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Die Flüchtlinge waren überwiegend jung, Achtzehn- bis Fünfzigjährige, mit denen vielfach Frauen und Kinder kamen. Sie waren unterschiedlich ausgerüstet, offenbar jedoch ziemlich organisiert und gut vorbereitet. Laut deutschen und österreichischen Quellen nahmen die jugoslawischen Behörden den aus Kärnten hereinkommenden Flüchtlingen bei Dravograd ganze 36 Kraftfahrzeuge ab, 18 Busse, 12 Lastwägen und 6 Pkws, ferner 400 Gewehre, 6 Maschinengewehre, 500 Bajonette, etliche Revolver, 60.000 Schuss Gewehrmunition und andere militärische Ausrüstung.” Die nach Beginn des Zweiten Weltkrieges veröffentlichten Erinnerungen zweier nach Jugoslawien geflohener österreichischer Nazis, Otto Bokisch und Gustav A. Zirbs, beschreiben die Ankunft der ersten Flüchtlinge mit einem Anflug von Übertreibung und der Tendenz, die Haltung der jugoslawischen Behörden ihnen gegenüber noch freundlicher darzustellen, als sie in Wirklichkeit war; doch im wesentlichen werden die mitgeteilten Daten und Wahrnehmungen auch von anderen Dokumenten bestätigt. Den Empfang der über den Loibl/Ljubelj und die Koschuta/Kosuta nach Jugoslawien gelangten Flüchtlinge beschreibt Bokisch als ausgesprochen freundlich: „Nachdem man sie nach Waffen durchsucht und ihre Personalpapiere durchgesehen hatte, kamen sie in Schuppen und leerstehende Lagerraume. Tag um Tag und Woche um Woche hielt hier der Fliichtlingsstrom an. Die jugoslawischen Grenzorgane waren zuvorkommend und freundlich. Das ,Heil Hitler‘ wirkte Wunder. Wer Bargeld bei sich hatte, konnte mit dem fahrplanmäßigen Personenzug nach Laibach in die eiligst errichtete Sammelstelle für Flüchtlinge fahren. Alle anderen wurden auf Staatskosten dorthin befördert.“'* Diese Erzählung repräsentiert aber nur die Sichtweise der Naziflüchtlinge aus Kärnten und erweckt damit den Eindruck, als wäre Ljubljana das wichtigste Zentrum für die weitere Verbringung der Flüchtlinge nach Kroatien gewesen. Auch der deutsche Konsul in Zagreb beschrieb die Aufnahme der Naziflüchtlinge bei den jugoslawischen Behörden als sehr freundlich, die Verpflegung der „meist völlig ausgehungerten Gruppen“ als zufriedenstellend.'® In den ersten Tagen waren die Flüchtlinge fast zur Gänze von der Hilfe der jugoslawischen Behörden und den Organisationen des jugoslawischen und slowenischen Deutschtums abhängig. Die österreichischen Behörden schickten und gestatteten keine Hilfe, die deutschen aber hielten sich sehr zurück. Die jugoslawische Regierung aber gewährte, laut Zeitungsberichten, den österreichischen Naziflüchtlingen schon am 31. Juli Hilfe in der Höhe von 100.000 Dinar, mit der die Verpflegungskosten gedeckt werden sollten. Am selben Tag brachten slowenische und kroatische Zeitungen die Meldung, dass die deutschen Konsulate in Jugoslawien den Flüchtlingen Hilfe in Form von 5.000 kg Lebensmitteln (Speck) und 6.000 RM hätten zukommen lassen. Schon am nächsten Tag wurde die Nachricht dementiert, weil diese Hilfe u. a. durch das deutsche Konsulat in Ljubljana vermittelt worden sei, das es gar nicht gab. Am meisten waren die österreichischen Flüchtlinge in den ersten Tagen der Emigration über das Verhalten Berlins enttäuscht. Am 30. Juli wies das deutsche Außenminsterium die zwei Tage zuvor aus Zagreb erbetene Hilfe aus Rücksicht auf die „gegenwärtigen politischen Verhältnisse“ zurück.'° Die möglichen weitreichenden Folgen einer solchen Entscheidung erkannten auch die Flüchtlinge, die laut einem Bericht des militärischen Nachrichtendienstes „einer maßlosen Erbitterung gegen Deutschland Ausdruck“ gaben und die fehlende Unterstützung „auf ein Versagen oder einen Wortbruch“ zurückführten.”” Zu ihrer Zufriedenheit floss später regelmäßig Hilfe aus dem Reich über verschiedene (halb)legale Kanäle, in den ersten Tagen wurde sie aber tatsächlich nur den deutschen Staatsbürgern zuteil, und auch diesen eher durch die Möglichkeit der Rückkehr nach Deutschland als in materieller Form. Die größte Flüchtlingswelle erreichte Jugoslawien in den ersten Tagen nach dem gescheiterten Putsch. Aufgrund der verstreuten Daten können wir sagen, dass die Zahl der Flüchtlinge Mitte September 1934 mit nahezu 3.000 ihren Höchststand erreichte. Das Eintreffen von kleineren Gruppen und Einzelpersonen lässt sich aber noch bis August 1935 verfolgen, als es die Lager schon Monate nicht mehr gab und die Flüchtlinge auf dem Seeweg nach Deutschland gebracht worden waren. Die genaue Zahl lässt sich nicht feststellen; die Fluktuation war zu groß, es gab zu viele unwahre Berichte über die Existenz von Lagern quer durch Jugoslawien, auch konnten nicht alle Daten erfasst werden, weil sich viele außerhalb der Lager aufhielten. Eine Basis für die zumindest annähernde Bestimmung der Gesamtzahl bietet ein ausführlicher vertraulicher Bericht, den der Sicherheitsdirektor für Salzburg am 12. Oktober 1934 entgegennahm und an das Bundeskanzleramt weiterleitete und der sich offenbar auf unmittelbare Quellen beruft; laut diesem Bericht waren im Lager Varazdin 1.367, in Bjelovar 347 und in Slavonska Pozega 171 Personen interniert. Wenn wir jene Flüchtlinge dazuzählen, die außerhalb der Lager lebten, dann jene 100, die nach Österreich oder Deutschland zurückkehrten, sowie jene 200, die noch nach dem 28. November 1934 kamen, ist jedenfalls die Feststellung gerechtfertigt, dass in Folge des gescheiterten Juliputsches 2.000 bis 3.000 Personen nach Jugoslawien flohen. Dabei sind die Zahlen für einige andere Lager (Knin: 320, Skopje 80, Lipiske toplice: 340 u. a.) nicht eingerechnet, weil es sich großteils um unbestätigte Daten oder um die zeitweilige Verlegung von Flüchtlingen aus den drei Hauptlagern handelt. Noch Ende September 1934 und später langten Berichte ein, dass von Maribor nach Varazdin neue Gruppen österreichischer Naziflüchtlinge geschickt wurden. Das österreichische Konsulat in Ljubljana meldete nach Wien, dass eine Gruppe von 20 bis 30 Personen nach Varaödin unterwegs sei. Weil die slowenischen Behörden auf Anweisung Belgrads alle Aktivitäten im Zusammenhang mit den österreichischen Naziflüchtlingen geheim hielten, war nicht festzustellen, ob es sich um Personen handelte, die bei Verwandten über das gesamte Draubanat verstreut gelebt hatten, oder um neue Flüchtlinge aus Österreich. Unbestätigt blieb auch eine vom italienischen Generalkonsul an das österreichische Konsulat in Ljubljana weitergeleitete Nachricht, wonach sich in Prekmurje (Übermurgebiet) eine größere Anzahl von Flüchtlingen konzentriere, die einen bewaffneten Einfall in Österreich planten.'® Anfang Oktober 1934 fasste die österreichische Vertretung in Belgrad in einem Bericht nach Wien die serbischen Zeitungsberichte über den Zustrom an Flüchtlingen zusammen. Sie schätzte ihre Zahl auf etwa 1.300, 1.250 Manner und ca. 40 Frauen.!? Ende Oktober berichtete das österreichische Konsulat in Ljubljana, es werde von der Banschaftsverwaltung über die tägliche Ankunft von Flüchtlingen aus Österreich unterrichtet, darunter auch die Frauen und Kinder jener Männer, die schon in den Lagern waren. Nach Ansicht der Laibacher Polizei ging es in diesen Fällen v. a. um Arbeitslose, die den Informationen über angeblich bessere 1-2/2010 41