslawien nach der Kärntner Volksabstimmung 1920 ist Thema des gleichnamigen Beitrags von Janez Stergar und Danijel Grafenauer. Der Beitrag von JoZe Pirjevec informiert über die Grundzüge der jugoslawischen Politik in der Zeitspanne zwischen der Verwandlung des SHS-Staates in ein autoritäres Staatsgebilde 1929 und der Okkupation Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht 1941. Vor dem Hintergrund der großen inneren Spannungen, die die Politik des alten Jugoslawiens prägten, zeigt er die wesentlichen Entwicklungen auf, die das Verhalten gegenüber der aggressiven Politik Italiens und des nationalsozialistischen Deutschlands sowie gegenüber den aus verschiedenen Gründen nach Jugoslawien gelangten Flüchtlingen prägten. So suchten und fanden nach dem gescheiterten Juliputsch 1934 mehr als 2.000 illegale österreichische Nationalsozialsten Zuflucht in Jugoslawien. Von diesen, vom jugoslawischen Staat entgegenkommend behandelten Flüchtlingen, den Kanälen, über die sie Aufnahme und Betreuung fanden, handelt der Beitrag von Dusan Necak. Einigen (zunächst vor allem reichsdeutschen Putschisten) wurde die Reise nach Deutschland ermöglicht, während noch bis mindestens 1936 illegale Nationalsozialisten aus Österreich mit ihren Familienangehörigen in Jugoslawien eintrafen. Auf der anderen Seite war Jugoslawien seit dem österreichischen Bürgerkrieg eine wichtige Anlaufstation für aus Österreich geflohene linke, aber auch monarchistische Regimegegner, die hier auch Strukturen unterhielten, von denen aus nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland der Widerstand gegen die Nationalsozialisten organsiert werden sollte. Heimo Halbrainer befasst sich mit Maribor und Zagreb als Orten des politischen Exils und als einer Drehscheibe des österreichischen Widerstands in der Zeit vom Februar 1934 bis zum Juli 1941, als es angesichts der Dezimierung des kommunistischen Widerstands in der Steiermark zur erzwungenen Aufgabe des Stützpunktes der österreichischen Kommunisten in Zagreb gekommen ist. 28 — ZWISCHENWELT Schon in den frühen 1930er Jahren emigrierten Jüdinnen und Juden sowie politische Flüchtlinge aus Deutschland nach Jugoslawien. Mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland wurde Jugoslawien auch zum Exilland für österreichische Dissidenten und vor allem jüdische Flüchtlinge. Nicht wenige Intellektuelle unterstützten den jugoslawischen Widerstand, viele von ihnen setzten sich 1943 ins befreite Italien ab. Jugoslawien war aber auch Transitland für Juden, die aus dem Deutschen Reich geflohen waren und hofften, über Jugoslawien in andere Länder, vor allem auch nach Palästina, zu gelangen. Ein tragisches Beispiel ist der so genannte Kladovo-Iransport: Eine Gruppe von weit über tausend Flüchtlingen, die ihre Reise größtenteils auf Donauschiffen angetreten hatten, strandeten in Jugoslawien und wurden hier wieder von den Deutschen eingeholt. Die meisten Mitglieder des „Kladovo-Transportes“ wurden in der Folge Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Heimo Gruber zeichnet in seinem Beitrag das Schicksal der aus Mürzzuschlag stammenden, heute in Jerusalem lebenden Herta Reich (geborene Eisler) nach, die zu den Überlebenden des Kladovo-Transportes zählt. Die Betreuung der jüdischen Flüchtlinge bürdete der jugoslawische Staat im Wesentlichen den einheimischen jüdischen Gemeinden auf, die ein gut organisiertes Netz von Hilfsstrukturen aufbauten. Aleksandar Klein, Zentralsekretar der Fliichtlingshilfsorganisation mit Sitz in Zagreb hat nach seiner eigenen Flucht in die Schweiz die Ereignisse in seinem Erinnerungsbericht „Zehn Jahre Flüchtlingshilfswerk in Jugoslawien (1933 — 1942)“ eindringlich beschrieben. Der Bericht wird in einer von Gabriele Anderl gekürzten und leicht redigierten Fassung in ZW zugänglich gemacht. In seinem Artikel „Als Emigrant in Futog“ schildert Alfred Missong die Flucht seiner monarchistisch gesinnten Familie aus Österreich in ein Landstädtchen in der Vojvodina. Er berührt dabei auch das Verhalten der volksdeutschen Bewohner der Region nach dem deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941. Der den ersten Teil des Schwerpunkts „Exil in Jugoslawien“ abschließende Beitrag von Walter Manoschek thematisiert den Genozid an der jüdischen Bevölkerung Jugoslawiens, zu der auch die zu diesem Zeitpunkt noch im Land befindlichen jüdischen Flüchtlinge zu rechnen sind. Er geht dabei auch auf die besondere Rolle ein, die Österreicher - auch im Rahmen der Wehrmacht — beim Massenmord an diesen Menschen gespielt haben. Teil zwei des Schwerpunkts „Exil in Jugoslawien“ soll im Herbst 2010 erscheinen. Er wird in Beiträgen von Gabriele Anderl, Wladimir Fischer, Heimo Halbrainer, Erwin Köstler, Andrej Leben, Marjan Linassi, AvguStin Malle und Bertrand Perz den Bogen von der jüdischen Emigration über die vom Krieg in Jugoslawien handelnde österreichische Exilliteratur, von der Teilnahme von Österreichern am bewaffneten Widerstand in Jugoslawien, über die jugoslawische Emigration in Österreich und ihre Literatur, von den aus Jugoslawien stammenden Zwangsarbeitern in Österreich bis hin zu Aspekten der Migration aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien nach Österreich in den 1960er und 1970er Jahren spannen und so das Ihema auch auf die mittelbaren Auswirkungen der Kriegsgeschehnisse auf die Nachfolgegenerationen ausweiten.