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Einige Themen, die eine gesonderte Behandlung erfordert hätten, etwa die Situation der jugoslawischen Roma angesichts des Holocausts oder die Situation und das Verhalten der so genannten Volksdeutschen in Jugoslawien, aber auch der Aspekt der Fluchthilfe, etwa die Aktivitäten des steirischen Schleppers Josef Schleich, einer bis heute höchst umstrittenen Persönlichkeit, werden in den genannten Beiträgen zumindest gestreift. Nicht zuletzt aus Platzgründen unterblieb eine eingehendere Auseinandersetzung mit diesen Ihemen in unseren Jugoslawien-Schwerpunkt-Heften, was allerdings auch den Anstoß zu einer weiteren, noch detaillierteren Janez Stergar, Danijel Grafenauer und tiefer gehenden Befassung damit im Rahmen eines Sammelbandes geben könnte. Für die Mitarbeit am ZW-Schwerpunkt Jugoslawien konnten renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Österreich und Slowenien gewonnen werden. An dieser Stelle sei ihnen wie den übrigen Autorinnen und Autoren, auch vorausschauend für Teil zwei, für ihre Mitarbeit und Geduld noch einmal ausdrücklich gedankt. Gabriele Anderl, Erwin Köstler Den Hauptgrund für das Sinken der Zahl der Kärntner Slowenen vor und besonders nach dem Ersten Weltkrieg suchen die Historiker nicht in der Auswanderung aus dem autochthonen Siedlungsgebiet, sondern in den verschiedenen Formen der Germanisierung. Im Unterschied zu den anderen habsburgischen Ländern mit slowenischer Bevölkerung hatte die Auswanderung von Kärntner Slowenen nach Übersee keinen dramatischen Umfang. Wie Vlado Valencié in einem Überblicksaufsatz über die Migrationen innerhalb Österreich-Ungarns feststellt, nahm um die Wende zum 20. Jahrhundert die ständige oder zeitweilige Auswanderung aus dem slowenischen Teil Kärntens vor allem in den nördlichen (deutschen) Teil Kärntens und der Steiermark, nach Niederösterreich mit Wien, in die Alpenländer und auch in die ungarischen Länder zu. 1900 lebten 29.135 Südkärntner (großteils slowenischer Herkunft) in anderen österreichischen Ländern und weitere 13.836 im nördlichen Teil Kärntens — von wo eine ähnlich große Zahl von Menschen sich im südlichen Landesteil niederließ.! Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Entstehung des SHS-Staates 1918 kam es zu beträchtlichen politisch und ökonomisch bedingten Migrationen, als die Beamtenschaft, das Heer und ein Teil der wirtschaftlich aktiven (vor allem deutschsprachigen) Bevölkerung den neuen jugoslawischen Staat verließ, beziehungsweise auf das Gebiet der Republik Deutschösterreich zurückkehrte, während aus den österreichischen Verwaltungs-, Universitäts- und Industriezentren gleichermaßen viele Menschen in die südslawischen Länder zurückkehrten. Die Auswanderung aus dem slowenischen Gebiet in die österreichischen Länder kam zum Stillstand, dafür öffnete sich der Weg in Richtung Südosten. An verschiedenen Orten Jugoslawiens kam es auch zu Ansiedlungen aus dem ethnisch slowenischen Gebiet, das außerhalb der jugoslawischen Grenzen blieb, zumeist aus dem slowenischen Küstenland (damals Italien). Valen£i& stellt nach der Volkszählung 1931 fest, dass es in Jugoslawien 29.521 in Österreich geborene Personen gab, von diesen lebten 16.736 im slowenischen Draubanat, 6.350 im kroatischen Savebanat. Es gibt keine genauen Daten darüber, ein wie großer Anteil der in Österreich Geborenen der Sprache beziehungsweise der nationalen Zugehörigkeit nach Slowenen war.’ Praktisch ebenso unmöglich ist es, die genaue Zahl aller Slowenen zu eruieren, die vor und nach dem Plebiszit vom 10. Oktober Dr. Angela Piskernik (1886 - 1967), geb. in Lobnig/Lobnik bei Eisenkappel/Zelezna kapla, emigrierte nach Jugoslawien. Erste slowenische Doktorin der Naturwissenschaften, Botanikerin und Naturschützerin. - Foto: Arhiv Kluba koroSkih Slovencev v Ljubljani (Arhiv KKS) [= Archiv des Klubs der Kärntner Slowenen in Ljubljana] 1920 Kärnten verließen. Als Arbeitsmigranten kamen schon vor 1914 Kärntner slowenische Eisenbahn-, Wald- und Sägewerksarbeiter auf das Gebiet des heutigen Slowenien; es sollen mehr als 1.500 gewesen sein. Auch bekam ein beträchtlicher Teil der slowenischen Intelligenz, vor allem Richter und Lehrer, in Kärnten keine Anstellung und war gezwungen, sie sich anderswo zu suchen: in der slowenischen Steiermark, in Oberkrain, im Küstenland und auch in Triest;? bekannt sind die Beispiele von Dr. Martin Zwitter, Dr. Ivan Grafenauer, Dr. Ozbolt Ilaunig u.a. Der Geistliche Jurij Trunk fand angesehene Kärntner Landsmänner in Ägypten (Dr. Karel Pe£nik), in Jerusalem (Dr. Martin Ehrlich) und in den USA (Alojzij Mlinar, Janez/John Smolej, Josip Varh), wo er selbst vor dem Ersten Weltkrieg freiwillig und nach 1921 als politisch Vertriebener arbeitete.‘ Noch während des „großen Krieges“ bekam Dr. Angela Piskernik, die in Kärnten unerwünschte erste slowenische Doktorin der Naturwissenschaft, eine Stelle im Krainer Landesmuseum. Zuflucht in Zentralslowenien fanden damals Kärntner, die während der Verfolgungen nach dem Beginn des Krieges mit Italien eingesperrt und zum Teil auch verurteilt worden waren. Bald nach Kriegsende gesellten sich zu ihnen noch einige Kärntner 1-2/2010 29