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Joze Pirjevec Der Zeitabschnitt zwischen dem 6. Jänner 1929 und dem 6. April 1941 bedeutet für Jugoslawien den Versuch, den Staat mit autoritären Methoden am Leben zu erhalten, nachdem offensichtlich wurde, dass das auf Parteienpluralismus beruhende parlamentatische System dazu nicht im Stande war. Die Krise des Systems, das im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen von seiner Entstehung am 1. Dezember 1918 an in Kraft war und das von der zivilisatorischen Unterschiedlichkeit der einbegriffenen Völker untergraben wurde, offenbarte sich am 20. Juni 1929, als ein montenegrinischer Abgeordneter, Mitglied der führenden serbischen (Radikalen) Partei im Belgrader Parlament, Stjepan Radic, den bedeutendsten Vertreter der Kroatischen Bauernpartei, und noch zwei andere kroatische Abgeordnete tödlich verwundete. Der Konflikt zwischen den beiden Völkern, der auflammte, als nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Balkan eine neue Staatselite nach dem zentralistischen französischen Modell entstand, erreichte mit dieser blutigen Tat ihren Höhepunkt. König Aleksandar Karadordevic, der seiner Denkweise und Erziehung nach stark autoritäre Züge hatte, wußte ihn nicht anders zu lösen, als einige Monate nach Radids Tod das Parlament aufzulösen, die Verfassung aufzuheben und zu verkünden, dass zwischen Volk und Herrscher keine Vermittler mehr sein dürfen. In den nächsten Stunden wurden vier Gesetze veröffentlicht, die klarmachten, wie er seine „heilige Pflicht“ zu erfüllen gedachte. Er nahm alle Macht in seine Hand, schaffte die lokalen Verwaltungsorgane ab, löste alle Parteien auf und führte eine strenge Zensur ein. In den folgenden fünf Monaten stärkten andere gesetzliche Maßnahmen (u. a. durch den Sondergerichtshof für den Staatsschutz) noch die zentrale Macht, oder besser gesagt, die Macht des Königs und seines Ministerpräsidenten. Diese Pflicht übertrug Aleksandar dem General Peter Zivkovié, der vor allem für das Fehlen jeglichen moralischen Skrupels, seine Unerfahrenheit in der internationalen Politik und für seinen überspannten serbischen Nationalismus bekannt war. Was ihn einzig auszeichnete, war die totale Loyalität gegenüber dem „Gospodaren“, wie der Souverän nach russischem Hofbrauch genannt wurde. Die übrigen Mitarbeiter, die sich Aleksandar aussuchte, waren zum Großteil alte serbische Prominenz, abgesehen von dem slowenischen Geistlichen Anton Korosec, der sich in der Hoffnung zur Mitarbeit in der Regierungsmannschaft entschloss, dass ihm auf diese Weise die Erhaltung der Machtpositionen, die seine klerikale Volkspartei in Slowenien innehatte, gelingen würde. Seine Überzeugung, dass nach den Jahren der parlamentarischen Krise die Königsdiktatur zum Ausgangspunkt für eine Erneuerung der komplizierten jugoslawischen Vereinigung werden könnte, teilten auch der neue Führer der Kroatischen Bauernpartei Vlatko Ma&en und die Mehrheit der serbischen Politiker. In der ersten Zeit ihrer Regierung schütteten Aleksandar und Zivkovié wie aus dem Fiillhorn Fortunas (wie sich ein serbischer Dissident ausdriickte) eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnungen aus, die schon lange notwendig, vom Parlament aber wegen der inneren Streitigkeiten nicht verabschiedet worden waren. Das Straf- und das Zivilgesetzbuch wurden endlich im ganzen Staat vereinheitlicht, die Steuergleichheit wurde eingeführt, die Agrarbank wurde gegründet, die den Bauern und Genossenschaf34 ZWISCHENWELT ten Kredite geben sollte. Zahlreiche Ministerien wurden umgestaltet, überflüssige Beamte wurden entlassen und man versuchte sogar eine Eindämmung der Korruption. Der Bau von Straßen und Bahnstrecken wurde beschleunigt, vor allem aber der Bau von Schulen, auf die besonderes Augenmerk gelegt wurde, oblag ihnen doch die Erziehung der „neuen“ Staatsbürger. Das bedeutete natürlich, dass die Behörden die Erziehung in Einklang mit ihren Werten zu bringen und sie nach einem einheitlichen Modell zu gestalten versuchten, ohne auf die kulturellen Unterschiede der verschiedenen ethnischen Gegebenheiten zu achten. Die Tageslosung war: „Ein König, ein Staat, eine Sprache“, in der Überzeugung, dass es ohne größere Widerstände möglich sein würde, die volle geistige Einheit der Serben, Kroaten und Slowenen, der einzigen anerkannten „Stämme“ innerhalb der Monarchie, herbeizuführen. Die Behörden versuchten auch die orthodoxe und die katholische Kirche vor ihren Wagen zu spannen, ebenso die muslimische und die anderen Religionsgemeinschaften, die bei der Umsetzung ihrer unitaristischen Politik mitzuarbeiten hätten. Es gelang ihnen mit den Orthodoxen, die dem weltlichen Staat traditionell gehorsam waren, nicht aber mit den anderen religiösen Gemeinschaften, vor allem nicht mit den Katholiken, die sich Aleksandars Versuchen, sich in die Zuständigkeiten der Kirche einzumischen, bald widersetzten, vor allem was die Erziehung der Jugend betraf. Zwischen der katholischen Hierarchie und der Belgrader Regierung kam es deswegen zu Spannungen, die die bereits bestehende Kluft zwischen dem katholischen und dem orthodoxen Staatsteil noch vertieften. Aleksandar war von großserbischen Idealen inspiriert, doch er war sich bewusst, dass ein so heterogener Staat wie der seine neue Symbole und Werte brauchte, die die lokalen Traditionen und Eigenarten transzendieren sollten. Darum tauschte er die alte Bezeichnung „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ durch eine neue aus — Jugoslawien — und er teilte letzteres in zehn „Banschaften“, die außer der Banschaft „Küstenland“ (Dalmatien) alle nach Flüssen benannt waren. Das ethnische Gebiet der Slowenen deckte sich mit dem „Draubanat“, Kroatien dagegen war auf zwei und Serbien mit seinen Randprovinzen auf fünf Banschaften aufgeteilt, die so konzipiert waren, dass sie in gemischten Gebieten die Vorherrschaft der Serben sicherstellten. Alle historischen Zeichen und Symbole, Fahnen, Wappen, Hymnen wurden verboten und durch neue, jugoslawische, ersetzt. Die Banschaften hatten eine begrenzte Autonomie, denn die Macht blieb fest in den Händen Belgrads (das zu einem autonomen Bezirk erhoben wurde). Die Bani, die vom König ernannt wurden, waren Serben oder glühende Serbophile, oft Generäle ohne administrative Erfahrung. Sie spielten vor allem die Rolle von Gendarmen, und die lokale Bevölkerung empfand sie auch so. Die Hofkreise, die nach einem türkischen Ausdruck „£arsija“ genannt wurden, waren der Meinung, die Macht müsse in den Händen der Serben bleiben, weil den Kroaten und den Slowenen, ehemaligen österreichischungarischen Untertanen, nicht zu trauen sei. Und so blieben alle Schlüsselressorts, in erster Linie natürlich das Militär, unter der wachen und eifersüchtigen Aufsicht der serbischen Minister und Funktionäre.